Seitensprungbörsen im Internet:Kompetenz beim Seitensprung

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Im Netz sprießen die Plattformen für Seitensprung-Dates aus dem Boden: Verändert das Internet unsere Sexualität? Ein Selbstversuch.

Britta Voss

Er sieht genauso aus, wie er sich beschreibt: Ein "Mann von nebenan", nett, bürogebleicht. Auf dem Foto trägt er - Nickname Anybody54 - ein bieder gestreiftes Hemd, die Haare sorgsam gescheitelt, das Lächeln irgendwo zwischen verwegen und ertappt.

Was passiert, wenn man seine Phantasien auslebt? Kidman und Cruise in Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" (1999). (Foto: Foto: Reuters)

Zwei Handtuchhaken staken silbern aus den weißen Badezimmerkacheln, die als Hintergrund den verhuschten und heimlichen Eindruck vollenden. Vielleicht ist aber das genau einer der "ungewöhnlichen Orte" für den "tabulosen Sex", die ein anderer User - Paolo - unter seinen sexuellen Vorlieben notiert hat.

Ich bin eingeloggt auf einer von dutzenden Internet-Seitensprungagenturen Deutschlands. Sie sind die organisierte Seite eines Phänomens, das unter dem Stichwort der digitalen Pornografisierung seine moralische Kategorie gefunden hat.

Jenseits der Missionarstellung

Wo, wenn nicht hier muss sie zu finden sein, die schmuddlige Parallelgesellschaft, der das Web2.0-Dogma Platz verschafft. Die pornografische Weiterentwicklung von "Youtube" heißt selbsterklärend "YouPorn". Hier kann ein jeder sich und seine Lieben beim Sex der Öffentlichkeit vorführen.

Erst seit einigen Monaten online, sind doch schon tausende Filme abrufbar, in denen in grobkörniger Heimvideoästhetik einschlägige Posen der Sexfilme nachgestellt werden oder so unbeholfen wie unverblümt die eigene Masturbation, die zitternd-großporige Vorstellung davon, was jenseits der Missionarsstellung noch alles möglich sein könnte, zu bestaunen sind.

"Youporn" ist längst nicht der einzige, aber einer der direktesten und dazu noch frei zugänglichen Portale, die das Gefühl verstärken, der Datenhighway werde nicht nur schneller und globaler, sondern auch pornografischer. Dem hält die Internetpsychologin Christiane Eichenberg entgegen, dass der Zuwachs exhibitionistischer Filme und Bilder nur ein scheinbarer ist.

"Mit Plattformen wie ,Youporn' finden sich die Sachen nur gebündelter im Netz." Auch ob die Videos lediglich im Netz zusammengesammelt sind oder aber von bereits existierenden Privathomepages stammen, lässt sich nicht zurückverfolgen. Eichenberg hat sich in diversen Studien mit der möglichen Veränderung unseres Sexualverhaltens durch das Netz befasst.

Dem Alarmismus setzt sie die Überzeugung entgegen, dass "nicht das Internet unser Beziehungsverhalten verändert, sondern wir sind es, die sich für unsere Bedürfnisse die Medien zu Nutze machen - auch die nach Seitensprung."

Offenherzige Unterwanderung

Für Frauen ist der Zugang zu den mal in verrucht rot, mal in seidig lila gehaltenen Seitensprungportalen umsonst, auch im Cyberspace herrscht qualifizierter Frauenmangel. 40 zu 60 ist im offiziellen Schnitt das Verhältnis von Frauen und Männern auf Seiten wie "LovePoint", "FirstAffair" oder "Meet2Cheat".

Für die ganz Schnörkellosen gibt es noch "Poppen.de" oder "AdultFriendFinder", wo nach einem Bestätigungsklick, dass ich tatsächlich schon 18 bin, Bilder aufpoppen, die die Rede vom ästhetisierenden Porno-Chics redundant erscheinen lassen in ihrer fleischfarbenen Panoramaoptik.

Schon bei der Wahl des Spitznamens entscheidet sich die Richtung: Entweder Heilige oder Hure. Mit ihrem Netznamen wählen die meisten Frauen auch ihr Image: Die verspielte SexyHexy21 oder doch lieber die verruchte Cunnus, die Knutschmaus oder die Teufelin, Blondie oder Bummsfidel?

Zu der Bewerbungsmappe um Leidenschaft, One Night Stand und Seitensprung gehört natürlich ein aussagekräftiges Profil. Wie mobil bin ich? Suche ich den schnellen Sex lediglich im Postleitzahlenbereich 10 oder auch jenseits der Elbe? Will ich einen Mann, Frau oder beides zugleich? Welche sind meine sexuellen Vorlieben: Blümchen-, Normal-, oder Outdoorsex? Rollen- oder Fesselspiele? Was ist mit OV, AV, NS, KV, CS, GV?

Hoffnung nach realem Sex

Knapp fünf Minuten nach Registrierung die erste Nachricht: "Hallo schöne Frau!" buhlt es hölzern. Von nun an wird alle paar Minuten ein kleines Fenster aufblinken, das eine neue Nachricht, ein neues Mitgliederprofil im Postfach verkündet. Das meiste sind lapidare Einsätzer, formale "Ich-bin-über-dein-Profil-gestolpert"-Annäherungsversuche. Andere gehen in medias res: "Hast du heute Nachmittag Lust?" Es folgt ein detaillierter Drehplan des zu erwartenden Schäferstündchens, der die Autorin noch einmal über den Grad der eigenen Prüderie nachdenken lässt.

Zwischen 10 000 und 100 000 Mitglieder verzeichnen die Seitensprungbörsen, bezahlt wird pauschal pro Monat und Kontaktanbahnung, je nach Agentur zwischen 20 und 60 Euro pro Monat. Wer sich hier registriert, will sich nicht allein virtuell selbstbefriedigen, sieht seine erotischen Bedürfnisse nicht durch Cybersex ausgeschöpft, wer hier inseriert, bucht die Hoffnung auf realen Sex.

Im 2. Teil: Das Internet-Dasein der Möchtegern-Casanovas...

Die vorgeblichen Vermittlungsquoten mancher Agenturen versprechen ein Casanova-Leben. Anna Molière, Chefin von "Anneweb", eine der kleineren Agenturen, ist da skeptisch: "Fünf Kontakte pro Woche, das ist irre." Dass manche der Mitgliederprofile nur Bluff sind, vermutet auch sie. "Mann kann besser gucken als denken", sei die Strategie hinter Bildern, die professionell pornografisch sind.

Viele Agenturen tun nichts gegen die offenherzige Unterwanderung durch Prostituierte. Auch bei Anne.web gibt es Fälle, in denen Frauen beim Treffen indirekt um Bezahlung betteln. "Komm, ich brauch was Neues zum Anziehen" ist so ein Weg, die Männer um "Taschengeld" zu ersuchen. Denn nur wer klar als Professionelle ausgemacht wird, fliegt raus.

"Zu kaputt in meiner Gefühlswelt"

Seit 1998 vermittelt Anne Molière, erst auf Papier, nun im Netz, den Sexpartner für zwischendurch. "Die Leute, die zu uns kommen", sagt sie, "sind in ihrer Partnerschaft nicht mehr zufrieden."Als moderne Celestina versteht sie sich aber nicht: "Zuerst ist da der Wunsch nach dem Seitensprung, erst dann kommt meine Arbeit."

Was sie bieten kann, ist der perfekt durchorganisierte Seitensprung, den besonders gern die in Anspruch nehmen, "die es sich zeitmäßig nicht leisten können", solche Beziehungen im wahren Leben anzubahnen.

So wie Clemens81. Er war einer der ersten, der mir geschrieben hat. Auf dem kleinen Passbild blickt mir ein selbstsicherer, aufgegelter Mittzwanziger entgegen, der typische Schnatzenfänger der Freitagnacht. Hat er etwa keinen Erfolg da draußen?

Eher ein bisschen zuviel, schreibt er, "die Mädels verlieben sich meist gleich in mich" und für eine Beziehung - "sorry" - findet er sich gerade einfach "zu kaputt in meiner Gefühlswelt". "Etwas untervögelt" fühlt er sich aber schon auch.

Verhaltensregeln beim Fremdgehen

"Keine Belästigung" präzisiert Anne Molière den Vorteil, den viele Seitensprungwillige in den Internetbörsen suchen. Anders als beim verhuschten Ausrutscher auf der Weihnachtsfeier im Betrieb, läuft man sich nicht am nächsten Morgen zwangsläufig über den Weg. "Spaß haben und die Klappe halten!", lautet auch die Formel für den perfekten One Night Stand, die die Seitensprungbörse "First Affair" in ihrem Handbuch für Seitensprungwillige herausgibt.

Der Kodex für eine allseits folgenlose Affäre rät zu Verhütung, einer maßvollen Erwartungshaltung an den Seitensprung und Ehrlichkeit. Also keine 90-60-90-Lügen, sondern "flunkern Sie nur, wenn es nötig ist, um ihre Identität zu verschleiern". Und damit der ahnungslose Partner zu Hause das auch bleibt, lohnt es sich, die Gebote sieben bis neun zu beherzigen: "Bleiben Sie normal!", "Ausreden vorher überlegen!" und "Nicht zu lange mit dem selben Seitensprung!" und der im besten Fall auch kein Single ist. Der gewünschte Sex mag tabulos sein, die Organisation ist es nicht.

"Auch im Netz braucht man soziale Kompetenz. Das geht schon bei der Wahl des Nicknames los. Wenn ich mich als ,geiler Hengst' einlogge, riskiere ich, ganz schnell andere zu verprellen", entschärft Christiane Eichenberg den Alarm, unser zwischenmenschliches Beziehungsgefüge gleiche sich in seinem Ausdruck der Unverbindlichkeit des Chat-rooms an: Ganz viele Emoticons und ganz wenig Gefühl.

"Mmh ;-D rrrrrrrrrrr lecker!" ist zwar durchaus ein Dutzendkommentar zu meinem virtuellen Steckbrief, doch die meisten suchen vor dem Sex erstmal das Verständnis: "Mir fehlt die Lust und Leidenschaft, das Kribbeln, das aufregende Neue", schreibt mir David. Klassischer könnte kein Beziehungs-Burnout diagnostiziert werden. David, 40, ist seinem Profil nach gebunden ("und das soll auch so bleiben"), römisch-katholisch und "treu".

Im 3. Teil: "Wieviel Fleisch will ich sein?"

Kein Widerspruch, denn auch seine Vorstellung einer Affäre - "erotische Freundschaft" - entspricht nicht dem Bild des dank Internet sozial Triebgesteuerten. Die Seitensprungsuche "endet nicht immer im Bett", sagt Anne Molière. "Sex steht nicht unbedingt im Vordergrund, vielen reicht es schon, mal wieder das Gefühl zu erhalten ,Du bist wer, ich höre dir zu"'. Sex ist nur der Vorwand, Liebesbedürfnis der Anlass.

Auf der Seite Poppen.de beklagt sich etwa eine Frau über die mangelnde Empathie ihres ersten realen Date: "Meine Lippen hatten gerade meine Kaffeetasse berührt, als mein Gegenüber auch schon meinte: ,Meinste nich, wir sollten langsam mal loslegen, weswegen wir hier sind, immerhin haben wir ja jetzt das Kaffeetrinken-Prozedere hinter uns"'. Das "gegenseitige Beschnuppern ist ganz, ganz wichtig", sagt Molière.

"Alles kann, nichts muss", schmiegt sich ein User an die potentielle Seitensprunggefährtin. Rammler-Rituale sind in den meisten One-Night-Stand-Agenturen unerwünscht. Viele User erklären sich allein in ihren Profilen zu allem bereit und gebärden sich dann im E-Mail-Verkehr eher züchtig.

Alles nur gefaked?

"Der digitale Straßenstrich", auf dem sich Perverse aller Art zum tête-à-tête einfinden, wie es Eichenberg häufig dargestellt findet, existiert, aber nicht in dem oft herbeigeschriebenen Ausmaß. Unbestritten bietet das Netz auch "Menschen, mit ausgefalleneren Wünschen ihre Nische", wie Eichenberg sagt. Doch in den Seitensprungforen überwiegt die Sehnsucht nach Verbindlichkeit, wie sie etwa "Adonis", ausdrückt: "Melde dich doch bitte mal, auch wenn dich mein Profil nicht überzeugt".

Moralisch verkürzt ist es daher zu glauben, dass der ausgewiesene Online-Sexmarkt nur die reine Fleischbeschau produziere. "Ich war wohl zu ehrlich in meinem Profil", beklagt ein zweiter im Forum, weil es bei ihm bisher mit keinem einzigen Treffen geklappt hat.

Vor allem die Männer stehen in der balzenden Pflicht: "Bist du etwa auch nur ein Fake?", sorgt sich ein männlicher Nutzer, nachdem ich einen halben Tag nicht auf seine Chat-Einladungen reagiert habe. In die sowieso schon geringe Frauenquote fällt auch noch der Anteil der stummen Betrachterinnen, die lediglich schauen, kostenlos und relativ ungestört. Immer mehr Frauen beanspruchen die Dienste der Online-Kuppler, konstatiert auch Anne Molière.

"Was mein Mann kann, kann ich schon lange", verwandelt sie den numerischen Zuwachs in emanzipatorisches Manifest. Doch auch Internetpsychologin Eichenberg räumt den Chatrooms einen für das weibliche Flirtverhalten günstigen Charakter ein: "Frauen sind in den Foren besser dran, sie können in einem geschützten Raum offensiver und autonomer Männer kennenlernen, ohne Angst vor Übergriffen".

Wieviel Fleisch will ich sein?

Die Frage nach einer Definition von "Übergriff" muss allerdings schon bei der Registrierung gestellt werden: Was will ich von mir preisgeben? Wahre ich mit Nacktfotos tatsächlich meine Anonymität? Bin ich mir bewusst, ab dem "Sie sind angemeldet"-Klick von einem Großteil meiner neuen Bekannten nur noch mit "geile Maus" angesprochen zu werden? Kurz: Wieviel Fleisch will ich sein?

Zwei Wochen Selbsterfahrung, hunderte Mails und ebensoviele Angebote später: Zu keinem One Night Stand, nicht einmal zu einem Treffen ist es gekommen. Nicht aus der in dutzenden Foren beschriebenen Angst, das Gegenüber entspräche nicht der Vorstellung, sondern aus dem Unbehagen, so organisiert privat, gar intim zu sein. Der anfängliche Gedanke, dass, weil klar ist, warum man hier ist, größere Ehrlichkeit erlaubt sei, ist abgehakt. Auch im Seitensprunggewerbe teilt sich die Menge in die flatternden "Ja - Nein - Vielleicht"-Fraktionen verunsicherter Suchender.

Die ars erotica des Web2.0 ist in ihrem Tonfall verzweifelter und schwankender, als es die scheinbar toughe Wochensexplanung vermuten lässt. Wer meint, im Netz ginge es schneller, unterschätzt das Informationsbedürfnis. Was an Zeit in Clubs und Diskos eingespart wird, muss doppelt investiert werden, um aus der virtuellen Anonymität ein reales Profil zu formen. Oder, wie es ein Seitenspringer formuliert: "Es ist hier fast wie im echten Leben, oder?"

© SZ vom 6.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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