Sexistische Werbung:"Deutschland ist ein sehr maskulines Land"

Werbung aus Schweden

So bewirbt Dove seine Männer-Pflegeserie in Deutschland - in Schweden genügt dem Kosmetikkonzern ein junger Mann im Bild, der mit seinem Kind spielt.

(Foto: Dove)

Busen und Po im Auto-Spot? In Deutschland ganz normal, in Schweden Anlass für eine Anzeige beim Werberat. Die Skandinavier finden: Sexistische Werbung diskriminiert nicht nur Frauen.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Wie bewirbt man eine Hautcreme für Männer? Auch bei einer für experimentelle Werbung durchaus aufgeschlossenen Kosmetikmarke scheint das klar zu sein: mit Dirndl und Hendl - zumindest in Deutschland. Die schwedische Variante der Kampagne "Dove Men + Care" sieht ganz anders aus: Anstelle ausladender Ausschnitte und fetten Fleisches wird hier schlicht ein junger Mann gezeigt, der enthusiastisch mit seinem Kind spielt. Dieselbe Marke, im selben Zeitraum, dasselbe Produkt, und doch so unterschiedliche Werbung - wie kann das sein? Die deutsch-schwedische Journalistin Suzanne Forsström hat eine Erklärung dafür: "Werbung reflektiert Normen, Werte und die Kultur eines Landes, und da gibt es deutliche Differenzen zwischen Deutschland und Schweden."

Billig, doof, nackt oder am Herd

Sie und die anderen Teilnehmerinnen des "Deutsch-schwedischen Dialogs zu Geschlechterrollen in Werbung und Gesellschaftskommunikation", der jetzt in der schwedischen Botschaft in Berlin stattfand, haben viele weitere Beispiele parat: In Schweden wirbt etwa der Baumarkt "Bauhaus" mit einem glücklichen Paar für gemeinsames Werkeln. Wobei Mann und Frau sich gleichermaßen begeistert zeigen, fast schon ekstatisch. In deutscher Werbung sieht weibliche Begeisterung so aus: In einem Spot für den Modeversand Bon Prix schmachtet eine Frau einer anderen hinterher - weil die so hübsch angezogen ist. Dabei steht die Bewundererin am Fenster der heimischen Küche und versucht ihrem Mann ein Pausenbrot zu schmieren, was dann auch noch gründlich schiefgeht.

sexistische werbung frau mann

Man kann auch ohne Sexismus für Männerhautcreme werben. In Schweden jedenfalls.

(Foto: Dove)

Der Vergleich bringt es auf den Punkt: Schwedische Spots versuchen eine gleichberechtigte Gesellschaft zu demonstrieren, deutsche zementieren eher die althergebrachte Rollenverteilung. Ausnahmen gibt es, und auch beim nordischen Nachbarn ist nicht alles Knäckebrot, was knackt. Doch die typisch sexistische Werbung mit viel Po und noch mehr Busen für Produkte, die mit den dargestellten halbnackten Frauen rein gar nichts zu tun haben, kommt in Deutschland wesentlich öfter vor als in Schweden, da sind sich hier alle einig.

Deutschland hat ein Problem mit der Gleichberechtigung

Wenn man die schwedische Ombudsfrau Elisabeth Trotzig fragt, dann liegt das daran, dass sie und der schwedische Werberat ein strengeres Auge auf die Werbung haben. Aber auch die schwedische Bevölkerung sieht genauer hin: Das Bewusstsein für sexistische Werbung und Geschlechterdiskriminierung sei in Schweden ungleich höher, es werde viel mehr Nackt-Werbung angezeigt, geprüft und öffentlich angeprangert. Und im Gegensatz zu Deutschland werde sexistische Werbung publikumswirksamer gerügt. Eine Werbung wie für den Online-Elektrohändler Redcoon etwa, in der Micaela Schäfer und Gina-Lisa-Lohfink mit ostentativem Billig-Image für billige Preise werben sollen, sei in Schweden "unvorstellbar".

Dass Deutschland ein größeres Problem mit der Gleichberechtigung hat, wurde zuletzt durch die Aufschrei-Debatte deutlich; der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen ist laut einigen Statistiken europaweit auch der größte: 22 Prozent. Ist also die Werbung Ausdruck dieses Misstandes - oder trägt sie sogar noch dazu bei?

Sexistische Werbung verbieten?

Für Christina Knight, Chefin der Stockholmer Agentur Ingo - Ogilvy & Grey, gilt beides. In ihrem Buch "Mad Women" schreibt sie, dass sich auch in Schweden seit den berühmten "Mad Men" der 60er Jahre erstaunlich wenig bewegt habe und die meisten Agenturchefs immer noch Männer sind. Was schlecht für die Wirtschaft sei - der weibliche Blickwinkel auf die Produktwelt fehle. Und das, obwohl die weitaus meisten Kaufentscheidungen von Frauen getroffen würden.

Dass sich die Strukturen und auch das Denken langsam ändern, weiß Stefanie Wurst zu berichten. Als Marketingleiterin von BMW muss sie dann aber einräumen, dass Autowerbung weiterhin eher aus männlicher Perspektive betrieben wird. Fortschritte seien sichtbar, aber noch klein.

Viel zu klein - sogar im fortschrittlichen Schweden - findet diese Clara Berglund von der feministischen Organisation Reklamera. Solange dort Prostitution zwar inzwischen verboten, Werbung für Stripclubs aber immer noch erlaubt sei, gebe es viel zu tun. Das sieht ihre deutsche Kollegin Stevie Schmiedel von der Initiative Pinkstinks anders: Prostitution zu verbieten, sei nicht der geeignete Weg, mit Geschlechterungleichheit umzugehen - wohl aber ein Verbot von sexistischer Werbung, auch in Deutschland.

Die Initiative Pinkstinks fordert, "gegen Produkte, Werbeinhalte und Marketingstrategien" vorzugehen, "die Mädchen eine limitierende Geschlechterrolle zuweisen", und kämpft für eine entsprechende Gesetzesvorlage hierzulande. Und das nicht allein für Frauen. Auch Männer würden schließlich durch sexistische Werbung limitiert und auf ihre niederen Instinkte beschränkt, betont der Presseattachée der schwedischen Botschaft, Christian Berg.

"Eine ganz andere Sicht auf Geschlechterrollen"

Warum hinkt nun Deutschland Schweden so hinterher, warum ist sexistische Werbung hierzulande anscheinend unangefochten? Suzanne Forsström hat eine Erklärung: "Deutschland ist ein sehr maskulines Land". Das habe eine Studie ergeben, die 53 Länder verglichen hat. Auf einem Index von 1 bis 100 erreicht Deutschland einen "Männlichkeits-Index" von 66 und ist damit unter den Top Ten weltweit. Auf Platz 1 liegt Japan. Schweden hingegen kam auf nur fünf Männlichkeits-Punkte, den niedrigsten Wert aller verglichenen Länder, und sei somit ein "sehr weibliches Land".

Die Konsequenzen: "Andere Werte, andere Gesetze und eine ganz andere Sicht auf Geschlechterrollen", so Forsström. Als typisch männlich geltende Werte wie Wettbewerb, Zielstrebigkeit, Kraft und Erfolg würden in Schweden zunehmend weiblicheren Werten wie Kooperation, Konsens, Gleichheit und Solidarität weichen.

Kann oder will Deutschland das nicht auch? Nur wie? Presseattachée Wiebke Ankersen glaubt, dass die sozialdemokratische Politik in Schweden lange genug habe gewähren können, um ihre sozialen Ziele auf längere Sicht umzusetzen. Das Vertrauen in Regierungsmaßnahmen sei in Deutschland aus "historischen und gut nachvollziehbaren Gründen" grundsätzlich viel weniger ausgeprägt, was die Umsetzung auch fortschrittlicherer Maßnahmen manchmal vergleichsweise schwierig mache.

Und das, obwohl in Deutschland seit geraumer Zeit eine Frau Bundeskanzler ist.

Eine Ausstellung über schwedische Werbung und ihre Besonderheiten ist noch bis zum 23. Januar in der schwedischen Botschaft in Berlin zu sehen. Weitere Infos hier.

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