Juli 2017. Berlin. Ich stehe nach einer Lesung mal wieder als einzige Frau in einer biertrinkenden Männergruppe - und trinke Cider. Mit ein paar von ihnen habe ich in Hildesheim "Kreatives Schreiben" studiert und wir sprechen über die aufkommende Sexismus-Debatte am dortigen Literaturinstitut.
Im Mai hatte ein anonymer Text von Studierenden der Institutsleitung Sexismus vorgeworfen und damit für viel Wirbel gesorgt. Der sehr wütende Text war schon wenige Stunden nach seinem Erscheinen nur noch unter der Hand zu bekommen. Die Diskussion kochte dennoch hoch, die Kulturzeitschrift Merkur bot sich als Plattform für ein Dossier an, das aus Texten zum Thema "Sexismus an Schreibschulen" bestehen sollte.
Mein Cider ist schon halb leer, als ich in dieser Nacht in Berlin den Männern um mich herum erzähle, dass ich mich mit einem Text an diesem Dossier beteiligen werde. Es gibt ein paar ironische Bemerkungen und dazu belustigtes Grinsen, genervtes Auf-den-Boden-schauen, Schnell-noch-einen-Schluck-Bier-nehmen.
Die typischen Reaktionen also, wenn sich eine meiner Kommilitoninnen über sexuelle Diskriminierung beschwert hat. In den seltensten Fällen werden solchen Vorwürfen Worte entgegengesetzt. Meistens ist es einfach nur Lächeln - und Schweigen.
Einer von den Kommilitonen will aber wissen, worüber ich denn da genau schreiben wolle. Also erzähle ich von Textwerkstätten, in denen die Studentinnen in der Mehrheit waren, aber kaum zu Wort kamen. Davon, dass es nie mehr als eine Dozentin gab und Studenten es ablehnten, Seminare bei genau dieser Frau zu besuchen.
Wieso gibt es im Jahr 2017 überhaupt noch Sexismus an so einem Ort?
"Du weißt doch selbst, wie es war", sage ich. "Feministin war ein Schimpfwort für Frauen, die den Mund aufmachten. Die 'Kuwi-Mädchen' hatten keine Namen, sondern hießen 'die mit den spitzen Titten' oder 'die mit dem geilen Arsch'. Kein Dozent musste die nach ihrem Namen fragen, die im Seminar davor gerade zehn Minuten Bret Easton Ellis mit David Foster Wallace verglichen hatten. Und erst recht nicht die, die noch ein paar Stunden zuvor in einer Kneipe mit ihm Wodka verkleckert hatten."
"Und?", sagt er. "Das ist doch überall so."
"Ich weiß", sage ich. "Macht es das weniger wichtig, darüber zu schreiben?"
Denn die Frage ist doch: Wieso gibt es überhaupt noch Sexismus an so einem Ort? Im Jahr 2017? In einem künstlerisch-akademischen Milieu, in dem sich die Mehrzahl als links-liberal bezeichnen würde. Parameter, die sich nicht nur auf sämtliche kulturwissenschaftliche Studiengänge übertragen ließen, sondern auf eine Vielzahl anderer akademischer Bereiche, in denen eine erhöhte Sensibilität für diese Mechanismen vorhanden ist.
Es ist ein Trugschluss, dass Sexismus nur noch etwas für Uni-Seminare ist
"Wo werde Frauen denn noch der Po getätschelt", denken in diesem Milieu wahrscheinlich viele, "außer in entsprechenden Etablissements auf der Reeperbahn?" Wo würde denn noch über den Herrenwitz gelacht, außer um vier Uhr morgens nach einem Saufgelage beim Kölner Karneval?
Mit Sexismus müsse man sich doch eigentlich nur noch in Seminaren von Gender-Studies-Studiengängen beschäftigen, um Verhaltensweisen derer zu beschreiben, die noch nie eine Universität von innen gesehen haben. Oder?
Oder auch nicht. Denn dass das ein Trugschluss ist, wissen wir nicht erst, seitdem Studierende in zahlreichen Texten auf Sexismus an ihren Hochschulen aufmerksam machen.
Elisabeth Hanzl und Sissi Luif haben sich in ihrem Essay "Das Biertrinken und die männliche Hegemonie" mit Verhaltensmustern in linken, unipolitischen Gruppen auseinandergesetzt. Ihre Argumentation basiert auf der Theorie der hegemonialen Männlichkeit von Raewyn Connell, die beschreibt, wie Hierarchien unter Männern, aber auch zwischen den Geschlechtern hergestellt werden.