Shakespeare in Düsseldorf:Gefährlich wie ein vergifteter Dolch

Henry VI & Margaretha di Napoli; Schauspiel Düsseldorf

Mitten drin im rasant sich drehenden Mordgemetzel um die Macht: Margaretha di Napoli (Sonja Beißwenger) und die bald von ihr erledigte Leonore von Gloster (Minna Wündrich) im Schauspielhaus Düsseldorf.

(Foto: Sandra Then)

David Bösch inszeniert Tom Lanoyes furiose Version von Shakespeares "Henry VI." in Düsseldorf.

Von Alexander Menden

England: "Ein Höllenloch, bevölkert nur von Abschaum und Idioten." Nein, es ist nicht Boris Johnsons Brexit-Insel, die Königin Margaretha da beschreibt, sondern ein mittelalterliches Reich auf dem Weg zum Rosenkrieg. Das Schlimmste daran: "Von dem Abschaum ist mein Mann der König!" Man versteht, warum Sonja Beißwengers sehnige Margaretha di Napoli, die Augen schwarzumrandet und gleichermaßen Verachtung wie Entnervtheit verströmend, dieses Verdikt auf die Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses speit. Sie regiert ein Höllenloch - und ihr Mann ist wirklich keine Hilfe.

Heinrich VI. ist vielmehr ein unfassbar schwacher König, neben Richard II. der schwächste im gesamten Werk William Shakespeares. Und doch hat dieser zaudernde, überforderte Monarch einem gigantischen Dreiteiler den Titel gegeben, dem Historiendrama "Henry VI." In Deutschland selten gespielt, entstanden diese frühesten Shakespeare-Stücke möglicherweise in Zusammenarbeit mit Christopher Marlowe. Zeigt man sie ungekürzt, sind sie so ausufernd im Personal, so komplex in ihren historischen Verweisen auf's 15. Jahrhundert, dass ein Abschluss in englischer Geschichte nicht schadet, um zu verstehen, was da eigentlich vorgeht.

Frauen, vor allem Margaretha, sind hier zwar kaum liebenswert, aber sie wissen sich zu behaupten

Für das Düsseldorfer Schauspiel hat David Bösch nun eine rasant verschlankte, dreistündige Version Tom Lanoyes inszeniert. Seit seiner Zusammenarbeit mit Luk Perceval am "Schlachten!"-Zyklus erfahren in der prägnanten Eindampfung historischer Shakespeare-Dramen, hat der Flame aus "Henry VI." vor allem jene Portionen extrahiert, die sich um Margaretha drehen, und daraus ein blutiges Machtgemetzel destilliert. Die Königin erscheint gleichberechtigt im Titel "Henry VI & Margaretha die Napoli", und das zu Recht. Denn die Frauen hier, allen voran Margaretha selbst, sind zwar alles andere als liebenswert, aber bei Gott: sie wissen sich zu behaupten.

Über erdbestreuter, sonst weitgehend leerer Bühne, aus der sich bisweilen eine kleine Thronsaal-Plattform mit goldlackierten Klappstühlen erhebt, hängt drohend eine zehnzackige, später blutbesudelte Eisenkrone ("Game of Thrones", selbst Abklatsch von Shakespeares Rosenkriegs-Zyklus, lässt grüßen). André Kaczmarczyk kauert als prinzlicher Ephebe darunter. Vom Moment an, in dem er als Jüngelchen mit Wollmütze Anweisungen seiner Tante Leonore - einer ambitioniert machiavellistisch agierenden Minna Wündrich - entgegennimmt, weiß man, dass man es hier mit einem netten, frommen Weichling zu tun hat. Er wird den Rankünen seines Hofs zeitlebens ausgeliefert sein.

Während die Reichsgranden sich um die Pfründe zanken, führt der Herzog von Suffolk dem König eine Braut zu, mit der er selbst erotisch verbandelt ist: Margaretha von Anjou (Tochter des späteren französischen Königs von Neapel, daher ihr Adelsprädikat) kommt als Punkbraut im kurzen Rüschenkleidchen und mit Schnürstiefeln an den Hof. Sonja Beißwenger ist als Margaretha immer kontrolliert, oft kokett. Sie spielt die Neuangekommene mit einer wunderbar füchsischen Verschlagenheit, gefährlich wie ein vergifteter Dolch. Erst räumt sie Tante Leonore aus dem Weg, die, nachdem sie sich in einem ironisch kitschigen Goldglitterregen den Griff nach der Macht ausgemalt hat, am Schandpfahl landet. Dann fallen nach und nach die übrigen Höflinge, vom Reichsprotektor Gloster bis zum Bischof von Winchester.

Dann trifft Margaretha auf einen ebenbürtigen Gegner: Richard, "das Ungeheuer"

Margarethas Zuneigung zu Heinrich, die bei Shakespeare immer wieder aufscheint, ist bei Lanoye und Bösch auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung reduziert. Er ist ihr Machtanker qua Stellung, nicht, weil er selbst seine Macht auszuüben wüsste. "Ist das noch dein Land?", fragt der sich in impotent-frommen Beschwichtigungsversuchen erschöpfende König. "Du kannst dir selbst nicht helfen, wie dann ihm?" Die Antwort erübrigt sich. Der Herzog von York, ein brachial-machistischer Jan Maak, hat längst einen Krieg um die Macht im Land entfesselt, in dem sich Margaretha nun allein behaupten muss. Suffolk macht ihr schnell noch ein Kind, bevor Yorks Sohn Roland (eine Verschmelzung der historischen York-Söhne Edward und Edmund) ihn im Akt erdolcht. Im Gegenzug verlieren York und Roland ihren Kopf, gerichtet von einer kalt rasenden Margaretha.

Doch dann trifft sie auf einen ebenbürtigen Gegner: Richard, "das Ungeheuer". Lieke Hoppe sorgt in Dreifachbesetzung sowohl für das narrative Rückgrat des Abends als auch für sein effektivstes darstellerisches Glanzstück. Zu Beginn hat sie sich als transzendente Schwertjungfrau Johanna von Orleans in weißem Gewand gegen Yorks Truppen verteidigt, bis dieser sie auf den Scheiterhaufen brachte. Der Fluch, den Johanna dem Hause York hinterherruft, kostet sie in ihrer zweiten Rolle, als Yorks Sohn Roland, das Leben.

Als sie schließlich als jüngster York-Spross Richard an die Rampe tritt, ist ihre Metamorphose elektrisierend: Wie eine geistig zerrüttete Transgenderversion des Wrestling-Stars "The Undertaker", mit weißlichen Kontaktlinsen und zur Verkrüppelung hochgetaptem Arm, spukt und geifert Hoppe in Bruchstücken des Anfangsmonologs von "Richard III." ihren Welthass, ihre Rachsucht ins Auditorium. Das Mitgefühl Heinrichs sogar für dieses Scheusal belohnt Richard mit einem Schwerthieb - und setzt sich selbst die Krone auf. Es kann nicht anders sein: Den Schwerkampfshowdown mit diesem gottverlassenen, calibanhaft tragischen Monstrum muss Margaretha selbst austragen.

Tom Lanoyes furioses Textkonzentrat und Böschs kongeniale, als wirkungsvolles Crescendo der Gewalt angelegte Umsetzung haben aus "Henry VI." ein Drama mit Reißwolfeffekt gemacht: Alle, die der Macht zu nahe kommen, werden darin zerfetzt: Männer wie Frauen. Dabei deutet der Abend das historische Hinterland der Vorlage gerade so weit an, dass kein Zweifel bleibt: Früher war es genauso schlimm, und in Zukunft wird es wohl noch schlimmer.

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