Seine Sprache ist dürftig, bei den Plots schreckt er nicht vor den abgewetztesten Genreklischees zurück, und die groben Effekte, die er liebt, stammen aus der Gruselküche der Torture Porn Movies. Durch die Feuilletons hallt ein Seufzer, wenn Sebastian Fitzek Thriller auf Thriller veröffentlicht - seine Leser aber sind begeistert. Seit fünf Jahren in Folge ist er der meistverkaufte Autor in Deutschland. Nun hat sich mit Frank Schmolke einer der interessantesten deutschen Comic-Zeichner an eine Adaptation von Fitzeks Roman "Der Augensammler" (2010) gewagt - und ihn regelrecht veredelt.
Was seine Karriere betrifft, ist der 1967 geborene Schmolke ein Spätzünder. Zwar macht er schon seit fast 30 Jahren Comics; "Trabanten", seine erste Graphic Novel, erschien aber erst 2013. Der große Durchbruch kam 2019 mit "Nachts im Paradies", der autobiografisch inspirierten Geschichte eines Münchner Taxifahrers, der im Trubel der Oktoberfestzeit in kriminelle Umtriebe verwickelt wird. Seitdem hat Schmolke den Zeichenstift offenbar kaum aus der Hand gelegt: Nach dem rund 250 Seiten starken Superhelden-Comic "Freaks" im vergangenen Jahr folgt mit "Der Augensammler" ein fast ebenso umfangreicher Band.
Darin ist ein ungleiches Ermittlerpaar unterwegs: Alexander Zorbach, ein ehemaliger Polizist, arbeitet als Reporter; Alina Grigoriev ist eine blinde Physiotherapeutin, die, wenn sie Menschen berührt, Momente aus ihrer Vergangenheit sehen kann. Nun glaubt sie, in einem ihrer Patienten den "Augensammler" erkannt zu haben, einen bestialischen Serienmörder, der Berlin heimsucht. Er tötet Frauen und entführt deren Kinder, denen er, werden sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist gefunden, ein Auge entfernt, bevor er sie ebenfalls umbringt. Alexander und Alina setzen sich auf die Spur des "Augensammlers", aber wie einst Dr. Mabuse ist der ein Meister der Manipulation und ihnen immer einen Schritt voraus.
Sparsam eingesetztes Rot verleiht Szenen eine Anmutung von höllischer Unterwelt
Schon auf der ersten Seite des Comics erkennt der Leser, dass er bei Schmolke wieder in guten Händen ist. Zu sehen sind lediglich eine Leuchtreklame und eine Hochbahn, die durch einen regnerischen Abend fährt - aber die melancholische Großstadtatmosphäre, die Schmolke mit diesen drei menschenleeren Panels schafft, hätte ein Jacques Tardi nicht besser evozieren können. Anders als in seinen bisherigen Comics arbeitet Schmolke hier mit Farbe. Die düstere Handlung spielt im Winter, es dominieren dunkle Töne; neben Schwarz sind es graue Schattierungen von Blau und Grün. Durchweg in Schwarz gehalten sind die Hintergründe der Seiten: Die oft randlosen Panels scheinen aus dem Dunkel hervorzutreten oder in Gefahr zu sein, von ihm verschlungen zu werden. Sparsam eingesetztes Rot verleiht manchen Szenen eine Anmutung von höllischer Unterwelt, etwa bei Zorbachs Besuch in einem Swingerklub.
Auch die sorgfältig gestalteten Doppelseiten, die zu Schmolkes Markenzeichen gehören, finden sich in "Der Augensammler". Auf einer von ihnen steht Zorbach telefonierend auf einem Boot, und in dieses große Bild eingelegt ist eine Folge von Panels, die zeigen, wie es zu diesem Moment gekommen ist. Dieses Verfahren der Kondensation ist für den freien, glücklichen Umgang des Comics mit seiner Vorlage typisch. So beginnt das erste Kapitel des Romans mit einer wortreichen Schilderung des Vorfalls, der zu Zorbachs Ausscheiden aus dem Polizeidienst geführt hat. Schmolke lässt diese traumatische Erfahrung nur in ein paar über den Band verstreuten Panels jeweils kurz aufblitzen - und macht ihr Fortwirken dadurch umso deutlicher.
Aus nicht besonders guten Büchern können sehr gute Filme werden. Frank Schmolkes Version von "Der Augensammler" beweist: Auch aus einem ausgesprochen schlechten Buch lässt sich ein gut erzählter, visuell aufregender Comic destillieren.