Youtube-Star Shirin David:Paradox im Latex-Body

Supersize-Stimmung im Alexa: Shirin David besucht ihre Fans

Naked, because she wanted to: Die Künstlerin Shirin David, die, wie es scheint, in jede Rolle schlüpfen kann.

(Foto: obs)
  • Die als Youtuberin bekannt gewordene Shirin David macht jetzt Rap - und das ziemlich gut. Am Freitag erscheint ihr erstes Album "Supersize".
  • Obwohl Kritiker ihr vorhalten, ihr Körperbild sei überholt (David zeigt sich gern leicht bekleidet und hat mehrere Schönheitsoperationen hinter sich), verhält sich die Künstlerin durchaus feministisch - allerdings nur in ganz bestimmten Situationen

Von Theresa Hein

In der "Unendlichen Geschichte" von Michael Ende gibt es eine Gestalt, die aus einem riesigen Schwarm unzähliger kleiner Kreaturen besteht und beliebig die Gestalt irgendeines Wesens annehmen kann, je nachdem, wie sich der Schwarm anordnet. "Ygramul" heißt die Gestalt und wegen ihrer besonderen Fähigkeit trägt sie einen Beinamen: "Ygramul, die Viele."

Vierzig Jahre nach Erscheinen der "Unendlichen Geschichte" hat nun eine ganz andere Gestaltwandlerin die Bühne betreten. Sie beherrscht vor allem die Social-Media-Feeds der Millenial-Generation und die deutschen Single-Charts der vergangenen Monate. Die Gestalt trägt Markenklamotten, Haar-Extensions oder, wie auf dem Cover zu ihrem ersten Album, gar nichts und den Namen: Shirin David.

Vor fünf Jahren noch hatten die Videos auf ihrem Youtube-Kanal Titel wie "Wenn Frauen Männer und Männer Frauen werden" und die damals 19-Jährige exerzierte Geschlechter-Klischees vor der Kamera oder sprach von ihren Erfahrungen mit Rastazöpfen ("Ihr müsst die Haare nicht mehr föhnen, es ist einfach so geil.") Nach nur neun Videos sahen sich das regelmäßig 100 000 Menschen an, die ihren Kanal abonniert hatten. Mittlerweile sind es mehr als zweieinhalb Millionen, und sie sind mehrheitlich jung und weiblich: Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth unter mehr als 300 Teilnehmerinnen zwischen 13 und 19 Jahren zählen zu deren fünf beliebtesten Medienidolen: Heidi Klum, Pietro Lombardi, Greta Thunberg, Christiano Ronaldo und: Shirin David. Auf Instagram folgen ihr fast fünf Millionen Menschen.

Was das konkret bedeutet, kann man in einem Beitrag aus dem Jahr 2017 sehen, in dem Shirin David sich dabei filmen ließ, wie sie ihre Fans zu Hause überrascht. Man sieht neun-, zwölf und 15-jährige Mädchen, die sich die Hände vor den Mund schlagen oder anfangen zu weinen, wenn David mit ihrer nietenbesetzten Lederjacke und ihren hautengen Leggins die Kinderzimmer betritt. Es folgen Umarmungen und Ermahnungen von David an die Mädchen, sich bitte in der Schule anzustrengen, im Hintergrund dramatische Klaviermusik. Shirin David besucht diese Mädchen in der Rolle der großen Schwester, die sie auch in ihren frühen Videos verkörpert. Da sagte sie dann auch, sie würde ja niemandem etwas verbieten, aber "ich würde einfach nicht empfehlen, dieses Rauchen auszuprobieren".

David hat mit 24 Jahren bereits zwei Karrieren hinter sich, eine als zunächst unabhängige Youtuberin, dann als - der naheliegende, nächste Schritt - Influencerin mit festen Werbepartnern. Obwohl das schon mehr Karrieren sind, als die meisten vorweisen können, kam inzwischen die dritte dazu: Shirin David, die Rapperin und R'n'B-Königin. In dieser Rolle fängt sie (auch deswegen, weil sie mit 22 Jahren schon ihre erste Million verdient hatte) nicht klein an, sondern gleich ziemlich groß. Das Video zu Shirin Davids Single "Gib ihm" war innerhalb von fünf Stunden und 52 Minuten nach der Veröffentlichung im März eine Million Mal aufgerufen worden und brach damit den Youtube-Rekord ihres Rap-Kollegen Capital Bra. Mittlerweile wurde es über 43 Millionen Mal aufgerufen, für deutsche Popkünstler ist das eine astronomisch hohe Zahl.

Am Freitag ist jetzt das erste komplette Album Davids erschienen, mit sprechendem Titel: "Supersize": "Das Licht tanzt, oh ja, Klunker / Die Herzen glitzern wie beim Juwelier / Ohne euch wär ich heut gar nicht hier", singt sie in "Brillis". Shirin David hat sich nicht nur ein teures Produzententeam geleistet, sie weiß musikalisch auch selbst ganz gut, was sie tut: Mit vier Jahren lernte sie Klavier spielen, später Geige und Oboe, an der Jugendopernakademie Hamburg wurde sie in Gesang, Schauspiel und Tanz unterrichtet. Deswegen klingt "Fliegst du mit", eine Ballade über ihren Vater (der die Familie verlassen hat, als sie noch ein Kind war) genau im angemessenen Maß wehklagend. "Gib ihm" hört sich an wie eine im Studio einzeln insolierte und runtergedimmte Spur von Nicki Minajs "Super Bass", sehr clever, und dann hat der Song auch noch den besten deutschen Pop-Refrain des Jahres. Und der Song "On Off" spielt ziemlich klug auf Beyoncés Hit "Baby Boy" an.Das macht aber nichts - die jungen Hörerinnen und Shirin-David-Fans (die von ihr "Shirizzles" genannt werden) dürften das, altersbedingt, zu größeren Teilen nicht kennen.

Ihren Fans, die sie Shirizzles nennt, gibt sie, das hat sie die Youtube-Schule gelehrt, so viel von Shirin David wie möglich, auch optisch. Da, wo früher ein stark geschminktes, aber doch authentisches Hamburger Mädchen mit langen, blond gefärbten Haaren vor der Kamera Witze machte, steht jetzt eine glänzende Puppe in Perücke und pinker Plüsch-Shorts, die sich äußerlich sehr verändert hat: Shirin Davids Hüften 2016 sind von Shirin Davids Hüften 2019 ungefähr eine Kardashian entfernt. Man kann das so sagen, weil David selbst sehr offensiv mit ihren chirurgischen Veränderungen und Operationen umgeht und in ihren Videos davon berichtet. Und auch in ihren Texten geht es neben Markennamen vor allem um superlative Kurven und nackte Haut: "So gut wie wir aussehen, ist schon respektlos/ Sie kommen an, sagen, ,Shirin, das ist echt kurz' /Ich wollt' in Unterwäsche kommen, fick deinen Dresscode", rappt sie in "Gib ihm". Oder im Song "Orbit": "Nikes passend zum Sweater / Ich lauf' vorbei und sie drehen sich, Arsch und Hüften bewegen sich / Das Auftreten ist episch, bin Gästeliste plus zehn Bitches / Viel gemacht, doch bin trotzdem echter als acht von zehn in der Szene".

Shirin, die Viele, würde vermutlich ihren Fans immer noch nicht raten, mit dem Rauchen anzufangen. Gleichzeitig versucht sie sich jetzt in der Rolle der Rapperin mit Gangster-Attitüde. Und wie um zu beweisen, dass ihr niemand etwas vorschreiben kann, kooperiert sie für ihre Songs mit Künstlern, die aufgrund ihrer Texte bei Wikipedia ein "Kontroversen"-Kapitel führen, mit dem kongolesischen Rapper und Sänger Gims etwa oder mit Xavier Naidoo.

Natürlich ist das von David propagierte Körperbild fragwürdig, nicht wenige werfen ihr vor, es sei antifeministisch. Auf den ersten Blick macht sie sich mit ihrem knapp bekleideten Körper tatsächlich selbst zum Objekt, strahlt in ihren Videos und Posts genau jenes Frauenbild aus, dessen sich Rapper früher bedienten, wenn sie nackte Tänzerinnen in ihren Musikvideos als Accessoires vorbeilaufen ließen. Aber der erste Blick reicht nicht aus, wenn man das Phänomen Shirin David verstehen will, denn sie weiß Kritik so umzudeuten, dass sie ins Image passt.

"Ich lasse mir nicht auf dem Kopf herumtanzen", sagte sie im April in einem Instagram-Video. Das war, nachdem sie für den Rap-Kollegen Shindy zwar gut genug war, um auf dessen Single mitzusingen, im Video jedoch nur als Statistin auf dem Rücksitz des Autos auftauchen sollte. Vom typischen Rap-Shitstorm, den dann die jeweiligen Fans übereinander ausgossen mal abgesehen, war Shirin Davids Reaktion nicht nur selbstbewusst, sie manifestierte auch ihren Status als selbstbestimmte Künstlerin, die sich nicht zur Steigbügelhalterin des männlichen, erfolgreichen Kollegen machen lässt. Shirin David will keine sein, die im Hintergrund tanzt, sondern eine, die - wenn überhaupt - selbst zum Tanz bittet. Man kann sich schlechtere Rollenvorbilder vorstellen.

Allerdings, und das wird auch schnell klar, wenn man sich vom glitzernden Shirin-Kaleidoskop nicht zu sehr ablenken lässt, verhält sich Shirin David nur da vorbildlich und emanzipiert, wo es um sie selbst geht. Als Geschäftsfrau verkauft sie nicht nur Plastiktaschen für knapp 50 Euro, die "richtig wertig" sind (ein Nebenprodukt ihres neuen Albums), sondern auch ihr Körperbewusstsein als das ideale. Zwar propagiert sie augenscheinlich eine "Sei du Selbst"-Attitüde. Fraglich ist dennoch, was bei ihrem Zielpublikum davon ankommt, und wie glaubhaft diese Haltung bei jemandem wirkt, der in einem (inzwischen gelöschten) Video erzählt hat, 75 000 Euro in den eigenen Körper investiert zu haben. Ist das noch "Sei du selbst?" Oder nicht eher schon "Sei wie ich"?

Sichtbar wird das, wenn Shirin David ihren Fans in einem 37-minütigen Video von ihrer Nasen-OP erzählt, als sei es um das Kürzen eines Rocksaumes gegangen: "Ich wollt's einfach 'n bisschen süßer haben, 'n bisschen kürzer". Unter das Video kommentieren die Zuschauerinnen flehend, Shirin solle doch sagen, wie der Name des Chirurgen lautet oder ein Video hochladen, in dem sie über ihren "Brazilian Butt Lift spricht" ("du würdest so vielen helfen"). Ihr Merchandising-Universum (allein mit ihrer Parfüm-Marke soll sie laut Spiegel schon 15 Millionen Euro Umsatz gemacht haben) erledigt den Rest.

David ist die Frau, die wie nebenbei 1-A-Rap-Realsatire betreibt ("Alles nur Papier, ich schmeiß' die Scheiße auf euch Hunde / Was für Gage? Sie bezahlen mich dafür, dass ich atme"). Sie ist aber auch eine, die sich im Hotelzimmer auf dem Bett filmen lässt, während sie ihre Schuhe auszieht, weil sich das gehört ("Denkt dran, unser Benehmen ist unsere Schönheit") und sie dann von sich wirft und so tut, als habe sie eine Fensterscheibe damit zertrümmert. Sie ist witzig. Sie nervt. Sie ist tatsächlich eine passable Musikerin. Und eine noch bessere Entertainerin. Und eine exzellente, hart arbeitende Geschäftsfrau.

Anders gesagt: Shirin David ist ein multiperspektivisches Paradox im hautengen, lollipopfarbenen Latexbody. Man kann gar nicht anders, als ein Auge auf sie zu haben.

Ach was, viele Augen.

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