Designkunst:Manhattans neueste Hütte

the shed hudson yards march 27th 2019

"The Shed" bietet Platz für Galerien, Theater und Proberäume. Die Hülle ist sogar ausfahrbar wie ein Teleskop.

(Foto: wowe)

"The Shed", der Schuppen, ist das wohl ambitionierteste Kunstzentrum der Gegenwart. Und sein künstlerischer Leiter, Alex Poots, ein begnadeter Geldausgeber. Ein Treffen.

Von Christian Zaschke, New York

Alex Poots erinnert sich noch genau an den Moment, als vor fünf Jahren sein Telefon in London klingelte. Ein Headhunter war dran und fragte, ob er sich nicht bitte bei dieser im Aufbau befindlichen kulturellen Institution in New York bewerben könne. Das Ganze heiße "The Cultural Shed" und solle vor allem interdisziplinär arbeiten. Poots war zu diesem Zeitpunkt Chef des Manchester Festivals in Nordengland und künstlerischer Leiter der Park Avenue Armory in New York. Er war als Kulturmanager höchst angesehen, er hatte unter anderem James Brown ins Barbican in London gebracht, er hatte mit Kenneth Branagh einen irrsinnigen "Hamlet" fürs Manchester Festival produziert, und jetzt sollte er sich bei einer Institution bewerben, die offenbar nicht mal genau wusste, was sie sein wollte? Sich bewerben - als buhle nicht die Institution um ihn, sondern als sei er es, der den Job wolle. Er sagte ab.

Mittlerweile heißt diese Institution nur noch "The Shed", und sie gilt als wichtigste neue Kulturstätte in New York seit Eröffnung des Lincoln Centers Anfang der Sechzigerjahre. Wenn sie am 5. April erstmals ihre Türen für Besucher öffnet, wird Alex Poots die Gäste begrüßen. Schließlich ist er Vorstandschef und künstlerischer Leiter dieser neuen Institution.

Dass seine Absage 2014 nicht das letzte Wort war, lag daran, dass sie in New York hartnäckig blieben. Zwei Monate später klingelte Poots' Telefon erneut. Ob man nicht wenigstens mal reden könne. Mit wem denn, wollte Poots wissen. Mit Dan Doctoroff, der lange eng mit dem früheren New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg zusammengearbeitet hatte, hieß es. "Doctoroff ist einer der wichtigsten Männer in der Stadt", sagt Poots, "in dem Moment wusste ich, dass sie es ernst meinen." Doctoroff ist außerdem Vorsitzender des Aufsichtsrats von "The Shed".

Designkunst: Alex Poots ist der Künstlerische Leiter von "The Shed" und sagte erst nach anfänglichem Zögern zu.

Alex Poots ist der Künstlerische Leiter von "The Shed" und sagte erst nach anfänglichem Zögern zu.

(Foto: WOWE)

Da Poots weiterhin vermeiden wollte, in die Situation eines Bewerbungsgesprächs zu kommen, schlug er vor, dass man vorab ein Thema finden solle, über das man sprechen könne. Es traf sich gut, dass Poots gerade mit Kenneth Branagh den "Hamlet" vom Manchester Festival nach New York brachte. Das schien ein geeignetes Thema zu sein. Er besorgte Doctoroff und dessen Frau Alison zwei Karten. Wie es ihnen gefallen habe, fragte Poots nach der Vorstellung. Die Doctoroffs waren begeistert.

Es ging Poots aber um etwas anderes. Die Produktion des "Hamlet" hatte vier Millionen Dollar gekostet. Obwohl sämtliche Vorstellungen ausverkauft waren, erlöste das Stück lediglich 3,1 Millionen Dollar. Poots fragte Doctoroff, was er davon halte, also: ob er die 900 000 Dollar als Minus betrachte oder als sinnvolle Investition in die Kunst. Poots erzählt, dass Doctoroff daraufhin lächelnd gesagt habe: "Man hat mich vor Ihnen gewarnt."

Wenn man jemandem 50 Millionen Dollar in die Hand drückt, dann Alex Poots

Die Frage nach Minus oder Investition sollte natürlich bedeuten, dass "The Shed" unter Umständen nicht ganz billig werden würde, wenn Poots sich darum kümmerte. Er hat Doctoroff dargelegt, dass man doppelt so viel Geld und mehr als doppelt so viel Personal brauche wie ursprünglich geplant, wenn man es richtig machen wolle. Doctoroff fragte daraufhin, ob Poots vielleicht dazu bereit wäre, das dem Aufsichtsrat mal in einer - selbstverständlich - rein informellen Zusammenkunft zu erläutern.

Poots sagte zu, und natürlich war die Zusammenkunft kein bisschen informell. Es war eher ein - nun ja, Bewerbungsgespräch. Poots erklärte, dass man nicht 40 Leute brauche, die permanent für die Institution arbeiten, sondern eher 90 bis 100. Er legte dar, dass man für die ersten drei Jahre nur fürs Programm Zuschüsse von 50 Millionen Dollar benötige, um etwas wirklich Spektakuläres auf die Beine zu stellen. Nämlich einen Ort, der, wie er heute sagt, ein riesiger Werkzeugkasten für Künstler sein soll. Der den Künstlern dient. Einen Ort, an dem sich die Formen mischen, an dem Musik, Malerei, Schauspiel, Tanz und Architektur zusammenkommen. Eine Institution, die Werke von Künstlern jedweder Gattung und Richtung in Auftrag gibt und sich an ein Zielpublikum richtet, das nur mit dem Begriff "Alle" beschrieben werden kann. Falls man so etwas plane, sagte Poots den Aufsichtsräten, dann, ja dann würde er sich sogar darum bewerben, das in die Hand zu nehmen.

Nun muss man wissen, dass Alex Poots ein mitreißender Erzähler ist, der für die Kunst lebt. Wenn man ihm lange genug zuhört, drückt man ihm ohne zu zögern 50 Millionen Dollar in die Hand (so man die gerade übrig hat), damit er was Schönes auf die Beine stellt. Der Aufsichtsrat bot ihm den Job an, und Poots sagte zu. Er zog von London nach New York, wo er seither mit einem beständig wachsenden Team daran arbeitet, dass "The Shed" tatsächlich das versprochene Spektakel wird.

Begegnungsstätte mit moderaten Preisen, nur eben in Luxuslage

Das neue Gebäude, mithin die Heimat dieser Institution, ist an den Hudson Yards entstanden, auf der unteren Westseite Manhattans gelegen. Entworfen haben es das Architekturbüro Diller Scofidio + Renfro und die Rockwell Group. Auf 18 500 Quadratmetern verfügt es unter anderem über Galerien, Theater und Proberäume. Hauptattraktion ist eine äußere Hülle, die auf Rädern gelagert ist und sich bewegen lässt. Wenn man sie ausfährt, wird der Vorplatz des Gebäudes zu einem geschlossenen, lichtdurchfluteten Raum für Performances. Das ganze Gebäude wurde kürzlich auf den Namen "Bloomberg Building" getauft, nach Michael Bloomberg, der als Bürgermeister die erste Idee für das Projekt hatte und später 75 Millionen Dollar aus seinem Privatvermögen zu der Unternehmung beitrug.

An den vormals heruntergekommenen Hudson Yards ist in den vergangenen Jahren so etwas wie ein neuer Stadtteil entstanden. Dutzende neue und meist hohe Häuser wurden gebaut, was in einer Stadt mit mehr als 60 000 Obdachlosen prinzipiell eine gute Idee ist; allerdings befinden sich in diesen Häusern überwiegend Luxuswohnungen. Das recht lässige New-York-Magazin bezeichnete die Hudson Yards kürzlich als "Fantasie-Stadt für Milliardäre". Man könne dort ein perfektes Leben führen und müsse das Viertel niemals verlassen - vorausgesetzt, man sei in der Lage, dafür zu bezahlen. Das aber können auch unter den Reichen nur die Reicheren.

In der Tat wird sich "The Shed" in äußerst betuchter Gesellschaft befinden. Dabei soll das neue Kulturzentrum ausdrücklich dazu beitragen, die Ungleichheit in der Stadt zu verringern. Kultur kann in New York sehr teuer sein, und teuer heißt zum Beispiel, dass man für Plätze irgendwo oben oder hinten in bekannten Theatern oft mehr als 100 Dollar zahlt. Für gute Plätze zahlt man ein Vielfaches. In "The Shed" sollen viele Veranstaltungen gar keinen Eintritt kosten. Poots sagt, dass es auch in den teuersten Produktionen Plätze für zehn Dollar geben werde, und zwar nicht nur ganz hinten, sondern in jeder einzelnen Reihe. "Der Gradmesser für Erfolg, das sind nicht die Einnahmen", sagt er.

Hans Ulrich Obrist, Gerhard Richter, Steve McQueen - jeder Szene ihren Star

Die Stadt New York hat dem Projekt im Jahr 2013 eine Anschubfinanzierung in Höhe von 50 Millionen Dollar zukommen lassen. Seither hat "The Shed" nach eigenen Angaben zusätzlich 438 Millionen Dollar an Spenden eingenommen. Insgesamt sollen 550 Millionen Dollar erlöst werden. Von diesem Geld sollen die Baukosten bestritten und die Aufbauphase bezahlt werden. Zudem soll ein Teil des Geldes in einen Topf fließen, aus dem fortwährend neue künstlerische Arbeiten in Auftrag gegeben werden können.

Zu den wichtigsten Mitstreitern und Beratern, die Poots angeheuert hat, zählt der Schweizer Kurator Hans Ulrich Obrist, im Hauptberuf künstlerischer Leiter der Londoner Serpentine Galleries. Bereits seit 2005 arbeiten die beiden zusammen. Wann immer Poots ein Programm auf die Beine stellt, kümmert sich Obrist um die Gegenwartskunst. So auch nun in New York. Obrist ist es zum Beispiel zu verdanken, dass in "The Shed" eine exklusive Komposition von Steve Reich aufgeführt wird, und zwar in einem Raum, in dem Werke des Malers Gerhard Richter hängen werden. Ein Jahr lang standen Reich und Richter in permanentem Kontakt, um sich aufeinander abzustimmen. "Normalerweise würde man Reichs Werk in einem Konzertsaal hören und Richters Bilder in einem Museum betrachten", sagt Obrist, "aber nun wird das eine holistische Erfahrung." Obrist findet, genau das habe in der Welt der Kunst bisher gefehlt: "Eine Institution, in der die Zwischenräume auf diese Weise möglich sind."

Die ersten Wochen in "The Shed" gehen, abgesehen von der Reich/Richter-Kooperation, unter anderem so los: Der Filmregisseur Steve McQueen hat gemeinsam mit dem Musiker Quincy Jones eine Konzertreihe namens "Soundtrack of America" konzipiert, in der es um das Erbe der schwarzen Musik geht. Die isländische Sängerin Björk wird eine theatralische Performance auf die Bühne bringen. Die Dichterin Anne Carson hat eine dramatische Arbeit verfasst, in der es um die schöne Marilyn Monroe und die schöne Helena aus der griechischen Mythologie geht. Dieses Stück wird teils gesungen, teils gesprochen, was Ben Whishaw und Renée Fleming übernehmen. Der Theaterregisseur Chen Shi-Zhwen hat sich mit den Drehbuchautoren Jonathan Aibel und Glenn Berger zusammengetan (die beiden haben unter anderem den Zeichentrickfilm "Kung Fu Panda" geschrieben). Herausgekommen ist ein futuristisches Kung-Fu-Musical mit Liedern der australischen Sängerin Sia.

Alles, was in "The Shed" geboten wird, gab es vorher nicht. Das Haus gibt sämtliche Werke neu in Auftrag. Für die Künstler sollen sich nach dem Willen von Poots dadurch ganz neue Möglichkeiten ergeben. Auch deshalb hat er eine Initiative namens "Open Call" ins Leben gerufen, die jedes Jahr 52 Künstler auswählt, die in New York leben und noch nicht von einer großen kulturellen Institution gefördert werden. Diese Künstler werden mit viel Geld gefördert, und jede der jeweiligen Arbeiten wird in "The Shed" ihren Platz finden. Diese Ausstellungen sollen grundsätzlich keinen Eintritt kosten, und sie sind Poots fast am wichtigsten.

Ob er dieses doch etwas weitreichende Konzept in einem Satz zusammenfassen könne? "In zwei Sätzen", sagt Poots: "Satz eins: Bei uns soll Platz für alles sein. Satz zwei: Wir wollen das flexibelste Kunstzentrum der Welt sein."

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