"She Said" im Kino:Monster-Jägerinnen

"She Said" im Kino: Harte Story: Carey Mulligan (Mitte) als Megan Twohey und Zoe Kazan (links) als Jodi Kantor holen letzte Zitate für ihre Weinstein-Recherche ein.

Harte Story: Carey Mulligan (Mitte) als Megan Twohey und Zoe Kazan (links) als Jodi Kantor holen letzte Zitate für ihre Weinstein-Recherche ein.

(Foto: JoJo Whilden/AP)

In ihrem Hollywood-Debüt "She Said" erzählt Maria Schrader die Geschichte der beiden Reporterinnen, die Harvey Weinstein stürzten.

Von Tobias Kniebe

Wollte man einen schillernden und scheinbar unbesiegbaren Filmschurken erfinden, der zwei mutige Heldinnen zwingt, über sich hinauszuwachsen - man könnte sich kaum eine stärkere Figur imaginieren als Harvey Weinstein. Ein Monster von expliziter äußerer Hässlichkeit würde da entstehen, das als Filmproduzent gleichwohl genuine Schönheit erschafft, samt Träumen von unvorstellbarem Ruhm, Geld und globaler Sichtbarkeit.

Das lockt Menschen in seine Nähe, die dann Opfer der schlimmsten Macht-, Unterwerfungs-, und Vergewaltigungsszenarien werden, entfesselter Triebe wie nur bei den größten Verbrechern überhaupt. Was der Übeltäter aber durch Lüge, Intrige, Schlauheit, Geld und Drohungen über Jahrzehnte verbergen kann, gedeckt von einem Netz der Mitwisser und einem bleiernen Mantel des Schweigens, unter dem die Wahrheit brodelte wie giftige Lava.

Am 5. Oktober 2017 rissen zwei Journalistinnen der New York Times ein erstes größeres Loch in jene Omertà der Filmindustrie, die das Verhalten des leider sehr realen Harvey Weinstein bis dahin verschleiert hatte. Der folgende Vulkanausbruch an schrecklichen Enthüllungen erschütterte die Welt und brachte die "Me Too"-Bewegung ins Rollen, er brachte Harvey Weinstein für 23 Jahre ins Gefängnis und den beiden Reporterinnen, Jodi Kantor und Megan Twohey, den Pulitzerpreis.

Wie das gelingen konnte, erzählt der Film "She Said" - basierend auf dem gleichnamigen Bestseller von Kantor und Twohey. Und die erste große Entscheidung dieser Verfilmung ist es, den alles definierenden Bösewicht weitgehend ins Off zu verbannen. Allenfalls als raue beschwörende Stimme ist er mal präsent, oder als wankender Koloss, ein Statist, gefilmt von hinten.

Das liegt zum einen an der alten Regel des Ermittlungsfilms, dass man hier nie mehr wissen soll als das, was die beiden Investigativ-Journalistinnen gerade herausfinden. Zum anderen aber auch daran, dass die Frauen hinter der Kamera - die Produzentin Dede Gardner, die Autorin Rebecca Lenkiewicz und die deutsche Regisseurin Maria Schrader - Weinstein nicht noch einmal ins helle Scheinwerferlicht rücken wollten. Wenn seine Opfer hier erzählen, nehmen ihre Erlebnisse nicht mehr die Form von Szenen an.

Das funktioniert, wenn man selbst erlebt hat, wie wichtig Weinstein einst in der Filmwelt war: welch glamouröse Weltkarriere man beginnen konnte, wenn man als Schauspielerin mutig sein Hotelzimmer betrat, welche Anreize zum Schweigen die Menschen in seinem Umkreis hatten, und welche Angst. Seine Wut auf sich zu ziehen, hieß oft genug, sich aus der Filmbranche ganz zu verabschieden. Wer zu jung ist, um sich an die von Weinstein dominierten Festivals und Oscarnächte zu erinnern - seine Macht und Erfolge kulminierten um die Jahrtausendwende -, für den wird das Verständnis schwieriger.

Neben allem Stress sind die Reporterinnen auch noch Mütter mit kleinen Kindern

Anfangs hält das Kartell der Vertuschung noch dicht. Es gibt nur Gerüchte und viele schon gescheiterte Versuche, die Opfer zum Reden zu bringen. Man muss sich darauf einlassen, wie Journalismus alter Schule funktioniert, was für ein zeitraubendes, zähes Geschäft es ist, bis man eine Geschichte vom Verdacht oder Hörensagen in einen Text überführt hat, in dem jede Tatsachenbehauptung durch zwei Quellen abgesichert ist - um vor den selbstauferlegten Regeln seriöser Berichterstattung und später auch vor Gericht zu bestehen. Dazu passt der beinhart nüchterne Schreibstil von Kantor und Twohey.

Zoe Kazan spielt Jodi Kantor mit einem vorwärtsstrebenden, ansteckenden Optimismus. Carey Mulligan als Megan Twohey hat schon mehr schlimme Storys gesehen, sie ist dabei sarkastischer geworden und weniger geduldig mit der realen Idiotie der Männer, aber nicht weniger zäh. Das Drehbuch von Rebecca Lenkiewicz, die vom britischen Theater kommt, folgt den realen Schritten der Investigation sehr treu. Es zeigt die beiden Frauen aber auch als Mütter mit kleinen Kindern, die neben allem anderen Stress auch noch für ihre Familien da sein müssen.

Wenn eine wichtige Zeugin endlich reden will oder ein gefürchteter Anwalt zurückruft, kann das durchaus nach Dienstschluss oder am Wochenende passieren, auf dem Spielplatz oder sonst wo. Hier meint man, auch den Einfluss der deutschen Regisseurin Maria Schrader zu spüren, die klassisch arbeitsteilig als No-Nonsense-Regiekraft angeheuert wurde und exakt das auch abliefert - aber eben auch genau weiß, wie weibliche Triumphe dem Leben abgerungen werden müssen.

Und so entfalten die langsamen Fortschritte auf dem Weg zur finalen Publikation ihre eigene, zunehmend packende Dramaturgie. Da ist etwa die Schauspielerin Ashley Judd, die sich selbst spielt und schon früh auf einem Videoscreen erzählt, was ihr mit Weinstein passiert ist. Da ist das erste, Augen öffnende Interview in den Hamptons mit Weinstein-Star Gwyneth Paltrow, die aber nicht sich selbst spielt, weshalb man ihre Figur nur von hinten sieht.

Werden die Frauen am Ende mit ihren Namen zu den Anschuldigungen stehen? Das ist die große Frage bei alle Zeuginnen, keine will alleine vorpreschen. Paltrow sagt zunächst Nein, ein Tiefschlag. Ashley Judd aber wagt den Sprung, zunächst als einziger bekannter Name. Ihre mutige Ansage und wie bewegt Jodi Kantor ihr dankt, ist ein Höhepunkt des Films. Dramatischer ist Journalismus, wenn man ihn nicht verfälschen will, nicht zu haben. Und man wünscht dem Film sehr, dass es ihm weltweit anders ergeht als in den USA, wo er fürs junge Publikum anscheinend nicht dramatisch genug war - ein Flop an den Kinokassen.

Der Wirklichkeit die Details einzeln aus der Nase ziehen - das ist Journalismus

Das Ganze ist eben doch ein Geduldspiel. Mit vielen Angerufenen, die einfach auflegen, und Türen, die zugeschlagen werden; mit verängstigten ehemaligen Assistentinnen, die nur zu gern reden würden, aber von Knebelverträgen mit absurden Geldstrafen zum Schweigen verdammt sind; mit einem Vorstand der Weinstein Company, der seinen Boss schon lange hasst und schließlich sein Mobiltelefon im Restaurant liegen lässt, während er auf die Toilette geht, damit Kantor ein entscheidendes Dokument abfotografieren kann. Und schließlich Weinstein selbst, mit seinen späten wie absurden Versuchen, alles noch zu leugnen und die Publikation zu verhindern.

Der Realität einer journalistischen Investigation mit all ihren Details, die man der Wirklichkeit einzeln aus der Nase ziehen muss, kommt dieser Film so nahe wie vor ihm nur "Die Unbestechlichen / All the President's Men" von Alan J. Pakula aus dem Jahr 1976, mit Robert Redford und Dustin Hoffman als Watergate-Enthüller Woodward und Bernstein. Damals ging es allerdings um zwei Männer, die fast abstrakt in ihrem Job aufgingen - Redford etwa hat im ganzen Film keine einzige Interaktion, die man privat nennen könnte.

"She Said" zeigt dieselbe Zähigkeit, dieselbe Besessenheit noch für die kleinsten Details, die helfen sollen, ein riesiges, lange nur erahntes Verbrechen aufzudecken. Die Regeln und Prozeduren - gefilmt in den realen, vollverglasten Gefilden der Times - mögen manchmal kleinteilig und pedantisch wirken, sind aber eminent wichtige Grundpfeiler der journalistischen Fairness, gerade in Zeiten, in denen schon ungesicherte Behauptungen wilde Empörungswellen um die Welt jagen.

In der Art schließlich, wie der Film einen journalistischen Coup ins Leben seiner Protagonisten einbettet, das ja trotz allem nebenbei noch stattfinden muss und das die Recherchen zugleich hemmt und befeuert, ist "She Said" einzigartig. Besser als dieses Frauenteam vor und hinter der Kamera kann man das, was sich alle Beteiligten hier vorgenommen haben, nicht machen.

She Said, USA 2022 - Regie: Maria Schrader. Buch: Rebecca Lenkiewicz. Kamera: Natasha Braier. Musik: Nicholas Britell. Mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Ashley Judd. Universal, 129 Minuten. Kinostart: 8. 12. 2022.

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