Sensations-Fund im Paulus-Grab:Glaube, Liebe, Knochen

Papst Benedikt zeigt sich von den Funden in Rom emotional berührt wie selten zuvor. Dabei ist Paulus weiß Gott kein pflegeleichter Heiliger.

Alexander Kissler

Das Talent für Inszenierung und Timing hat die katholische Kirche noch nicht verloren. Punktgenau zum Abschluss des von ihm ausgerufenen Paulus-Jahres verkündete Papst Benedikt XVI. am Sonntagabend in Rom: Der Sarkophag mit den vermuteten Überresten des Apostels sei einer "wissenschaftlichen Analyse" unterzogen worden.

Sensations-Fund im Paulus-Grab: Vom Juden zum Jünger, vom Verfolger zum Verteidiger der Christen: das Bildnis des Heiligen Paulus in den Katakomben von Santa Tecla in Rom.

Vom Juden zum Jünger, vom Verfolger zum Verteidiger der Christen: das Bildnis des Heiligen Paulus in den Katakomben von Santa Tecla in Rom.

(Foto: Foto: dpa)

Mit einer kleinen Sonde habe man das Innere des Grabes abgetastet und sei auf Knochenfragmente und kostbare Stoffe gestoßen. Eindeutig stammten diese aus dem ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Mit einem Zittern in der Stimme folgerte Benedikt, "das scheint die einhellige und unwidersprochene Tradition zu bestätigen, dass es sich hier um die sterblichen Überreste des Apostels Paulus handelt. All das erfüllt unsere Seele mit tiefer Emotion."

Der 82 Jahre alt Pontifex nimmt das Wort von der Emotion nicht oft in den Mund. Er schätzt das kühle Argument mehr als öffentlich zur Schau gestellte Gefühle. In diesem Fall aber ist die Erschütterung nachvollziehbar. Der mit Buch und Schwert dargestellte Verkündiger gilt neben Petrus als der wichtigste Apostel. Sie beide thronen am Eingang des Petersdomes; und von Paulus stammt jenes berühmte Loblied auf die Liebe, das Benedikt gerne zitiert: "Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke."

Früchte göttlicher Gnade

Für den Papst geht es um viel mehr als um eine archäologische Sensation, die neuen Entdeckungen bieten die wissenschaftliche Grundlage für den Kern der Theologie Bendedikts. Denn ganz offensichtlich soll die Erforschung des Paulus-Grabs erhärten, was dieser Papst immer erklärt hat: Das Christentum ist eine Religion, die auf historischen Gewissheiten beruht und als solche "wirklich in die Geschichte hineinreicht".

Als Benedikt Ende Juni 2008 das Paulus-Jahr eröffnete, indem er in der römischen Basilika die "Paulus-Flamme" entzündete und mit dem orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., die "Paulus-Tür" durchschritt, gab er als Ziel aus: Ein Jahr lang solle die paulinische Erfahrung erneuert werden, wonach der christliche Glaube "nicht eine Theorie, nicht eine Meinung über Gott und die Welt" sei, sondern "das Auftreffen der Liebe Gottes in unserem Herzen". Tagungen, Schriften, Wallfahrten und zwanzig anspruchsvolle Reden, jeweils mittwochs bei der Generalaudienz, dienten dem Zweck.

Dabei ist Paulus kein pflegeleichter Heiliger. Der vom Juden zum Jünger, vom Verfolger zum Verteidiger der Christen bekehrte Apostel gilt als zweiter Gründer des Christentums. Ohne sein Organisationstalent, seine Bildung und seine Reisefreudigkeit wäre die neue Religion vielleicht auf den vorderasiatischen Raum beschränkt geblieben. Paulus gab aber auch den Impuls für die große Spaltung der Christenheit.

Seine Lehre, allein aus göttlicher Gnade und nicht aufgrund guter Werke könne der Mensch gerettet werden, löste die Reformation aus. Luther, Zwingli, Calvin lasen begeistert die Briefe des Paulus, die ältesten christlichen Schriften überhaupt. Paulus war zudem Petrus, als dessen Nachfahren sich die Päpste begreifen, im "Apostelstreit" entgegengetreten. Er hatte, so der evangelische Theologe Gunther Wenz, die Auffassung vertreten, "dass das freie Bekenntnis zum Evangelium durch keine Autorität einzuschränken ist."

In seinen zwanzig Ansprachen erwähnte Benedikt Martin Luther ohne Häme. Durch die Besinnung auf Paulus soll nicht nur der katholisch-orthodoxe, sondern auch der katholisch-protestantische Dialog vorangetrieben werden. Eine "große Hoffnung für die für das II. Vatikanische Konzil so zentrale Sache der Ökumene" nannte er die Gespräche über Paulus. Joseph Ratzinger ist es auch gewesen, der 1999 dazu beitrug, dass eine gemeinsame "Erklärung zur Rechtfertigungslehre" unterzeichnet werden konnte. Seitdem bekennen Katholiken wie Protestanten, dass gute Werke die Früchte göttlicher Gnade sind.

Rastloser Prediger

Zentral für das katholische Paulus-Bild, wie es Benedikt entwirft, ist die missionarische und die kirchliche Dimension. Angesichts einer weithin schwindenden christlichen Prägekraft soll Paulus zur "hartnäckigen Standhaftigkeit in allen sich einstellenden Schwierigkeiten" ermuntern. Christen müssten sich als "Mitarbeiter an der wahren Freude" empfinden, der Freude am Glauben.

Zugleich zeige das Beispiel des rastlosen Predigers aus dem heute türkischen Tarsus, dass die Kirche kein starres Gebäude sei, sondern ein "organisches Ganzes von Menschen, die zu Heiligkeit, Reinheit und Vertrauen berufen sind" - ein anspruchsvolles Programm in Zeiten schrumpfenden Einflusses und wachsender Versuchungen. Schließlich sieht Benedikt in der persönlichen Tapferkeit des hingerichteten Paulus eine Moral für das 21. Jahrhundert: "Die Wahrheit kostet Leiden in einer Welt, in der die Lüge Macht hat."

Am gestrigen Montag wurde im Vatikan das "Hochfest der Apostel Peter und Paul" begangen. Wie jedes Jahr nahm eine orthodoxe Delegation im Namen des Patriarchen von Konstantinopel an den Feierlichkeiten teil. Der Dialog, hieß es, solle über das Paulus-Jahr hinaus intensiviert werden. Die "Paulus-Flamme" wurde entgegen der ursprünglichen Absicht nicht gelöscht. Sie könnte dauerhaft an jenem Sarkophag brennen, der vielleicht weitere Geheimnisse preisgeben wird.

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