Sexismus in Hollywood:Die Stadt der Heuchler

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Wird die Erschütterung über die Weinstein-Enthüllungen das System Hollywood reformieren? Der Wunsch ist da, aber die Probleme reichen tief.

(Foto: imago/Rüdiger Wölk; Illustration: SZ/Özer)

Die Reaktionen auf den Skandal um Harvey Weinstein zeigen, wie scheinheilig Hollywood mit Sexismus umgeht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Zum Beispiel Meryl Streep, Golden Globes 2012, gerade als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. "Das ist mir so unangenehm", sagt sie: "In einem Jahr, in dem es so viele tolle Leistungen von Frauen gegeben hat." Sie wirkt verblüfft, aber mal ehrlich: Streep ist die beste Schauspielerin der Welt, die kann auch Verblüffung. Sie lobt Kolleginnen und freut sich über die vielen anspruchsvollen Rollen für Frauen in diesem Jahr, Gleichberechtigung ist gerade ein bedeutendes Thema. Dann sagt sie: "Ich möchte noch Gott danken, also Harvey Weinstein." Gelächter im Saal.

Weinstein war in Hollywood: ein Gott. Er hat Stars erschaffen und sie ins Paradies geführt. "Der Bestrafer aus dem Alten Testament", fügt Streep hinzu. Dieser Gott ist bekanntlich zornig und rachsüchtig, bei Ungehorsam hetzt er einem Plagen auf den Hals. Weinstein hat Karrieren zerstört und Leute in die Hölle geschickt. Jeder hat das gewusst.

Weil das Gutmenschentum hier so ausgeprägt ist, fällt die Heuchelei noch stärker auf

In den Kommentaren aber, mit denen Hollywood auf die Enthüllungen rund um Weinstein und auf seinen tiefen Fall reagiert, geht es meist nur sehr kurz darum, dass der Mann junge Schauspielerinnen vergewaltigt, genötigt und sexuell belästigt haben soll. Das Statement von Streep etwa ist 165 Wörter lang, 99 davon sind ein Freispruch von Streep für Streep. Da steht etwa: "Nicht jeder wusste Bescheid." Und: "Ich wusste nichts von den finanziellen Einigungen mit Schauspielerinnen." Und: "Ich wusste nichts von den Treffen in seinem Hotelzimmer, seinem Badezimmer, oder anderen unangebrachten und erzwungenen Handlungen."

Sie geben sich fortschrittlich, kosmopolitisch und liberal in Hollywood, sie setzen sich für Vielfalt und Gleichberechtigung und Umweltschutz ein oder schimpfen auf Chauvinisten wie Donald Trump, den Pussygrabber-in-Chief. Die Reaktionen auf den Skandal um Weinstein zeigen aber auch, was für ein heuchlerisches Dorf dieses Hollywood sein kann. Weil das Gutmenschentum hier so ausgeprägt ist, fällt die Heuchelei noch stärker auf. Sie sind gegen Rassismus und vergeben die wichtigsten Preise dennoch häufig an hellhäutige Schauspieler. Sie kämpfen für Gleichberechtigung und bezahlen Frauen noch immer meist weniger als Männern. Sie wettern gegen Sexismus und wollen nun von alledem, was Weinstein so getrieben haben soll, nichts gewusst haben.

Der Drehbuchautor Scott Rosenberg wurde in den frühen Neunzigerjahren Teil der Weinstein-Clique, Harvey und sein Bruder Bob glaubten an ihn, förderten ihn, nahmen ihn mit auf die begehrtesten Partys und produzierten seine ersten Kinofilme, "Things to Do in Denver When You're Dead" und "Beautiful Girls". Nun schreibt Rosenberg auf seiner Facebook-Seite, schon damals habe er Weinsteins Gier, seine Getriebenheit, seine Belästigungen und seine Rachsucht hautnah mitbekommen - und nichts dagegen unternommen.

Aber eben nicht nur er: "Everybody-fucking-knew." Jeder hat es verdammt noch mal gewusst, wenn auch vielleicht nicht in der ganzen Tiefe der Abgründe, die sich jetzt auftun. "Wir haben die Eier dieser goldenen Gans wirklich, wirklich, wirklich, wirklich genossen, also waren wir bereit, über alles andere hinwegzusehen", schreibt Rosenberg: "Ich habe nichts gesagt. Ich habe nichts getan. Harvey war stets wunderbar zu mir. Also habe ich die Belohnungen genommen und die Schnauze gehalten."

Everybody-fucking-knew. Wer jedoch die Augen schließt und sich die Ohren zuhält, der darf nachher behaupten, dass er nichts gesehen oder gehört hat. Jeder in Hollywood kennt noch viel mehr Geschichten, von denen viele nicht öffentlich bekannt sind. Everybody fucking knows.

Drei Beobachtungen: Die "Besetzungscouch" ist kein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, es gibt sie noch immer. Es heißt jedoch nur selten: "Guck mal, dieses Schwein missbraucht seine Macht und geht mit jungen Frauen ins Bett." Sondern: "Schau dir diese Schlampe an. Die hat die Rolle nur bekommen, weil sie mit dem Produzenten gevögelt hat."

Es gibt in Hollywood noch immer viel zu wenig anspruchsvolle Rollen für Frauen

Zweitens: Das gibt es in allen Branchen, überall auf der Welt. Manche Erzählungen von Firmenfeiern klingen doch ganz genau wie die Berichte über Weinstein. Und: Männer gaben ihm weiter die Hand, so wie ein Hund seinem Herrchen die Pfote reicht. Frauen küssten ihn auf die Wange, viele auch auf den Mund. Es wussten immer alle, wer der Gott im Raum war.

Drittens: Wenn Leute nun unter dem Titel #MeToo ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung veröffentlichen, dann nennen sie noch immer nur sehr selten den Namen des Täters. Es heißt meistens: ein Vorgesetzter. Oder: ein Kollege. Ganz offensichtlich haben die Opfer große Angst davor, dass der Täter so mächtig ist wie der Gott aus dem Alten Testament und dass er all jenen Plagen auf den Hals hetzt, die ihn anschwärzen.

Es gibt in Hollywood noch immer viel zu wenig anspruchsvolle Rollen für Frauen, der Konkurrenzkampf ist enorm. Es entsteht ein Ungleichgewicht, wenn viele wollen, was nur wenige haben können. Viele Schauspielerinnen flüstern einem zu, dass es in Hollywood unendlich viel Neid und Missgunst gäbe und kaum echte Freundschaften. Wer vorankommen will, nicht nur in der Unterhaltungsbranche, der muss nett sein zu dem, der einen weiterbringen kann - und manche sind, so der Vorwurf auch untereinander, netter als andere. Everybody fucking knows.

"Am Ende des Tages kümmert sich jeder nur um seine eigene Karriere", sagt Mel Gibson

Bitte nicht falsch verstehen: Das Engagement der Hollywoodstars ist wichtig, die Stars sollen helfen und in ihren Dankesreden auf Missstände aufmerksam machen, sonst wird die Welt niemals ein besserer Ort. Wer jedoch über andere spricht, der redet immer auch ein bisschen über sich selbst - und wer über Sexismus und Rassismus redet, der spricht immer auch ein bisschen darüber, was für ein toller Mensch er doch ist, weil er sich gegen Sexismus und Rassismus einsetzt.

Oscars 2017. Die Afroamerikanerin Viola Davis wird als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. Die Filmindustrie feiert sich für diesen Fortschritt, schließlich waren zwei Jahre davor alle 20 nominierten Schauspieler hellhäutig gewesen. "Seien Sie bitte nicht so naiv", sagte Viola Davis dem Reporter schon ein paar Tage vorher: "Es gibt noch immer ein Ungleichgewicht. Es gab im vergangenen Jahr eine Fülle an faszinierenden Filmen für afroamerikanische Frauen. Das kann im kommenden Jahr schon wieder ganz anders aussehen."

In diesem Jahr als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet: Casey Affleck, der davor wegen sexueller Belästigung verklagt worden ist und sich außergerichtlich geeinigt hat. Nominiert als bester Regisseur: Mel Gibson. Der hatte sich antisemitisch und menschenverachtend geäußert, eine Polizistin beschimpft und seine ehemalige Freundin bedroht. Zehn Jahre lang gilt er als geächtete Person in Hollywood, dann kehrt er zurück. Mel Gibson sagte beim Treffen mit dem Reporter, und das klingt vielleicht nicht nett, aber wenigstens ehrlich: "Letztlich interessiert sich niemand einen Dreck für dich! Am Ende des Tages kümmert sich jeder nur um seine eigene Karriere und seine eigenen Probleme. Hollywood ist ein Geschäft und keine gemeinnützige Einrichtung. Es gibt in diesem Geschäft großartige Typen, und es gibt Hurensöhne."

Was Gibson sagt, gilt nicht nur in Hollywood, sondern fast überall auf der Welt: Solange einer auf dem Spielfeld liefert, hat es die Leute nicht zu interessieren, was er abseits davon macht. Erst wenn es so viel Dreck gibt, dass er nicht mehr unter einen Teppich passt, wird der Schmutzfink angeklagt. Und dann sagen viele, dass sie nichts gewusst hätten von all dem Dreck, der oftmals jahrzehntelang unter den Teppich gekehrt worden ist. Wer die Augen schließt und sich die Ohren zuhält, der darf nachher behaupten, dass er nichts gesehen oder gehört hat.

Rosenberg schreibt dazu: "Du weißt, wer du bist. Du weißt, dass du davon gewusst hast. Und weißt du, woher ich weiß, dass du davon gewusst hast? Ich war dabei, genauso wie du. Jeder hat es verdammt noch mal gewusst."

Wer über andere spricht, der redet immer auch ein bisschen über sich selbst. Es ist deshalb bei den Reaktionen immer auch interessant, was nicht gesagt wird. Kaum jemand erklärt, dass er nie wieder mit Weinstein zu tun haben möchte. Es geht nicht nur ums Wegsehen und Weghören oder ums Vergessen und Verzeihen, wahrscheinlich geht es einfach nur darum: Weinstein könnte zurückkommen, irgendwann, und dann dürfte sich dieser alttestamentliche Hollywood-Gott sehr wohl daran erinnern, wer ihm damals die Gefolgschaft gekündigt hat.

Am Ende noch eine Beobachtung von der Oscarverleihung 2003. Roman Polanski wird als bester Regisseur ausgezeichnet. Er kann die Statue nicht persönlich in Empfang nehmen, er darf als Flüchtling vor der amerikanischen Justiz nicht in die USA einreisen, bis heute entzieht er sich einem endgültigen Urteilsspruch wegen "ungesetzlichen Geschlechtsverkehrs" mit einer 13-Jährigen. Everybody fucking knows. Als Polanski geehrt wird, erheben sich viele Leute und applaudieren. Harvey Weinstein zum Beispiel. Und Meryl Streep.

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