Shakespeare-Jubiläum:Wie er euch gefällt

Shakespeare-Jubiläum: Der Graffiti-Künstler James Cochran legt letzte Hand an sein Shakespeare-Porträt in der Nähe des Globe Theatre.

Der Graffiti-Künstler James Cochran legt letzte Hand an sein Shakespeare-Porträt in der Nähe des Globe Theatre.

(Foto: Chris J. Ratcliffe/AFP)

Die Hogarth Press hat Autoren beauftragt, Romane nach Dramen William Shakespeares zu verfassen. Die ersten vier erschienenen "Cover-Versionen" machen Lust auf mehr.

Von Alexander Menden

In der jüngeren Vergangenheit sind Neufassungen, Neuerfindungen und Neuinterpretationen großer Werke der Weltliteratur zu einem eigenen Genre geworden. Zuletzt wurde Jane Austen dieser Behandlung unterzogen, wobei den Tiefpunkt sicherlich die Parodie "Stolz, Vorurteil und Zombies" des Amerikaners Seth Grahame-Smith darstellte. Kaum überraschend also, dass William Shakespeare, dessen Tod sich in diesem Jahr zum 400. Mal jährte, eine ähnliche literarische Generalüberholung zuteil wird. Erfreulich ist dabei, dass das Shakespeare-Projekt der Hogarth Press, einer Unterabteilung von Random House, bisher überaus lesbare "Cover-Versionen" von Shakespeare-Stücken hervorgebracht hat. Die Vorgabe an die von Hogarth beauftragten Autoren war denkbar einfach: Jeweils ein Drama Shakespeares in Romanform zu bringen. Wie eng sich das Buch an die Vorlage hält, bleibt dem Autor überlassen. Ziel der Reihe ist es, am Ende sämtliche Dramen in einer Neufassung vorlegen zu können. Die vier bereits veröffentlichten Bände sind tonal und stilistisch sehr unterschiedlich, aber das macht ja letztlich viel vom Reiz eines solchen Unternehmens aus.

Margret Atwood ersinnt eine Intrige um die Aufführung von Shakespeares "Sturm"

Für jeden beteiligten Autor stellt sich die Frage, ob und wie er die Existenz des seiner Neuinterpretation zugrunde liegenden Werkes innerhalb seiner Geschichte anerkennt. Margaret Atwood, die jetzt den jüngsten Beitrag zum Hogarth-Projekt geleistet hat - von ihr stammt das einzige der vier Bücher, das noch nicht auf Deutsch erschienen ist -, geht das Problem gleichsam frontal an: Die Hauptfigur von "Hag-Seed" heißt Felix Philips, war einst der künstlerische Leiter des kanadischen Makeshiweg-Theaterfestivals und drauf und dran, seine Karriere mit einer höchst ehrgeizigen Produktion von Shakespeares "Sturm" zu krönen. Doch sein tückischer Rivale Tony hat dafür gesorgt, dass das gründlich schiefging. Felix verlor seinen Posten unter unschönen Umständen. Nach zwölf Jahren in selbstgewählter Isolation kehrt er zurück, um Rache zu nehmen.

Die Vorlage "The Tempest" ist bei Margaret Atwood also integraler Bestandteil der Handlung. Atwood hat in Felix nicht nur eine eigene, in ihrem eitlen Selbstmitleid sehr komische Prospero-Figur erdacht, Felix sieht sich auch selbst als Inkarnation des entthronten Herzogs von Mailand. Und sein Racheplan ist nicht weniger ausgepicht als jener, den Shakespeares Prospero ersinnt. Er nimmt einen Job als Schauspiellehrer in einem Gefängnis an und plant eine Aufführung seiner "Sturm"-Version mit den Insassen. Um weitere Subventionen zu bekommen, lädt er ein paar Regierungsvertreter ein. Einer dieser Ehrengäste ist sein ehemalige Widersacher Tony, der es mittlerweile zum Minister gebracht hat. Atwoods Caliban und Ariel sind Knastis, die bei Tonys Erniedrigung kräftig mithelfen. In "Hag-Seed" bleibt die verschachtelte Struktur der Selbstbespiegelung der Protagonisten in der Vorlage kein Selbstzweck. Gerade weil er seinen Prospero kennt, kann Felix vermeiden, am Ende so siegreich, aber einsam dazustehen wie dieser.

Nun eignen sich manche Stücke für eine zeitgenössische Behandlung besser als andere. Anne Tyler hatte mit "Der Widerspenstigen Zähmung" zweifellos eine der undankbareren Aufgaben. Als Meisterin eines leicht wirkenden, tatsächlich aber schwer zu treffenden Prosastils hat sie sich mit "Vinegar Girl" (deutsch: "Die störrische Braut") sehr achtbar aus der Affäre gezogen. Schon ihre Aktualisierung des frauenfeindlichen Stoffes, der in einem postfeministischen, amerikanischen Kontext kaum zu rechtfertigen ist, nötigt Respekt ab: Tyler macht daraus eine Greencard-Geschichte. Ihre Widerspenstige Kate Battista ist eine Vorschullehrerin, die kleine Kinder nicht besonders mag. Privat führt sie ihrem Vater den Haushalt. Dr. Battista ist Wissenschaftler und würde seine Tochter gerne mit seinem hoch talentierten russischen Laborassistenten verheiraten. Nur so könnte Pyotr Cherbakov, der kein gültiges Visum mehr besitzt, in Amerika bleiben.

Tyler gelingt die überraschend überzeugende Aktualisierung einer Handlung, die in der Shakespeare-Version hoffnungslos zeitverhaftet und misogyn erscheint - und deren Frauenbild sich doch bei genauerem Hinsehen von dem des frühen 21. Jahrhunderts nicht fundamental unterscheidet. Viele Männer geben Kate, deren Eigenwilligkeit letztlich ein Merkmal ihrer Klugheit ist, das Gefühl, "zu groß, zu mürrisch und zu schockierend" zu sein. Genau darin unterscheidet sich Pyotr von ihnen. Weit entfernt davon, in der Verbindung mit Kate die reine Zweckgemeinschaft zu sehen, die ihr herrischer Vater anstrebt, schätzt er an ihr gerade das, was andere verschreckt. In "Vinegar Girl" muss niemand gezähmt werden. Das ist der vielleicht utopische Aspekt in Anne Tylers virtuoser Verwandlung einer Machostory in ein amerikanisches Märchen.

Einen philosophischen und zugleich resolut fantastischen Ansatz hat der Booker-Preisträger Howard Jacobson für seine Verarbeitung eines der schwierigsten Shakespeare-Dramen gewählt: In "Shylock is my Name" besucht der nominelle Bösewicht des "Kaufmanns von Venedig" eines Tages unangekündigt Simon Strulovitch, einen englischen Kunstsammler und nicht-gläubigen Juden. Beide sind Versionen des jeweils anderen, und sie nähern sich in scharfsinnigen, nicht selten auch scharfzüngigen Streitgesprächen der Kernfrage eines Gutteils von Jacobsons bisherigem Werk an: Was bedeutet es, sich als Jude zu verstehen oder zumindest einer genannt zu werden?

Im Vergleich zu den unterhaltsamen, profunden verbalen Sparrings zwischen Shylock und seinem Gastgeber über große Themen wie Pflicht, Geschichte und Rache, ist die restliche Handlung des Romans eher skizziert als ausgearbeitet. Shakespeares Handlung aufnehmend, lässt Jacobson Strulovitchs Tochter Beatrice ausgerechnet mit einem Fußballer durchbrennen, der gern auf dem Platz den Hitlergruß vollführt. Die Flucht des Paares nach Venedig wird möglich gemacht von Plurabelle, einem Reality-TV-Starlet, und dem schwulen Kunsthändler D'Anton, Strulovitchs Feind. Letztlich wartet man immer auf den nächsten Auftritt Shylocks, der mit Abstand faszinierendsten Figur. Die Juden könnten sich einfach nicht entscheiden, ob sie ihn betrauern, sich von ihm lossagen oder ihn erklären sollten, klagt Shylock in einem Zwiegespräch mit seiner toten Frau. Jacobson selbst liefert in seinem Roman ebenfalls keine Entscheidung, dafür aber einen über weite Strecken virtuosen dialogischen Essay über das Jüdischsein.

Aus Polixenes wird ein Videospiel-Designer mit ambivalenter sexueller Identität

Jeanette Wintersons "The Gap of Time" ist die bisher schnörkelloseste Adaption seiner Vorlage, des "Wintermärchens". König Leontes, der seine Frau Hermione aus ungerechtfertigter Eifersucht einer Affäre mit seinem Freund Polixenes bezichtigt, ist bei Winterson ein Hedgefonds-Manager namens Leo, ein materialistischer, kontrollsüchtiger Unsympath. Aus Hermione wird die hochschwangere französische Sängerin MiMi, aus Polixenes Xeno, ein Videospiel-Designer mit ambivalenter sexueller Identität. Winterson verfrachtet die verwickelte Geschichte der "Winter's Tale" in die Gegenwart der Londoner City, hält sich aber sonst sehr genau an die narrative Struktur des Stücks: Leo wird eifersüchtig auf Xeno, der von einem Mordkomplott gegen ihn Wind bekommt und entkommt. MiMi gebiert eine Tochter, die wie bei Shakespeare Perdita heißt, und die Leo für Xenos Kind hält. Er beauftragt seinen Gärtner, sie loszuwerden.

Die Schwierigkeit bei dieser Übertragung in die Wirklichkeit der modernen Hochfinanz ist, dass die Märchenelemente auf der Strecke bleiben. Sie jedoch sind es, aus denen die ganze seltsam betörende Atmosphäre des Shakespeare'schen Spätwerks hervorgeht. Obwohl die Figuren sogar plastischer sind als in der Bühnenversion, hinterlässt der Wegfall aller übersinnlichen, ätherischen Aspekte der Erzählung eine nicht zu füllende Leerstelle. Wintersons Roman erklärt, wo Shakespeares Drama nur zeigt. Ein befriedigendes Leseerlebnis ist "The Gap of Time" dennoch.

Liest man alle vier bisher erschienenen Bände der Hogarth-Reihe hintereinander, wird einem noch einmal Shakespeares unerreichte Vielschichtigkeit bewusst. Jeder hat sich einen oder mehrere Aspekte herausgegriffen, und daraus ein kohärentes literarisches Ganzes geformt. Und doch böte jedes der bereits gecoverten Stücke genügend Material für ein Dutzend weiterer Romane. Stattdessen stehen im kommenden Jahr vier neue Romane an, basierend auf den vier großen Tragödien: Tracy Chevaliers "Othello", Gillian Flynns "Hamlet", Jo Nesbøs "Macbeth" und Edward St Aubyns "King Lear". Wenn sie die bis hierher von der Hogarth-Reihe gezeigte Bandbreite bestätigen, darf man sich uneingeschränkt darauf freuen.

Margaret Atwood: Hag-Seed - The Tempest Retold. Hogarth, London, 2016. 320 Seiten, 16,99 Pfund. E-Book 12,99 Euro. Anne Tyler: Die störrische Braut. Aus dem Englischen von Sabine Schwenk. 224 Seiten. Howard Jacobson: Shylock. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 288 Seiten. Jeanette Winterson: Der weite Raum der Zeit. Aus dem Englischen von Sabine Schwenk. 288 Seiten. Alle drei Titel sind im Albrecht Knaus Verlag, München 2016 erschienen und kosten 19,99 Euro. Als E-Book 15,99 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: