Serie: Körperbilder (12):Jede Skulptur ein Skandal

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Je nackter der Prominente, desto gewaltiger die Aufregung - der Bildhauer Peter Lenk stellt bekannte Körper an den Pranger: "Ich will den Leuten helfen, das Leben als Komödie zu ertragen."

Christian Mayer

Wenn man Peter Lenk verstehen will, dann muss man sich die Menschen anschauen, mit denen er spielt. Also einerseits die Figuren aus seiner Werkstatt, die im Lauf eines Künstlerlebens zu einer komödiantischen Großfamilie geworden sind, noch mehr aber die Betrachter. Die Leute, die fassungslos oder belustigt vor seinen Skulpturen stehen. Die Leute, die vor Wut schäumen oder einfach nur lachen, weil der Lenk mal wieder etwas öffentlich angerichtet hat.

Nackte Tatsachen: Die "Global Players" sind Teil des Triptychons "Ludwigs Erbe" und noch bis Herbst 2010 in Ludwigshafen am Bodensee zu sehen. (Foto: Foto: ddp)

Zum Beispiel sind da diese zwei älteren Frauen, am Dialekt eindeutig als Badenerinnen zu erkennen und nicht gerade von zartem Körperbau, was sie bereits als Modelle für den Künstler qualifizieren würde. Sie sind eigens nach Ludwigshafen am westlichen Bodensee gereist, wo seit kurzem ein bildgewaltiges Triptychon die Uferpromenade schmückt. Das Relief mit dem Titel "Ludwigs Erbe" nimmt Bezug auf die badische Geschichte, aber eigentlich geht es, wie immer bei Lenk, um sehr menschliche Regungen - um Gier, Größenwahn, Macht und Unmoral. Und natürlich um den Körper mit all seinen offensichtlichen Baufehlern.

Die beiden Frauen kichern und glucksen, bis ihre Gesichter glühen, sie freuen sich ganz unverhohlen über die nackte Angela Merkel - so jugendlich-straff hat man die Kanzlerin selten gesehen, und dass sie ihrem Rivalen Edmund Stoiber auf ganz unmetaphorische Weise die Stange hält, ist wieder eine dieser typischen Unverschämtheiten. Auch die braven Bürger bekommen ihr Fett weg: Im Vordergrund schaufeln die Bewohner noch hastig Würste in sich hinein, im Hintergrund sieht man sie vor einem Dixi-Klo anstehen. Einige krümmen sich schon, so dringend ist das Bedürfnis. "Des isch der Abschuss", schnauft eine Besucherin, wahrhaft angetan von dieser Verdauungsszene, und man ahnt: Wo es dermaßen körperlich wird, kann jeder mitreden, auch ohne Kunststudium und Feuilleton-Kenntnis.

"Eigentlich bin ich ja hoffnungslos veraltet", sagt der 61-jährige Künstler, als er in seinem Garten in Bodman sitzt. "Ich gehöre ins 19. Jahrhundert. Wer macht sich heute noch die Mühe, einen Körper maßstabsgetreu zu modellieren?" Allein das Anfertigen der Form aus Silikon und Gips sei eine mühevolle Arbeit, ein schwieriges Handwerk, das kaum noch jemand beherrsche.

Wenn der Guss funktioniert hat und die Figuren aus Kalkstein Gestalt annehmen, beginnt die entscheidende Frage: Darf man die Skulptur überhaupt zeigen? Eindrucksvoll ist jedenfalls die Liste der unerwünschten Kunstwerke. Fast jede hat ihre eigene Skandalgeschichte, die Lenk gerne anekdotenreich erzählt. Noch zu Zeiten des Kalten Krieges irritierte der junge Künstler die Berliner Politiker diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs mit seinen "Mauerkiekern", die er auf Stelzen über den Wall hinwegblicken ließ. Später hinterließ er in Berlin ein zwölf Meter langes "Narrenschiff" mit einer klerikalen Besatzung, über die die katholische Kirche gar nicht lachen konnte. Ziemlich zeitgemäß wirkt heute noch seine riesige "Karriereleiter", auf der sich die Manager beim verzweifelten Versuch, ganz an die Spitze zu gelangen, gegenseitig auf dem Kopf herumtrampeln.

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Was die Wirkung angeht, so muss man nüchtern feststellen: Je größer der Busen und je nackter der Prominente, desto gewaltiger die Aufregung. Lenks Methode ist das Gegenteil von Abstraktion, es ist die pure Plastizität, die er mit schauspielerischem Talent zur Geltung bringt. Allein die Aufstellung der "Imperia" an der Konstanzer Uferpromenade 1993 war ein Bubenstück, das die Stadt wochenlang in Atem hielt. Zwölf Meter misst die üppige Figur einer mittelalterlichen Kurtisane, die in ihren Armen die weltliche und die geistliche Macht trägt; 18 Tonnen wiegt das Monsterweib, das Peter Lenk in einer Nacht- und Nebelaktion mit Hilfe der benachbarten Schweizer auf den Pegelturm im Konstanzer Hafen hieven ließ.

Hofnarr ohne Hof

Zwar gab es einen Aufschrei der Empörung, denn die Lokalpolitiker fühlten sich überfahren von so viel kolossaler Weiblichkeit. Doch die "Imperia" thront noch immer über der Hafeneinfahrt und ist zum Wahrzeichen der Stadt geworden. Die Großplastik war für Lenk auch eine künstlerische Herausforderung: Immer wieder feilte er an den Rundungen, bis sie endlich die ideale Form besaß - eine klobige Schönheit mit zu dicken Beinen hätten ihm die Konstanzer wohl nie verziehen. "Den Hals habe ich ihr doppelt so lang gemacht, damit er aus der Höhe überhaupt zur Geltung kommt - sonst hätte sie ja ausgesehen wie die Bavaria in München."

Der Bildhauer, der von sich sagt, er sei ein Hofnarr, nur ohne Hof, arbeitet gerne mit den Mitteln der sanften Übertreibung, um seine Figuren lebendig zu machen: "Wenn man Menschen vollkommen realistisch darstellt, kann man sie gar nicht erkennen." Der Narr hält seinem Publikum einen Spiegel vor - dann sieht es sich selbst in seiner unverhüllten Selbstzufriedenheit. Als Rudolf Scharping Verteidigungsminister war, stellte ihn Lenk auf einem Sparkassengelände in Stockach auf ein ausgedientes U-Boot. In der Hose des Ministers, der sich auf Mallorca im Swimmingpool beim Liebesspiel verausgabt hatte, deutete sich eine männliche Wölbung an. Ein Marinesoldat aus der heldenhaften Scharping-Truppe trug obendrein eine kurvenreiche Gespielin auf den Schultern - "Make Love and War" lautete der Marschbefehl. Auch diese Frivolität stieß auf geteilte Reaktionen und trug dazu bei, dass die öffentlichen Auftraggeber noch ein wenig misstrauischer geworden sind, wenn der Name Lenk fällt.

Es soll Leute geben, die den Narren vom Bodensee meiden, aus Sorge, später in einem seiner Werke aufzutauchen. Der Schriftsteller Martin Walser war über eine von Lenk unerbetene Skulptur in Überlingen so erbost, dass er angeblich sogar den Friseur wechselte, weil er auf dem Weg dorthin an seiner Statue vorbei musste. Walser fand sein Ebenbild wohl nicht erhaben genug. Obwohl er als Dichterfürst hoch zu Ross noch gnädig davongekommen ist, wenn nicht gerade die Möwen auf ihm landen.

In der humorfreien Zone

"Der macht net bloß Hundle", hatte einst eine Gemeinderätin in Konstanz gewarnt, als der Bildhauer ein paar "lustige Kunst-Figuren" angekündigt hatte. Es waren dann keine Vierbeiner, die den "Laube-Brunnen" bewässerten, sondern eine tonnenschwere Matrone im Bikini, ein spuckender Motorrad-Rocker sowie ein großspuriger Automanager aus Stuttgart, der sofort seine großzügige Spende für das Werk zurückziehen wollte - zu spät. Immer wieder erweisen sich seine Leiber als äußerst standfest. Nicht einmal die Expo-Chefs schafften es vor neun Jahren, die heimlich aufgestellte "Alte Nixe" aus der Messehalle in Hannover zu entfernen, denn Lenks Beitrag zum Gewässerschutz zählte zu den meistbesuchten Attraktionen der weithin humorfreien Weltausstellung.

Seine künstlerische Freiheit will er sich nicht nehmen lassen, deshalb meidet er öffentliche Wettbewerbe und Museen. Der Bildhauer möchte dazu beitragen, dass die Menschen "das Leben als Komödie ertragen", wie der von ihm geschätzte Friedrich Dürrenmatt geschrieben hat. Für die Freiheit seiner steinernen Spielgefährten nimmt er einiges in Kauf: Lenk, der früher als Kunstlehrer arbeitete, hat bis heute nicht einmal eine Galerie, die ihn vertritt; lange Zeit musste seine ebenso ansehnliche wie praktisch veranlagte Ehefrau die Familie mit den zwei Töchtern über Wasser halten, indem sie Selbstgetöpfertes auf Märkten verkaufte.

Die eigene Unzulänglichkeit lässt er allerdings lieber aus dem Spiel. Das Selbstbildnis fehlt in seiner satirischen Sammlung. Anders als viele Kollegen verzichtet er auch auf die große Pose. "Es ist peinlich, wenn der Künstler vor seinem Werk steht und auch noch mit dem Finger drauf zeigt." Überhaupt, die meisten Künstler seien viel zu sehr mit ihrer Selbstvermarktung beschäftigt. Deshalb meide er Kunstmessen, auf denen sich die Teilnehmer selbst wie lebende Skulpturen inszenierten.

Seine Figuren haben den Vorteil, dass sie auch dann jung bleiben, wenn sie alt wirken. Und dass die Körper und Köpfe, die er in Bodman anfertigt, dermaßen unmodisch sind, dass sie spielend noch ein paar Kunstmarkt-Wellen überdauern.

© SZ vom 12.5.2009/bey/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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