Süddeutsche Zeitung

"Shanghai" im Kino:Parteinahme der Herzen

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Triaden und Spione: Regisseur Mikael Håfström zeichnet das Shanghai der vierziger Jahre als Schmelztigel von Kulturen und Ideologien, schillernd und düster zugleich. Eine Nazibraut, ein US-Spion und ein chinesisches Gangsterpaar verhaken sich in einander - bis persönliche Zuneigungen über die Politik siegen.

David Steinitz

Wie eine große Hommage an die glanzvollen Augenblicke des amerikanischen Genrekinos der vierziger und fünfziger Jahre kommt dieser Film daher - mit Elementen von Spionagethriller, film noir. "Shanghai" erzählt vom amerikanischen Geheimagenten Paul Soames (John Cusack), der 1941 nach Shanghai geschickt wird, um den Tod eines Freundes aufzuklären. Es ist eine Woche vor dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor, und die Stadt ist ein Pulverfass, ein Gemenge aus chinesischen, japanischen, amerikanischen und nazideutschen Begehrlichkeiten.

Ein historischer Brennpunkt, politische und emotionale Konflikte, schmerzhaft ineinander verhakt, Menschen, in ein undurchsichtiges Spiel verwickelt, immer wieder die Seiten wechselnd . . . "Shanghai" ist kräftiges Produzentenkino, für das sich zwei der erfolgreichsten Produzenten der letzten Jahrzehnte zusammentaten, die an der Geschichte persönlich interessiert waren und sich bestens in der Filmgeschichte auskennen - sie haben sie zum großen Teil mitgeschrieben: Mike Medavoy hat "Apocalypse Now", "Das Schweigen der Lämmer", zuletzt "Black Swan" produziert. Und Harvey Weinstein war, zusammen mit seinem Bruder Bob, der Entdecker von Quentin Tarantino und hat zuletzt den Oscar-Liebling "The King's Speech" gemacht.

Eine Crimestory zwischen chinesischen Triaden und internationalen Spionen, in düsteren Farben erzählt, im ständigen Wechsel von Licht und Schatten, in der das Schicksal als großes Roulette inszeniert ist, in der Tradition von "Casablanca" und Sternbergs "Shanghai Gesture" . . . Die Form dominiert den Inhalt in den großen films noirs aus dem Hollywood der Nachkriegszeit: unendlich melancholische Bilder von Zigarettenrauch, verregneten Nächten, Leuchtreklamen, die sich in Pfützen spiegeln, und großen Schatten auf den Häuserfronten, der spannenden Frage nach dem Whodunnit ebenbürtig.

Doch obwohl "Shanghai" auf den ersten Blick eine sichere Nummer zu sein scheint, will der Film lange nicht so richtig in Fahrt kommen. Denn das Personal ist leider nicht ganz so geheimnisvoll, wie die Bilder suggerieren. Die merkwürdigen, absurden Charaktere, die beispielsweise Roman Polanskis "Chinatown" bevölkern, bewirken, dass man sich willig einer schwer durchschaubaren Geschichte aussetzte - sie bewirken, dass diese Geschichte im Notfall auch egal sein konnte. Doch Regisseur Mikael Håfström, der, neben John Cusack als Spion und Franka Potente als Nazibraut, die ganz großen Stars des asiatischen Kinos besetzt hat, will dieser Clou nicht recht gelingen.

Paul Soames gerät in ein komplexes Beziehungsgeflecht zwischen einem chinesischen Gangsterpaar (Yun-Fat Chow und Gong Li) und einem Geheimdienstoffizier der japanischen Besatzer (Ken Watanabe), es geht um Korruption, Verrat und Widerstand. Die große Weltgeschichte wird im Kleinen abgehandelt. Nur ist über weite Strecken die Stadt der würdigste Hauptdarsteller - die Kulissen von Szenenbildner Jim Clay, der das alte Shanghai in den Studios von London und Bangkok opulent wiederauferstehen ließ, stehlen allen Schauspielern die Schau.

In Richtung Fatalismus

Erst zum Ende hin nimmt der Film, nehmen seine Charaktere wieder Fahrt auf, in Richtung Fatalismus. Dann nämlich, wenn passiert, was immer passiert - und die privaten Beweggründe und Triebkräfte sich als tiefer und nachhaltiger erweisen als die politischen. Dann wird der Film noch zu einer tragischen Lovestory, aus der man gerne den Satz "Das Herz ist niemals neutral" mit nach Hause nimmt.

SHANGHAI, USA 2010 - Regie: Mikael Håfström. Buch: Hossein Amini. Kamera: Benoît Delhomme. Musik: Klaus Badelt. Schnitt: Peter Boyle, Kevin Tent. Mit: John Cusack, Gong Li, Yun-Fat Chow, Ken Watanabe, David Morse, Franka Potente, Jeffrey Dean Morgan, Rinko Kikuchi, Benedict Wong, Hugh Bonneville, Christopher Buchholz. Senator, 105 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2011
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