Serien-Finale:Schwer bewachtes Killer-Gemüse

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Stephen King gibt seinem pensionierten Polizisten Bill Hodges einen letzten Fall. Der Rentner muss es mit einem alten Widersacher aufnehmen. Leser kennen ihn als Mr. Mercedes aus dem gleichnamigen ersten Band der Reihe.

Von Willi Winkler

Wer sich satt und matt gesehen hat an diesen ewigen leidenden "Tatort"-Kommissar(inn)en - geschieden, magenkrank, kinderproblembewusst oder auch nur von allgemeinem Weltschmerz traumatisiert -, darf bei Stephen Kings neuem Roman nicht auf Erleichterung hoffen, denn dort wird ihm das ganze Elend gleich in gewagter Überdosis serviert. Der pensionierte Polizist Bill Hodges drängt sich in einen letzten Fall, obwohl ihm die Krebsdiagnose inklusive unmittelbar bevorstehendem Ende doch jeden Ehrgeiz nehmen sollte. Es wird unweigerlich ein sogenannter Wettlauf mit dem Tod.

Hodges ringt nämlich nicht bloß mit seiner letalen Erkrankung, mit dem Misstrauen seiner ehemaligen Kollegen, mit Behördenarroganz und dito Willkür, er hat auch noch Holly Gibney an seiner Seite, das bewährte Hascherl, das nach Hausmütterchenart vor Sorge um ihn schier vergeht. Und um die heilige Familie der Außenseiter komplett zu machen, taucht als lebensrettender Halbgott ex machina zuletzt auch noch Jerome Robinson auf, eine einzige gut aussehende Entschuldigung dafür, dass die weißen Amerikaner sich die Schwarzen einst als Sklaven hielten.

Stephen King: Mind Control. Roman. Aus dem Englischen von Bernhard Kleinschmidt. Heyne Verlag, München 2016. 528 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro. (Foto: verlag)

Vor diesem Scheusal ist sogar Selbstmord eine Rettung

Erfreulicherweise reißt King in diesem dritten und naturnotwendig letzten Roman um den unterbeschäftigten Rentner Bill Hodges irgendwann doch der Kummerbund aus Sozialkritik und Altersachtsamkeit; er lässt das Missmarpeln sein und kehrt auf sein bewährtes Terrain zurück: den unbegreiflichen, den grauenhaften, den scheinbar niemals endenden Horror. Brady Hartsfield, der als Mr. Mercedes im gleichnamigen ersten Roman der Reihe aus Ruhmsucht, Geltungsbedürfnis und schlichtem bösen Wollen in eine Gruppe Arbeitssuchender raste, konnte am Ende dieses ersten Bandes gerade noch daran gehindert werden, alle Besucher eines Konzerts umzubringen. Ein schwerer Schlag auf den Kopf hat ihn unschädlich gemacht. Als unheilbar Dementer kann er nicht einmal mehr vor Gericht gestellt werden, sondern west als schwer bewachtes und mit nicht geringer Ehrfurcht bestauntes Monster in Zimmer 217 des Krankenhauses vor sich hin.

Der Zombie kann nach Zombie-Art nicht sterben, er wird sogar so lebendig, dass er andere und am liebsten die Opfer, die bei seinem ersten Anschlag mit dem Leben davongekommen sind, in den Selbstmord treibt. Wie Hartsfield das anstellt, kann natürlich nur gegen Erlag des Kaufpreises für das Buch verraten werden. Es hat mit einem Computerspiel aus der mittleren Steinzeit des Daddelns zu tun, mit Aufmerksamkeitsökonomie und genügend unterirdischer Übernatürlichkeit, dass auch der Skeptiker mit trockenem Mund weiterliest.

King hat offensichtlich so viel Freude an diesem Scheusal gefunden, dass er ihn unmöglich als schwer bewachtes Stück Gemüse in einer abgeschotteten Abteilung des Krankenhauses vermodern lassen konnte. Mit einem quasigöttlichen Odem, über den nur große Autoren verfügen, musste er Brady Hartsfield, diesem großen Bösen der schwärzesten Romantik, ein neues, noch abscheulicheres Leben einhauchen. Ohne sich von seinem Siechenlager fortzubewegen, ergreift er von anderen Menschen Besitz, indem er sich in ihren Kopf hineinarbeitet. Sie wollen dann sterben. "Mord ist keine Kontrolle, Mord ist einfach nur Mord", grübelt dieser Techniker der vollständigen Überwältigung. "Suizid ist Kontrolle."

Dass es möglich sein sollte, selbst noch mit einem sauber kaputt gehauenen Gehirn so viel geistige Macht über andere zu gewinnen, dass sie sich in den Selbstmord retten wollen, muss niemand glauben, es ist aber in der detaillierten Art, wie King diese Machtergreifung des Bösen beschreibt, gleich wieder so zwingend, als wenn es doch möglich sein könnte. Fritz Lang hat es schon vor achtzig Jahren mit seinem Doktor Mabuse vorgemacht, und seither sind genug Sekten ihrem Führer bis in den Tod gefolgt.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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