"High Life" im Kino:Recycling des Lebens

Der Film 'High Life' kommt in die Kinos

Juliette Binoche als Dr. Dibs untersucht den sedierten Monte (Robert Pattinson) in 'High Life'.

(Foto: epd)
  • "High Life" handelt von einer Gruppe Strafgefangener, die auf einem Raumschiff in Richtung eines schwarzen Lochs geschickt werden.
  • Juliette Binoche spielt die leicht durchgeknallte Schiffsärztin Dr. Dibs, die von dem Wunsch besessen ist, an Bord ein Kind zu zeugen und aufzuziehen.
  • Das Science-Fiction-Drama entfaltet seine Kraft vor allem durch die Dinge, die die Regisseurin offen lässt.

Von Philipp Bovermann

Es ist immer wieder erfreulich, wenn Science-Fiction sich mit Themen beschäftigt, um die es wirklich in Zukunft gehen wird. Recycling, zum Beispiel. Mülltrennung. Wiederverwertung. In diesen Worten steckt doch eine Menge dunkler Magie: Müll und Trennung und die ewige Wiederkehr innerhalb eines Schicksalskreislaufs, in dem alles, was entsteht, morgen schon Abfall ist, nur um erneut aus der Asche zu entstehen. Funktioniert nicht ungefähr so das Leben oder Shakespeare oder die Bibel?

So jedenfalls funktioniert das Science- Fiction-Drama "High Life" der französischen Regisseurin Claire Denis. Es geht um Kreisläufe auf begrenztem Raum in unendlicher Weite. Um den Austausch von Körperflüssigkeiten. Eine Truppe junger Strafgefangener soll, statt auf ewig nutzlos in Gefängnissen zu verrotten, dem Zwecke der Energiegewinnung zugeführt werden. Mit einem Raumschiff werden sie in Richtung eines schwarzen Lochs geschickt, um dessen Rotationsenergie anzuzapfen. So weit, so crazy.

Die wegen des Mordes an ihrer Familie verurteilte, leicht durchgeknallte Schiffsärztin Dr. Dibs (genial gespielt von Juliette Binoche) verfolgt ihre eigene kleine Weltraummission: ein Kind zu zeugen und auszubrüten, trotz der für Neugeborene tödlichen Strahlung im Raumschiff. Dafür lässt sie sich in Röhrchen das Sperma der Männer geben, die sie "Sperma-Schamanin" nennen, und pflanzt es bei den Frauen ein. So geht nachhaltig reisen im Weltraum. Die unfassbaren Distanzen müssen schließlich über mehrere Generationen hinweg zurückgelegt werden. Ein Gemüsegarten an Bord des Schiffs spendet ökologisch angebaute Nahrung und Bilder, die an Andrei Tarkowskis "Solaris" erinnern. Fäkalien heißen hier Schwarzwasser und werden in einer Aufbereitungsanlage erst zu Grauwasser, dann zu Weißwasser, das die Besatzung dann wieder trinkt. Nichts geht verloren. Keiner kann entkommen. Die Utopie als Knast.

Je weniger man weiß, desto mehr sieht man

Eine der ersten Szenen zeigt den britischen Schauspieler und Ex-Teenie-Star Robert Pattinson ("Twilight") im Raumanzug, wie er die durch Kälte konservierten Leichen der restlichen Crewmitglieder eine nach der anderen durch eine offene Tür ins All hinaus entsorgt. Zu hören ist nur das Rascheln des Anzugs und Pattinsons Atmen, ansonsten herrscht, wegen der fehlenden Schallübertragung im luftleeren Raum, Totenstille. Jenseits der Tür ist finsterstes Schwarz, kein Stern leuchtet zum Abschied. Näher kommen die Menschen dem Jenseits wohl nicht. Sie gehen, wie es die Religionen und die sozialen Netzwerke versprechen, mit ihrem körperlichen Äußeren darin ein. Anschließend treiben sie im All, makellos und jung, gespeichert für alle Ewigkeit. Das Raumschiff aber fliegt weiter. Zum schwarzen Loch, das als gigantische Fata Morgana die Idee verkörpert, dass Dinge einfach verschwinden können. Der Recyclingkreislauf des Lebens rotiert um den Wunsch der Erlösung aus dem Sein.

Die 73-jährige Claire Denis hat immer wieder die Kräfte untersucht, die entstehen, wenn Körper aufeinandertreffen. Etwa in "35 Rum" (2008), wo eine Gruppe von Menschen in einer Bar strandet. Man tanzt miteinander, während die anderen gucken, trinkt ein paar Rum. Es geht nicht gemeinsam, aber vor dem Auseinanderdriften haben sie noch viel mehr Angst. Und dieser Drift passiert filmisch. Es entstehen Langsamkeiten, Lücken, kleine Vakuumschleusen, in die Angst flutet.

Oder "Der Fremdenlegionär" (1999). Damals hatte die Regisseurin nur vier Wochen Zeit, um eine Geschichte über homosexuelle Eifersüchteleien und Macht in einer Gruppe von Fremdenlegionären zu drehen. Also ließ sie ihre Schauspieler militärische Übungen aufführen, filmte ihre schwitzenden Körper, hörte auf, sich um das Skript zu sorgen. Es fehlten hinterher etliche Szenen, aber das war egal, denn eine in filmgeschichtlicher Hinsicht durch und durch französische Erkenntnis besagt: Je weniger man weiß, desto mehr sieht man. Und bei Claire Denis, einer der letzten waschechten Autorenfilmerinnen, sieht man eben Körper.

"High Life" reiht sich in dieses Werk nun so ein, als würde man die Begriffe, mit denen man abstrakt über ihre Filme spricht, plastisch im Studio nachbauen und in Form von Gesprächen über Anziehungskraft, schwarze Löcher und Rotationsenergien ins Skript schreiben. So etwas kann gewaltig schiefgehen. Oder es kann sehr genial werden. So wie im Fall von "High Life". Dass der Film, als erster ihrer Karriere, auf Englisch gedreht wurde, hat laut Denis nur einen Grund: Englisch sei "die Sprache des Weltraums". Das denkt sie halt so, also wird es so gemacht, pourqoui pas? Wie die Energie des schwarzen Lochs zurück zur Erde kommen soll, bleibt offen. Wie genau Dr. Dibs Masturbationskammer (genannt "Fuck Box") funktioniert, bleibt offen. Was sich am Ende des nach rechts abbiegenden Gangs befindet, der immer wieder zu sehen ist, bleibt offen. Ach, es bleibt so vieles offen. Und zwar nicht auf die blöde, die bedeutungsvoll raunende Art. Man hat das Gefühl, "that she truly doesn't give a shit", um es in den Worten des Oscarpreisträgers Barry Jenkins ("Moonlight") zu sagen, der ein großer Bewunder von Denis ist.

Deshalb ist dieser Film über geschlossene Stoffkreisläufe letztlich auch ein Film über das genaue Gegenteil: über das Offene. Auch wenn es Angst macht. Sie solle "open" bleiben, rät Gérard Depardieu als Wahrsager seiner ebenfalls von Juliette Binoche gespielten Kundin am Ende von Denis' Film "Meine schöne innere Sonne". Einfach "open" bleiben, bis der richtige Liebhaber kommt. Der Blick von Binoche ist lustiger und zugleich trauriger als so mancher ganze Film. Mit "High Life" sind Binoche und Denis in diesem "open" angekommen: die eine als Sperma-Schamanin, die andere als eine Kraft im Kino, die sich nicht bezwingen lässt.

High Life, Frankreich/ USA 2019. Regie: Claire Denis. Mit: Robert Pattinson, Juliette Binoche, Mia Goth, Lars Eidinger. Pandora Film, 110 Minuten.

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