Science Fiction:Ach, Teiresias, du lieber Sonnenwirbel

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Dietmar Dath rekrutiert ein abenteuerverliebtes Forscherteam, führt seitenlange mathematische Beweise und legt damit in seinem neuen Roman einen "Schnitt durch die Sonne".

Von Christoph Schröder

Der Journalist und Schriftsteller Dietmar Dath bildet ein eigenes Universum in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. In einem Zeitraum von etwa zwanzig Jahren hat Dath in den unterschiedlichsten Verlagen rund zwei Dutzend zum Teil umfangreiche Romane publiziert, die sich mehr oder weniger allesamt in der Schnittmenge von Popkultur, Science Fiction und Wissenschaft bewegen. Hinzu kommen Theaterstücke, Essays und das journalistische Tagesgeschäft. Ein Schnelldenker, Schnellschreiber und Vielschreiber mit einem nahezu unüberschaubaren Fundus an Wissen und Interessen.

Daths neuer Roman, der erste von ihm, der im S.-Fischer-Verlag erschienen ist, macht mit einem geradezu klassischen Szenario auf, wie man es aus Gangsterfilmen kennt: Ein Team wird rekrutiert, ein merkwürdiges allerdings, und das auch nicht immer auf freiwilliger Basis. Da ist Aykut, ein reicher, türkischstämmiger Geschäftsmann, der sich darüber hinaus durch seine Kochkünste auszeichnet. Da ist Karel, ein Physiker, dessen wissenschaftliche Karriere an einem Datenbetrug gescheitert ist. Hinzu kommen Bernhard, ein Musiker; Marianne, eine ehemalige Klavierlehrerin, die in einem Altenheim lebt, und die Mathematikerin Vera.

Zusammengestellt wird das Team von einem Sonnenwirbel, der sich als krankes Mädchen tarnt. Teiresias, so nennt es sich, gibt dem Quintett drei Aufgaben, die allesamt mit einem Krieg zu tun haben. Der tobt auf der Sonne und hat sich entzündet an einer Figur, die Koronakind genannt wird. Jedes Mitglied des Teams erhält nun einen den jeweiligen Fähigkeiten entsprechenden Forschungsauftrag, der darauf zielt herauszufinden, woher besagtes Koronakind stammt, wovon es sich ernährt und welche Sprache es spricht. Dieses Koronakind sprengt die Vorstellungskraft davon, was Menschen sich unter intelligentem Leben auf fernen Planeten konstruiert haben. Nicht nur in dieser Hinsicht geht es Dietmar Dath offensichtlich um Aufhebung aller Grenzen und Beschränkungen.

Die Sonne selbst allerdings bleibt auch bei Dietmar Dath eine ferne und unerreichbare Projektionsfläche. Die Reise dorthin geschieht nicht etwa materiell, sondern via Bewusstseinsübertragung in einem eigens dafür entwickelten Apparat. "Der Schnitt durch die Sonne" ist in drei große Kapitel aufgeteilt, die den Grenzverlauf zwischen dem Hier der Erde und dem Dort des fernen Planeten markieren. Das Ergebnis dieses ambitionierten Versuchs, sämtliche Genres ins Leere laufen zu lassen und gleichzeitig einen Roman mit politischem Anspruch zu schreiben, ist ein in Tonlagen und Handlungsverläufen divergentes Buch: Es kommt im Lauf der Expedition zu Identitätsverschiebungen, zu einer Liebesgeschichte und zu handfesten Kampf- und Abenteuerszenen, die jede und jeder Einzelne aus dem versprengten Häuflein der Sonnengesandten zu erleben hat.

Was nutzt die Wissenschaft im Roman, wenn der Leser sie nicht prüfen kann?

Dietmar Dath kann rasant und witzig erzählen. Er hat ein Gespür für Dialoge, so dass manche Szenen eine Comic-hafte Rasanz gewinnen. Die wiederum wird geradezu brutal ausgebremst von Daths Anspruch, seine erzählte Welt theoretisch und wissenschaftlich zu unterfüttern. Das gilt vor allem für die Exkurse zur Mathematik. Es dürften nur wenige Leser in der Lage sein zu prüfen, ob die seitenweise dargestellten Theorien tatsächlich stimmen. Also: "Rechts, dieses g, das bildet die Elemente von B dann auf C ab, auf die beiden Antworten Ja und Nein nämlich. Also f von Petra ist: >organisiert<, und g ist einfach die Frage: >ist das jeweilige Element organisiert?< Und wenn es zu einem Ja kommt bei g, wenn g von Petra dasselbe ist wie h von Petra, und wenn f von Francesca dann >unorganisiert< ist und g von Francesca also >nein< und wenn nun h einfach die Frage ist: >charakterfest?<, dann..."

Dass Daths Erzählverfahren nicht unbedingt leserfreundlich ist, ist eine Feststellung von geringem Wert - jeder liest schließlich anders. Gravierender ist, dass die Exkurse zur Veranschaulichung des Materials nichts beitragen, sondern munter vor sich hinklappern. So verfestigt sich der Eindruck, dass "Der Schnitt durch die Sonne" zwar gesellschaftliche und wahrnehmungspsychologische Gewissheiten auf den Prüfstand stellt und dem Autor beim Schreiben eine Menge Spaß bereitet haben dürfte, dass aber das Abenteuer der Lektüre hinter dem der Handlung zurückbleibt.

Dietmar Dath: Der Schnitt durch die Sonne. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2017. 362 Seiten, 24 Euro.

© SZ vom 19.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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