Science-Fiction-Kino:Die Sendung mit dem Mars

Single-Disco im Weltall: Ridley Scott hat den Science-Fiction-Beststeller "Der Marsianer" verfilmt. Weltraum kommt nicht viel vor, dafür interplanetarische Agrokultur.

Von Alex Rühle

Mission: 179 Zeilen in die weiße Leere dieser Seite stellen. Topic: "Der Marsianer". Funktioniert die Einstiegsluke? Intro muss sitzen. Wenn man damit nicht beim Leser andockt, ist der Text sofort verloren. Lebt ja nur im Auge des Betrachters. Ohne Leser treidelt der Text auf ewig durchs schwarze All der Nichtbeachtung. Also Spannung reinpumpen, von Anfang an.

Stilmittel: harter Schnitt. Der Mars. Ein Tal zwischen hohen Bergen. Alles in Rot. Ein paar Astronauten arbeiten rund um ihre Rakete herum, als sich ein Sandsturm übers Gebirge wälzt. Abbruch der Mission! Sofort! Alle Mann in die Raumfähre! Einer von ihnen wird von einem umherwirbelnden Metallstab getroffen und sinkt in den Staub. Scheint tot zu sein. Verdammt! Sie rufen ihn: "Mark!" Nichts. Sie müssen ohne ihn los.

Hier auf der Erde. Dieser Text. Verdammt enges Korsett. Nur 179 Zeilen. Muss ich mir extrem gut einteilen. Aber ich kann das schaffen. Ich will es schaffen. Ich werde es schaffen. Was ist der nächste Job?

Elegant rüberbringen, wer da mitspielt. Der Tote erwacht, marsstaubbedeckt, schwer verletzt, keuchend. Schnell in die Bodenstation. Metallstab rausziehen. Höllenschmerz. Die abgebrochene Spitze bleibt im Bauch stecken. Also muss Mark sich selbst operieren: ruhige Hand über rotem Glibber. Zähes Schmatzen, als er sich selbst das Chirurgenbesteck einführt. Sofort klar: harter Typ, dieser Mark Watney. Gleichzeitig leidet er wie du & ich. Matt Damon eben. Keiner kann das so wie er. Selbst auf dem Mars: der begabte Nachbar von nebenan. Einer, der einfach seinen Job macht. Der Job: "Ich werde nicht sterben."

Problem: Mit wem redet der da oben in seiner Einsamkeit? Antwort: Videotagebuch. Mark Watney hält seinen Überlebenskampf für die Nachwelt fest. Anfangs ist er geschwächt, klar, aber sehr schnell fängt er an zu plaudern. Wobei, plaudern, my arse, das ist ein Nasa-Astronaut! Der plaudert nicht, der macht eine Kampfansage: "I'll science the shit out of this." Muss man im Original zitieren. "Science" als Verb, als Lebensform. Und die fäkale Formulierung verwandelt sich auch sehr schnell von einer metaphorischen Kampfansage an die Gesamtsituation zu einer konkreten Überlebensidee: Kompost! Seine Mannschaft hat doch ihren gesamten Kot hinterlassen. Wenn man den mit Marsstaub mischt und dann Kartoffelsetzlinge pflanzt . . .

Film Marsianer

Lonely Planet: Nach dem hektischen Abbruch der Mission bleibt Astronaut Mark Watney allein zurück.

(Foto: Warner)

So wird dieser Mark Watney vom Wissenschaftler zum Wissenschufter. Er weiß: Die nächste Mission kommt erst in vier Jahren. Also muss er es bis dahin alleine schaffen. Sein Glück: Er war der Botaniker und Ingenieur der Expedition. Kann deshalb beides, bauen und ackern. Also Science bitte, keine Fiction! Man schaut ihm dabei zu, wie er mit Mist und Tücke in der Wohnkuppel ein Treibhaus anlegt. Wie er aus Treibstoff Wasser gewinnt. Wie er einen schwerfälligen Mars-Rover umrüstet zu einem Langstreckenmobil. MacGyver im Weltall. Ein stiller Botaniker als Superheld und Robinson im All - wirklich der perfekte Matt-Damon-Mix. Das Ganze noch unterlegt mit "I will survive" - Watneys Kommandantin hat bei ihrem überstürzten Abflug einen Disco-Sampler zurückgelassen.

Uff, 14.18 Uhr, der Text muss bis 16.00 Uhr fertig werden, dann wird er in die Umlaufbahn unserer Druckerei geschossen. Aber kurz mal Stop: Will man so einen Text? Der dauernd die Schwierigkeiten seiner Verfertigung miterzählt? Nein, will kein Mensch. Der Text sollte einer polierten Glasscheibe gleichen, durch die man auf den Film schaut. Auf Mark Watney und das riesige Nichts um ihn herum. Womit wir beim Problem dieses Films wären. Regisseur Ridley Scott scheint panische Angst vor dem Nichts zu haben. Davor, uns mit dem Weltall zu langweilen. In der literarischen Vorlage von Andy Weir gibt es Passagen über die Unbehaustheit dieses Helden, meist wenige Sätze nur, aber es ist wie ein Eishauch, wie einsam dieser Mensch auf seinem Lonely Planet ist. Denn was hat Mark Watney da draußen? Totale Stille. Einsamkeit bei minus 60 Grad. Wie ist das wohl, wenn man vor seiner Versorgungsstation steht und weiß: keiner da? Wie erlebt man da draußen die Zeit? Von uns Menschen so sorgsam portioniert und kartografiert: gestern, heute, morgen. Auf dieser Insel im All muss sich das doch auflösen in irgendetwas Amorphes. Aber nein, das ganze Setting wird vom ersten Moment an nur als Countdown gezeigt: Proviant reicht für 900 Tage.

Okay, wie optimieren wir das? Die am Ende angeblich verflossenen eineinhalb Jahre werden nie spürbar. Irgendwann hat Matt Damon halt einen Fusselbart und ist abgemagert. Ansonsten aber werkelt er unverdrossen in seinem kleinen Lager wie ein Duracellmännchen vor sich hin und redet in die Kamera: "Dies alles liefert den Beweis, dass ich nicht müßig war." Was eher klingt wie eine Liveschalte aus dem Hobbykeller als wie die Aufzeichnungen eines kosmisch Unbehausten.

Und im Hintergrund läuft "Waterloo". Am ehesten spürt man Watneys Winzigkeit auf den Satellitenbildern im Nasa-Zentrum. Dort stellen sie bald fest: Mark Watney lebt! Wir müssen ihn zurückholen! Jetzt fangen sie hier auf der Erde auch an zu rechnen und zu tüfteln, alle wissen: Science oder nicht Sein, sie müssen über Nacht die Raumfahrt revolutionieren, um schnell genug Proviant zu ihrem Außendienstmitarbeiter zu bringen. Parallel dazu bastelt Mark an seinem nächsten Projekt: Die Marssonde Pathfinder finden. Ausgraben. Umrüsten zu einer Art Modem. Mars an Erde, bitte kommen. So wird die Robinsonade zum Rettungsfilm à la "Apollo 13" und das Kammerspiel zum Blockbuster. Ridley Scott hat noch die kleinsten Nebenrollen mit großen Gesichtern besetzt: der weiche Blick von Chiwetel Ejiofor, der als Wissenschaftler den interplanetarischen Kontakt zu Mark hält; der immer etwas zerknitterte Jeff Daniels als Nasa-Chef; Jessica Chastain als Kommandantin der Mission, die jetzt auf dem Mutterschiff vom schlechten Gewissen zermartert wird - sie hatte befohlen, dass sie Mark im Sandsturm zurücklassen; Scott saugt sich geradezu fest an all diesen Gesichtern.

Die Nasa schließt sich mit den Chinesen kurz. Auf dem Mutterschiff, das ja eigentlich auf dem Heimweg ist, sind alle bereit, ihren Kumpel zu holen. Mark bricht mit seinem Marsmobil auf zu einem 3200 Kilometer entfernten Krater, wo eine Sonde steht, die man vielleicht aktivieren könnte. Und die ganze Welt schaut live bei der Rettungsaktion zu, am Times Square, am Roten Platz - der kleine Mann im Mars verbindet die ganze zerstrittene Menschheit.

Wer sich für eine Einführung in Astrophysik und interplanetarische Agrokultur interessiert - unbedingt reingehen. Wer ein verschachteltes Ironieverständnis hat, mag Freude daran empfinden, wie all die Superstars über gravitationelle Energie und Vor- und Nachteile diverser Antriebstechniken fachsimpeln. Wer das Weltall aber als Ort der existenziellen Extreme liebt, sollte sich lieber zu Hause "Gravity" und "Interstellar" ansehen. Oder einfach mal wieder abends in die Sterne schauen. Da spürt man mehr vom All als in 135 Minuten Sendung mit dem Mars.

Der Marsianer- Rettet Mark Watney, USA 2015 - Regie: Ridley Scott. Buch: Drew Goddard. Kamera: Dariusz Wolski. Mit: Matt Damon, Jessica Chastain, Jeff Daniels, Kate Mara. Warner, 135 Minuten.

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