Serie: Pop, was nun? (5):Big Mac und Tafelspitz

Nur Vielfalt wird die Plattenfirmen retten / Von Tim Renner

Ist es nicht faszinierend zu wissen, dass der Big Mac in Rotorua, Neuseeland, genauso schmeckt wie am Bahnhof Zoo? Vorausgesetzt natürlich, der Franchise-Nehmer beachtet die Zubereitungsvorschriften der McDonald's Inc., was in der Berliner Bahnhofsfiliale nicht immer der Fall ist. Die Bulette zwischen zwei Brötchenhälften also gibt einem idealerweise zwischen London und Peking das Gefühl von Heimat - der Esser wird gewissermaßen zum Weltbürger. Dass etwas überall gleich ist, weiß man allerdings nur zu schätzen, wenn daneben vieles anders schmeckt als anderswo. McDonald's ist demnach weder böse, überflüssig oder generell unappetitlich. Das wäre nur dann der Fall, wenn es nicht überall auch lokale Gastronomie gäbe. International agierende Musikkonzerne nun funktionieren bei der Durchsetzung ihrer globalen Künstler nach eben diesem McDonald's-Prinzip - ich weiß wovon ich rede, das Fett aus der Friteuse klebt noch an meiner Schürze.

Serie: Pop, was nun? (5): "International agierende Musikkonzerne nach dem McDonald's-Prinzip - ich weiß wovon ich rede, das Fett aus der Friteuse klebt noch an meiner Schürze." Tim Renner war bis Ende Januar Deutschlandchef der Plattenfirma Universal Music.

"International agierende Musikkonzerne nach dem McDonald's-Prinzip - ich weiß wovon ich rede, das Fett aus der Friteuse klebt noch an meiner Schürze." Tim Renner war bis Ende Januar Deutschlandchef der Plattenfirma Universal Music.

(Foto: Foto: dpa)

Noch ein Exkurs: Die ersten authentischen, unzensierten Meldungen über den Einzug der Amerikaner in Bagdad kamen über das Internet. Ein jugendlicher Iraker schilderte den Teilnehmern seiner Newsgroup zu Skate-Musik in Echtzeit, was er draußen sah. In seiner Sprache, seinen Codes - denn er war Teil einer globalen Jugendbewegung. Kein komischer Junge mit einem merkwürdigen Tuch um den Kopf, irgendwo weit weg am Tigris, sondern einer von ihnen, egal wo auch immer sie saßen. Das schafft nur Musik.

Sie kreiert ein globales Verständnis, einen kulturellen Code, eine übergreifende Verbundenheit. Damit das gelingen kann, braucht es eine weltweite Vermarktung, die zentral gesteuert darauf achtet, dass der Inhalt nicht beschädigt, sondern authentisch wiedergegeben wird. Dafür wiederum sind globale Musikkonzerne notwendig. Gestern, heute, morgen. Der Big Mac muss überall gleich schmecken. "Musikkonzerne sind wie McDonald's" ist also als Kompliment gemeint. Die Majors nämlich haben es immer wieder geschafft, stimmige internationale Szenen und Stars aufzubauen. Es gibt keinen Grund, warum sich das ändern sollte.

Nur die Rahmenbedingungen werden aufgrund von illegalen Downloads, CD-Brennen und generellen Marktveränderungen - Klingeltöne statt Single-CDs, mobile Logos statt Fanplakate -, entschieden härter. Daran leidet auf Dauer all das, was international nur bedingt verwertbar ist: Es ist ein zwingendes ökonomisches Prinzip, dass Ressourcen konzentriert werden, wenn die Einnahmen knapp werden. Sie werden dort gebündelt, wo sie versprechen, die höchste Rendite abzuwerfen. Das ist nicht kulturimperialistisch, schon gar nicht im Sinne einer anglo-amerikanischen Unterjochung der Welt, das ist einfach logisch. Und gehorcht einem ökonomischen System, das unsere Gesellschaft als gültig akzeptiert. Um es einfach zu sagen: McDonald's hätte kein Problem damit, Eisbein weltweit anzubieten - wenn es dafür eine gesicherte Nachfrage spürte.

Musikkonzerne jedoch sind keine Kulturbehörden und McDonald's nicht der Wächter der Haute Cuisine. Schon gar nicht in Zeiten, da Plattenfirmen ihre ganze Kraft darauf verwenden müssen, sich total umzustellen: aus Tonträgerfirmen müssen wahre Musikrechteunternehmen werden. Überleben kann nur, wer Rechte schafft, sie gesamtheitlich verwertet oder zumindest an der gesamten Verwertungskette beteiligt ist. Das heißt Expertise aufzubauen, die bislang nicht vorhanden ist. Das bedeutet auch: Nähe zum Künstler. Und Investitionen in einen fallenden Markt. Keine Sache für Manager mit schwachen Nerven.

Der physische Träger CD taugt als Haupteinnahmequelle nicht mehr, Vertriebs- und Absatzwege müssen neu gedacht werden. Nicht einfach für Weltunternehmen, die zentral gesteuert sind. Denn ein Konzernhauptquartier wird sich wie die Gänsemutter immer am langsamsten Abkömmling orientieren, damit alle mitkommen. Das lahme Küken bestimmt die Geschwindigkeit. In diesen schnellen Zeiten keine gute Idee.

Eigentlich ist dies die Stunde der Indies, der unabhängigen, kleinen Plattenfirmen. Damit sind nicht nur die Sternegastronomie mit ihren Spitzenqualitäten gemeint, das gilt auch für die Frittenbude um die Ecke. Es geht nicht um Gut (Indie) oder Böse (Major) - dieser Gegensatz sollte seit Mitte der Achtziger eigentlich vorbei sein. Die meisten Indie-Verträge, die ich in meinem Leben gesehen habe, waren knebelnder als das, was aufgeklärte - Ja, die gibt es! - Konzernjuristen fabrizieren. Es geht ausschließlich um lokal versus global. Lokal muss man sich nicht abstimmen, lokal lässt sich Wirklichkeit leichter gestalten, lokal kann Repertoire viel schneller Authentizität schaffen, weil es auf einer real existierenden Identität aufbaut. Natürlich geht es auch um große oder kleine Strukturen: Headquarter versus Hinterhofbüro - selbstredend fallen in letzterem die Entscheidungen schneller und konsequenter. Heißt das, der Hamburger Royal wird vom Leberkäse verdrängt?

Jein. Die Indies haben eine wichtige Aufgabe und im partiellen Rückzug der Majors ungeheure Chancen vor sich. Ihre Aufgabe als Avantgarde und zugleich als Herr über lokale Inhalte jedoch wird ihnen nicht leicht fallen. Denn einerseits sind die meisten von ihnen unterkapitalisiert und haben unter der strukturellen Krise der Musikwirtschaft genauso zu leiden wie die globalen Player. Andererseits sind sie oft von Fans und nicht von Kaufleuten bestimmt. Gut für das A&R (Artist und Repertoire Management), schlecht für die Bilanzen. Majors machen sich gemeinhin diese Not zu nutze: Sie kapitalisieren und administrieren Indies. Wie lange das weitergeht und die Großen ihre Geldmittel darin binden können, bei geringen Margen kleine Drittfirmen aufzubauen und die Entwicklung von Rechten zu finanzieren, ohne langfristig zu partizipieren, ist aber fraglich.

Um den Markt zu beleben, braucht es lokale Inhalte. Das ist spätestens seit Herbert Grönemeyers Erfolg mit "Mensch" deutlich. Deshalb ist ein mediales Selbstverständnis nötig, in dem die Begeisterung für das Lokale und Regionale eine kulturelle Selbstverständlichkeit wird. In Zeiten von "iTunes", "Phonoline" oder "musicload" - also der digitalen Demokratisierung der Distributionswege von Musik - ist zudem Verständnis unter den lokalen Produzenten unverzichtbar, was den Zugriff auf gemeinsame Ressourcen ermöglicht: Synergie ist in der Download-Zukunft existentiell. Was ferner gebraucht wird, ist ein Finanzwesen, von den großen Fonds bis zu den Stadtsparkassen, das erkennt, das in der Musik auf relativ günstige Weise Rechte entstehen - und eben nicht nur schwer verkäufliche Tonträger -, die eine quasi unendliche Verwertungskette in sich bergen. Ob als Download an Kunden, die man längst verloren glaubte, als Klingelton an die Musikkäufer von morgen oder als Konzertticket an die Fans von heute.

Die Großkonzerne müssen weiter fusionieren, die vielen kleinen Indies sich Kapital verschaffen und untereinander Synergien nutzen. Vielfalt und eigene Identität aber sollten vor allem inhaltlich für das Musikangebot gelten. Alles andere führte, um im McDonald's-Bild zu bleiben, zu Mangelerscheinungen, Übergewicht oder gar - in kultureller Hinsicht - zur Grundlagenbildung geradewegs totalitärer Systeme. Beachten dies beide Seiten, Indies wie Majors, dann werden sie wieder Geld verdienen - solange auch nur ein Mensch singt. Und die Menschen werden weiter singen. Es sei denn, sie haben gerade den Mund voll. Mit einem Big Mac. Oder mit Tafelspitz.

Der Autor war bis Ende Januar Deutschlandchef der marktführenden Major-Plattenfirma Universal Music.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: