Es hätte ein Wunder geschehen sollen in Dresden. Vergangenen Sommer schien Sachsens Kunstministerin Sabine von Schorlemer der große Coup gelungen zu sein, als sie Serge Dorny als neuen Intendanten der Semperoper an die Seite von Dirigent Christian Thielemann verpflichtete.
Der konservative Gralshüter deutscher Romantik und der progressiv visionäre Vordenker, der Lyon zu einer der interessantesten Opernpilgerstätten gemacht hat - diese Kombination lag nicht nahe, versprach aber spannende Zeiten, die schon in diesem Sommer hätten beginnen sollen.
Daraus wird nun nichts. Dorny wurde jetzt vor Amtsantritt von derselben Ministerin als Beelzebub geschasst, die ihn gerade noch als Heilsbringer holte. Da hat sich wohl jeder in jedem getäuscht - oder täuschen wollen?
Die Vorwürfe gehen jetzt hin und her. Dorny habe, sagt das Ministerium, Entscheidungen nicht richtig vermittelt, die Verantwortlichen, gemeint ist wohl in erster Linie Thielemann, nicht eingebunden und so den Betriebsfrieden gestört.
Dorny dagegen sagt, dass er einen Vertrag mit Kompetenzen für alle Sparten (Oper, Ballett, Staatskapelle) erhalten habe, ihm nach und nach aber klar wurde, dass die Staatskapelle das alleinige Reich Thielemanns sei. All seine Vorschläge in diese Richtung seien ins Leere gelaufen. Als er um die Klärung seiner Kompetenzen nachsuchte, die er bis vergangenen Freitag erhalten wollte, kam die Kündigung, die Dorny aus den Medien erfuhr. So sehen heillos zerrüttete Verhältnisse aus.
Dirigent mit Unnahbarkeitsklauseln im Vertrag
Aber mussten nicht alle Beteiligten mit genau diesem Scheitern rechnen? Nicht nur, weil Dorny und Thielemann konzeptuell unterschiedlich ausgerichtet sind, sondern weil der Dirigent ein gebranntes Kind ist. Vor drei Jahren erlebte er das Zerwürfnis mit seinen Münchner Philharmonikern, die ihn zwar als Musikchef anhimmelten, ihm andrerseits alle Managementkompetenzen nehmen wollten. Das war eine herbe Demütigung, Thielemann wechselte nach Dresden, wo er sich wohl jene Unnahbarkeitsklauseln in den Vertrag schreiben ließ, über die Dorny jetzt gestürzt ist.
Die große Verliererin aber ist jetzt Ministerin Schorlemer, die einräumt, was nicht gerade professionell ist, dass sie Dorny völlig falsch eingeschätzt habe. Oder dachte sie, dass zwei Alphatiere wie Thielemann und Dorny nicht aneinandergeraten würden? Dann hätte sie extrem naiv gepokert.
Thielemann nach Dresden zu holen war gut. In Ulrike Hessler hatte das Haus kurz zuvor eine geschickte und diplomatische Intendantin gewonnen, die sowohl mit dem schwierigen Thielemann gekonnt hätte, als auch den in überkommenen Strukturen und Ästhetiken befangenen Betrieb moderat modernisieren hätte können.
Doch Hessler starb tragischerweise vor zwei Jahren. Seither geriet Dresden weiter ins Hintertreffen; Häuser dieser Größe und Bedeutung werden mittlerweile meist von gewieften Managern geführt: Nikolaus Bachler (München), Kasper Holten (London) oder Stéphane Lissner, er wechselt gerade von Mailand nach Paris.
Auch Dresden möchte gern in dieser Liga mitspielen, mit Dorny hätte das klappen können. Was aber auf jeden Fall viele und schmerzliche Neuausrichtungen bedeutet hätte, was dem Haus in den vergangenen Monaten wohl überdeutlich klar wurde, als er seine Intendanz vorbereitete.
Vor allem aber setzt solch eine Neuausrichtung voraus, dass alle Beteiligten das gleiche Ziel verfolgen. Das war offensichtlich nicht der Fall. Thielemann ist Herr der Staatskapelle und er ist wie viele seiner konservativen Anhänger davon überzeugt, dass in der Oper die Musik wichtiger als die Szene ist.
Dorny fehlte ausreichende Gefolgschaft
Dorny dagegen sieht Oper als ein Teamunternehmen, das nur gleichberechtigt von Sängern, Dirigent und Regisseur gestemmt werden kann. Das sind zwei im Operngewerbe weit verbreitete, aber sich ausschließende Haltungen.
Die Ministerin Schorlemer, so sie opernaffin ist, hätte diesen Konflikt schon vor Dornys Verpflichtung ahnen müssen, sie hätte, als er aufbrach, moderierend eingreifen müssen. Entweder hat sie das nicht getan, oder sie hat es nicht geschafft - wie auch immer, hier hat sie versagt.
Zuletzt gab es wohl nur noch die Entscheidung für einen der beiden Männer. Während im Ringen zwischen Bachler und Kent Nagano an der Münchner Staatsoper der Dirigent gehen musste, ist jetzt in Dresden der Intendant an der Reihe. Was nicht weiter verwunderlich ist, da Thielemann einer konservativen Klientel als der vollendete Dirigent gilt. Ihn zu entlassen wäre Schorlemers politisches Ende gewesen.
Dorny dagegen hat keine vergleichbare Gefolgschaft. Für Dresden dürfte es nun geradezu unmöglich werden, einen kompetenten Erneuer zu finden. Aber vielleicht sind dort auch viele froh darüber, wenn alles so weitergeht wie bisher und das moderne Musiktheater dezent auf Abstand gehalten wird.