Süddeutsche Zeitung

Sensationsfund:Grauer Gehrock

Ist der Mann auf einer alten Filmaufnahme Marcel Proust? Ein kanadischer Proust-Forscher hat sein Idol unter den Gästen einer Hochzeit im Jahr 1904 gesichtet.

Von Lukas Latz

Der Monty-Python-Sketch "Summarize Proust Competition" handelt von einem Wettbewerb, dessen Teilnehmer alle sieben Bände von Marcel Prousts Opus Magnum "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" innerhalb von zwanzig Sekunden zusammenfassen müssen. Logischerweise schafft das niemand auch nur annähernd. Der Proust-Forscher Jean-Pierre Sirois-Trahan hat nun Filmaufnahmen aus dem Jahr 1904 entdeckt, auf denen höchstwahrscheinlich Marcel Proust zu sehen ist. Der Kameramann könnte posthum zum Sieger der "Summarize Proust Competition" erklärt werden. Denn sein kurzer Film fasst die Atmosphäre des Romans sehr schön zusammen. Zu sehen ist darin eine adlige Hochzeitsgesellschaft, die gerade eine Pariser Kirche verlässt. Während alle Männer schwarze Mäntel tragen, trägt Proust einen grauen Gehrock. Er ist allein und überholt mehrere Paare.

Die Aufnahmen entstanden nachweislich bei der Hochzeit von Élaine Greffulhe und Armand de Gramont, einem engen Freund Prousts, im November 1904. Anhand von Prousts Briefwechsel konnte Sirois-Trahan nachweisen, dass Proust dort tatsächlich zugegen war. Der Aufsatz, den der kanadische Forscher seinem Fund gewidmet hat, geht besonders auf den grauen Gehrock ein, den Proust an diesem Tag trug. Der Literaturwissenschaftler vermutet, dass es das gleiche Kleidungsstück ist, dass Swann, ein Protagonist aus dem ersten Teil des Romans, in einer Schlüsselszene trägt.

Zur Frage, warum es Proust so eilig hat, bietet Sirois-Trahan mehrere Erklärungen an. Wegen der dichten Menschenmenge, die sich um die Treppe versammelt, könnte Proust befürchtet haben, einen Asthmaanfall zu erleiden. Außerdem hat er als Jude zu den Adligen im Bild, die nicht selten "Anti-Dreyfusards" und Antisemiten waren, nicht das beste Verhältnis, auch wenn er sich lange um Anerkennung in ihren Kreisen bemüht hatte.

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Quelle:
SZ vom 17.02.2017
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