Selbstkasteiung für den Academy Award:Hört auf, für den Oscar zu leiden!

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Leonardo DiCaprio in "The Revenant" (Foto: 20th Century Fox/dpa)

Wer die höchste Auszeichnung der Filmbranche gewinnen will, sollte für seine Rolle möglichst hungern, fett werden oder sich ein paar Rippen brechen. Was für ein Quatsch.

Von Kathleen Hildebrand

Matthew McConaughey, Natalie Portman, Christian Bale, Daniel Day-Lewis und Charlize Theron haben etwas gemeinsam. Klar, sie sind schöne Menschen. Sie sind Hollywoodstars. Und sie haben alle mindestens einen Oscar zu Hause auf dem Couchtisch stehen. Bei Daniel Day-Lewis stehen dort sogar schon drei.

Aber das ist noch nicht alles. Alle fünf haben auch sehr für den Oscar gelitten. McConaughey spielte in "Dallas Buyers Club" einen Aids-Patienten und hungerte sich dafür von seiner kalifornischen Surferfigur 23 Kilogramm herunter, indem er pro Tag nur noch ein paar rohe Eiweiße schlürfte und ein kleines Stück Hühnchen aß. Die ohnehin schon zarte Natalie Portman nahm zehn Kilo ab und trainierte monatelang täglich fünf Stunden, bis sie in Darren Aronofskys "Black Swan" als crazy Ballerina durchging. Christian Bale wurde furchtbar dürr für seine Hauptrolle in "The Fighter" und Charlize Theron aß Junk Food, um in "Monster" recht aufgedunsen die Serienmörderin Arlene Wuornos zu spielen. Und Daniel Day-Lewis hat zum Wohl seiner Filmrollen gebrochene Rippen, einsames Wüsten-Camping und eine Lungenentzündung zu bieten.

Das Leiden für die Rolle - ein nicht enden wollender Trend

Wären die fünf nur Einzelfälle, müsste man das nicht weiter überdenken. Haben sich halt besonders Mühe gegeben - klar kriegen sie dafür einen schönen Preis. Aber so ist es nicht. Das Leiden für die Rolle ist seit Jahren ein nicht enden wollender Trend. 2016 wird Leonardo DiCaprio einem stolzen Hund gleich seinem Oscar wie einem wohlverdienten Leckerli entgegenhecheln, wenn er im Zuschauerraum dort sitzt, wo die Nominierten hingesetzt werden - nah am Gang. DiCaprio hat Bisonleber gegessen für seine Rolle in "The Revenant". Echte Bisonleber, eklig klingt das. Und gefroren hat er auch.

Warum tun Schauspieler so etwas? So klar, wie es scheint, ist es ganz und gar nicht. Als Christian Bale sich zum ersten Mal 30 Kilo abhungerte, für den Film "The Machinist", hatte das niemand von ihm verlangt. Regisseur und Drehbuchautor wollten ihn mit Makeup und weiter Kleidung dürr erscheinen lassen. Aber Bale wollte "the real thing". Keine Schminke, keine Effekte. Denn natürlich könnten auch Computerprogramme überall Knochen hinkopieren, wo welche herausstehen sollen und Fett dorthin, wo es schwabbeln soll. Das wird ja wohl kein Problem sein, wenn man aus Brad Pitt ein verschrumpeltes Greisenbaby machen kann wie in "Benjamin Button".

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Was kein Computer der Welt generieren kann: Authentizität

Es geht also um etwas anderes. Das Echte ist derzeit so begehrt wie kaum etwas sonst. Angesichts digitaler Materialschlachten wie in "Herr der Ringe", "Avatar" oder den Superheldenfilmen von Marvel setzen andere Filme (also die, für die man als Schauspieler Oscars gewinnt) auf das, was kein Computer der Welt generieren kann: Authentizität. Deshalb werden immer mehr wahre Geschichten verfilmt. Es werden echte, aufwändige Kulissen gebaut wie für den neuen Star-Wars-Film. Und die Schauspieler müssen ganz, ganz wahrhaftig leiden für ihre Rollen - und in Interviews davon erzählen.

Was dabei allerdings oft übersehen wird: Für all das Leid und die Selbstdisziplin gibt es dabei nicht nur Oscars. Bei Tom Hanks wurde 2013 eine Form von Diabetes diagnostiziert, die sich wohl darauf zurückführen lässt, dass auch er mehrmals mit seinem Gewicht experimentierte. Hanks nahm für "Philadelphia" (Oscar) stark ab und später noch einmal für "Cast Away" (Oscar-Nominierung).

Dass der Leidenstrend so stark werden konnte, liegt auch in der amerikanischen Schauspieltradition begründet. Die Techniken des Method Acting, jener Schauspielmethode, die Konstantin Stanislawski entwickelte und auf der Lee Strasberg aufbaute, sind durch und durch realistisch. Sie wollen "Wahrheit" auf die Bühne und vor die Kameras bringen. Eine Wahrheit, die sich jeder Schauspieler durch extreme Selbsterforschung oder durch eigenes körperliches Empfinden erst erkämpfen muss.

Natürlich ist das eine Herangehensweise an die Schauspielerei. Aber gewiss nicht die einzige, und nicht unbedingt die aufregendste. Worauf es wirklich ankommt, illustriert diese Anekdote: Für eine Szene in "Marathon Man" blieb Dustin Hoffman nächtelang wach, weil er übermüdet wirken sollte. Sein Co-Star Laurence Olivier soll daraufhin zu ihm gesagt haben: "Try acting, dear boy." - "Mein lieber Junge, versuch es doch mal mit schauspielern." Kunst soll doch gerade etwas anderes sein als das Echte, Alltägliche. Sie soll wahrhaftig sein, statt einfach nur wahr.

Der Schönheit entsagen, um die höchsten Weihen zu erhalten

Es fällt auch auf, dass von europäischen Schauspielern - ausgenommen Daniel Day-Lewis - kaum derlei Geschichten überliefert sind. Vielleicht ist die Leidenswilligkeit der Schauspieler ein Hollywood-Phänomen. Von niemandem hört man den Satz "I worked hard" so oft und so emphatisch gesprochen wie von Amerikanern. Die protestantische Arbeitsethik ist offenbar auch im Celebrity-Luxusland Hollywood felsenfest verankert. Dort, wo perfekte Schönheit die Grundlage allen Seins ist, muss man der Schönheit entsagen, um die höchsten Weihen zu erhalten.

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Das ist die wohlwollende Interpretation des Rollenleids: Dass es die Hollywood-Version von Selbstkritik ist. Das System zwingt seine Schäfchen zu dauernder Hochglanzhaut, zu Botox und täglichem Muskeltraining. Aber wenn es seine höchsten Preise vergibt, dann gilt die Schönheit einer Charlize Theron, eines Christian Bale und eines Leonardo DiCaprio als so banal und unwürdig, dass man sie mutwillig zerstören muss, um zu zeigen: Ich bin nicht nur das.

Die Oscars sind die Zeit der Ernte für all die "hard work"

Besonders für Frauen ist das eine gefährliche Gratwanderung. Um sie macht sich jeder gleich Sorgen, wenn sie tun, wofür ihre männlichen Kollegen gefeiert werden. "Essstörung" riefen die Kritiker angesichts von Natalie Portmans knochigem Rücken in "Black Swan". (Als sie ihren Oscar für die Rolle entgegennahm, hatte sie wieder ordentlich zugenommen: Sie war schwanger.) Anne Hathaway nahm für "Les Miserables" 25 Pfund ab (Oscar) und musste ähnliche Kommentare über sich ergehen lassen. Hungern für die Kunst wird Frauen schnell als Schwäche, als Kontrollverlust ausgelegt, vor dem man sie beschützen sollte. Bei Männern gilt es als Triumph der Selbstdisziplin.

Der Abend, an dem die Oscars verliehen werden, ist deshalb zugleich die Zeit der Ernte für all die "hard work" und die Saat für die nächste Runde. Wenn der erhungerte - oder erfressene - Preis entgegengenommen wird, darf der Anzug nämlich gern wieder an den muskulösen Oberarmen spannen und der Saum des Valentino-Kleids soll wieder fohlengleiche, aber bitte nicht ganz dürre Fesseln umspielen. Bis die Perfektion zerstört werden muss, damit man auf dem nächsten roten Teppich wieder etwas zu erzählen hat. Dabei würde man statt dort Leidensgeschichten doch lieber mal etwas wirklich Überraschendes hören: Dass Kunst eben nicht "the real thing" sein muss. Und es gerade deshalb ist.

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