"Shaun das Schaf" im Kino:Schafe sind Meister der Täuschung

Shaun das Schaf - Der Film

In der Großstadt landen Shaun und Bitzer, der Hütehund, auch einmal hinter Gittern - was ein einfallsreiches Schaf aber nicht aus der Ruhe bringt.

(Foto: Aardman Animation)

Mit "Shaun das Schaf - Der Film" wecken die Knet-Animations-Zoologen berechtigte Zweifel an unseren Auffassungen von der Tierwelt: Schafe täuschen Dummheit nur vor. In Wirklichkeit sind sie besonders klug und mutig.

Von Tobias Kniebe

Sogar Alfred Brehm, der große Tierforscher, konnte sich täuschen. "Das Schaf wird im Dienste des Menschen ein willenloser Knecht", schrieb er. "Alle Lebhaftigkeit und Schnelligkeit, das gewandte, behende Wesen, das kluge Erkennen der Gefahr, der Muth und die Kampflust, welche die wilden Schafe zeigen, gehen bei den zahmen unter. Diese sind unausstehliche Geschöpfe. Charakterlosigkeit ohnegleichen spricht sich in ihrem Wesen und Gebaren aus. In der Dummheit begründet sich ihr geistiges Wesen."

Wie aber kam der Mann, der dem Studium und der einfühlenden Beschreibung des Tierreichs doch sein Leben gewidmet hatte, zu diesem überraschend harschen Urteil? Aus heutiger Sicht muss man sagen: Weil die Schafe es so und nicht anders wollten.

Die größte Begabung, die dieses gerissene Tier in Gefangenschaft entwickelt hat, ist die kunstfertige Täuschung des Menschen. Dies nach Jahrtausenden der Schafzucht ans Licht gebracht zu haben, ist das bleibende Verdienst der britischen Aardman Studios und ihrer Enthüllungsserie "Shaun das Schaf".

Mit bereits 140 kurzen, in Knet-Animationstechnik gefilmten Erklärfilmen von jeweils sieben Minuten Laufzeit wirft diese Serie einen aufklärerischen Blick auf die zahllosen Kniffe, mit denen Schafe im Geheimen operieren, während der Landwirt noch glaubt, dass sie friedlich auf der Weide grasen.

Immer neue Muster kommen dabei zutage, weshalb die Aardman-Zoologen ihre geduldige Arbeit in diesen Tagen mit ihrem Meisterstück krönen können - einem ganzen Kinofilm mit Momentaufnahmen der Schafspsychologie, bei dem dem Kollegen Brehm, Gott hab ihn selig, die Augen aus dem Kopf gefallen wären.

Tricks, denen sich kein Mensch entziehen kann

Nehmen wir nur beispielhaft jenes perfekt choreografierte Gruppenritual, das man populärwissenschaftlich als die "Schlaftablette" bezeichnen könnte. Dabei fangen die Schafe an, scheinbar unmotiviert über ein beliebiges, in der Nähe verfügbares Hindernis zu springen, etwa eine niedrige Hecke. Ein Tier nach dem anderen setzt zum Sprung an, in offenbar endloser Folge - tatsächlich aber bewegt sich dabei eine Gruppe von nur etwa acht Schafen ad infinitum im Kreis.

Was aber wäre der Zweck dieser kräftezehrenden und scheinbar unsinnigen Übung? Die Aardman-Aufnahmen lassen keinen Zweifel: Alle umstehenden Menschen, die ihren Blick nicht rechtzeitig von den springenden Schafen abwenden, werden von urplötzlicher, bleierner Müdigkeit befallen, gähnen zum Gotterbarmen und sinken innerhalb weniger Sekunden in Tiefschlaf. Bei mehreren Versionen dieser List, die aufgezeichnet wurden, konnte sich kein menschliches Wesen dem Effekt entziehen.

Freie Zeit, Eis, Pizza und Fernsehen

Beim ersten filmischen Beweis des Rituals, das wie die meisten Aardman-Trouvaillen auf der idyllischen "Mossy Bottom"-Farm in England gefilmt werden konnte, ließen die Schafe etwa ihren Bauern auf diese Weise in eine bereitgestellte Handkarre sinken und legten ihn danach zum Schlafen in einen alten, unbenutzen Wohnwagen, um sich gänzlich unbeobachtet einen freien Tag im Inneren des Farmhauses zu gönnen - inklusive aller Annehmlichkeiten wie Eis, Pizza und Fernsehen, die der moderne Homo sapiens aus guten Gründen für sich selbst reserviert.

An diesem Punkt nun kam den Forschern Gevatter Zufall zu Hilfe. Das markerschütternde Schnarchen des Bauern setzte den Wohnwagen ungewollt in Bewegung, woraufhin dieser in Fahrt geriet und erst viele Kilometer weiter, inmitten der Großstadt, zum Stehen kam, wo dem Bauern auch noch ein schwerer Gegenstand auf den Kopf fiel.

Der Mann erlitt völligen Gedächtnisverlust und irrte nun in der Stadt herum, die Aardman-Crew aber heftete sich an seine Fersen und traf die moralisch nicht ganz unproblematische Entscheidung, nicht helfend einzugreifen.

Verblüffende Möglichkeiten der Mimikry im Tierreich

Man versteht aber warum, wenn man das filmische Ergebnis sieht. Das männliche, noch nicht völlig ausgewachsene Schaf namens Shaun, leicht erkennbar an einem auffälligen, etwas abgeflachten Afro-Wollpuschel auf dem Kopf, zeigte sich einmal mehr als Führer und Vordenker der Herde - die besonderen Fähigkeiten dieses Tiers waren bereits in den allerersten Lehrfilmen von der "Mossy Bottom"-Farm evident, die 2007 um die Welt gingen, der Serie ihren Namen gaben und dem deutschen Publikum in der "Sendung mit der Maus" präsentiert wurden. Es ist das bleibende Verdienst des WDR, diese bahnbrechende Forschungsarbeit von Anfang an als Co-Produzent unterstützt zu haben.

Das Schaf Shaun jedenfalls erkennt die Gefahr, die von der Irrfahrt des Bauern ausgeht, bastelt ein "Vermisst"-Schild aus einem alten Foto und macht sich per Bus auf den Weg in die Stadt, bald gefolgt von der ganzen Herde - die Aardman-Kameras immer dabei.

Die folgenden Szenen, mit denen die Schafe über Tage ihre Anwesenheit unter den Menschen tarnen, sprengen jedwede Vorstellung von den Möglichkeiten der Mimikry im Tierreich und sind eine Sensation - etwa, wenn die Schafe einen Haufen Kleider auf dem Trödelmarkt kaufen und darunter jeweils zu zweit den Gang und das Verhalten eines Menschen imitieren, bis hin zu einem gemeinsamen Restaurantbesuch.

Nach Jahrtausenden der Schafzucht eine ganz neue Perspektive

Gerade in diesen Sequenzen wird deutlich, dass das Aardman-Team unter seinem erfahrenen Leiter Richard Starzak (früher Goleszowski), der die Arbeit mit dieser Herde von Anfang an begleitet hat, hier einem strikten Ethos der Nichteinmischung folgt.

Die Tierfilmer greifen nicht ein, als der immer noch an Gedächtnisverlust leidende Bauer dank seiner Schafscher-Künste ein Starfriseur in der Stadt wird, und sie überlassen es den Schafen selbst, ihn wiederzufinden.

Auf dem Weg dahin zeigen sich auch erstaunliche Belege für gattungsübergreifende Kooperationen im Tierreich - nicht nur, was den treuen Hütehund Bitzer betrifft, sondern auch im Verein mit einem streunenden Hundeweibchen, dessen Ortskenntnis in der Stadt zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor wird.

Alles in allem grenzt es an ein Wunder, dass das Abenteuer gut ausgeht, denn in der Stadt ist auch noch ein besonders aggressiver Tierfänger unterwegs - aber das Vertrauen in die Intelligenz der Schafe, das die Filmemacher hier beweisen, trägt am Ende wunderbare Früchte.

Überhaupt kann der Film als Lehrstück für die Gefahren gelten, die aus Langeweile und Routine erwachsen können. Der tägliche Hahnenschrei, das Aufwachen im Stall, der geordnete Abmarsch auf die Weide, die Anwesenheitskontrolle durch den Hirtenhund - all das schlägt in seiner Einförmigkeit derart auf die Psyche eines intelligenten Schafes, dass unweigerlich Possen und Bubenstücke der Tiere folgen müssen.

Dem Forscher muss widersprochen werden

Hier könnte eine Haltung nach modernsten verhaltenspsychologischen Erkenntnissen, die für Abwechslung sorgt und die Schafe auch geistig mehr fordert, für Abhilfe sorgen. Was im Übrigen, möchte man anfügen, nicht nur für das Tierreich gilt, sondern auch für die artgerechte Haltung des Menschen.

Nach diesem Film jedenfalls ist es nun endgültig an der Zeit, Alfred Brehm zu widersprechen: Shaun und seine Herde zeigen genau das gewandte, behende Wesen, den Mut und die Klugheit, welche er den Schafen noch gänzlich absprechen wollte. Nicht Dummheit, sondern Intelligenz, nicht Charakterlosigkeit, sondern Lernfähigkeit und genuinen Entdeckergeist werden wir in Zukunft mit diesen Tieren verbinden.

Shaun The Sheep Movie, GB 2015 - Regie und Buch: Richard Starzak, Mark Burton. Produktion: Aardman Animation. Kamera: Charles Copping, Dave Riddett. Schnitt: Sim Evan-Jones. Musik: Ilan Eshkeri. Verleih: Studiocanal, 85 Minuten.

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