Süddeutsche Zeitung

Älteste Büchersammlung Neapels geplündert:Bock und Bibliothekar

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Mehr als tausend wertvolle Bücher sind aus der ältesten Bibliothek Neapels verschwunden - und zum Teil in Deutschland aufgetaucht. Die Polizei geht von einer dreisten Plünderung aus - und verdächtigt den Direktor. Der ist der Justiz inzwischen als Hochstapler bekannt.

Henning Klüver

In einem Münchner Kunst- und Buchauktionshaus liegen einige antiquarische Schriften aus zwei Einlieferungen, die der Auktionator Herbert Schauer bislang nicht zur Versteigerung freigegeben hat. Die Titel vornehmlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert könnten aus einem großangelegten Diebstahl aus der altehrwürdigen Biblioteca dei Girolamini stammen. In der ältesten Bibliothek Neapels sind mehr als tausend wertvolle Bücher verschwunden. Einige davon wurden bereits auf internationalen Auktionen verkauft.

Mehr als 250 wurden kürzlich am Flughafen Neapel bei dem Versuch beschlagnahmt, sie nach Argentinien zu schmuggeln. Andere tauchten im Frühjahr in Lagern in Verona auf, die man mit dem Direktor der Bibliothek, Massimo Marino De Caro, in Verbindung bringen konnte, der früher ein Buchantiquariat in Verona betrieben hatte.

Wurde die Girolamini also von ihrem eigenen Chef ausgeplündert? Die Staatsanwaltschaft in Neapel hat da keine Zweifel. De Caro, der vom Kulturminister auf diesen Posten berufen worden war, sitzt seit Ende Mai in Untersuchungshaft. Er ist eine schillernde Figur: 1973 in Bari geboren, Autor eines Buches über Galilei, Honorarkonsul von Uganda, Berater von russischen Oligarchen in Fragen umweltfreundlicher Energien - und, wie sich herausstellte, ein Hochstapler, der sich fälschlich mit mehreren Hochschulabschlüssen und Professorentiteln schmückt.

Die Öffentlichkeit war auf skandalöse Zustände in der Biblioteca dei Girolamini durch einen Besuch des Kunsthistorikers Tomaso Montanari aufmerksam geworden. In einem Artikel der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano berichtete er Anfang des Jahres über die Verwahrlosung der Einrichtung, die 1586 von der Klostergemeinschaft der Oratorianer als eine der ersten öffentlichen Bibliotheken Süditaliens gegründet worden war. Hier studierte und arbeitete in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Philosoph Giambattista Vico (der in der benachbarten Chiesa der Girolamini bestattet wurde) und 200 Jahre später auch Benedetto Croce.

Mit der Gründung des italienischen Einheitsstaates ging die Bibliothek in Staatsbesitz über, wobei man ihre Leitung weiterhin den Oratorianern übertrug. Vor einigen Jahren wurde sie geschlossen, um sie nach den Anforderungen moderner Konservierung neu zu ordnen. Ihr Bestand von geschätzten 170.000 Titeln, darunter mehrere hundert Inkunabeln, eine große Sammlung Schriften aus dem 16. Jahrhundert sowie Manuskripte musikalischer Werke aus dem Barock, ist nicht einmal systematisch katalogisiert.

Der Orden der Oratorianer bat das Ministerium dafür um die Entsendung eines fachlich kompetenten Leiters. Berlusconis Kulturminister Giancarlo Galan schickte also Massimo Marino De Caro nach Neapel und machte ihn zugleich zu seinem Berater in Fragen des Buchantiquariats. Der heute 39-jährige De Caro war vom Minister auf Vermittlung des Berlusconi-Vertrauten Marcello Dell'Utri berufen worden, der in Mailand die Biblioteca del Senato betreibt und jedes Jahr die wichtigste Buchantiquariatsmesse des Landes veranstaltet - aber wegen Mafiaverbindungen bereits in zwei Instanzen verurteilt worden ist.

Der zuständige Abteilungsleiter im Ministerium soll der Berufung von De Caro erst "nach massivem politischen Druck", wie es in der italienischen Presse heißt, zugestimmt haben. Merkwürdig auch, dass De Caro von Lorenzo Ornaghi, dem Kulturminister der Monti-Regierung (seit November 2011 im Amt), zunächst in all seinen Funktionen bestätigt wurde.

Jedenfalls hatte man so den Bock zum Gärtner gemacht. De Caro kümmerte sich offensichtlich nicht um die Neuordnung der Bibliothek, sondern betrieb "systematisch mit der Gründung einer kriminellen Vereinigung", so die Staatsanwaltschaft, ihre Plünderung. Auf den Artikel im Fatto Quotidiano riefen circa 2000 Fachleute, Schriftsteller und Intellektuelle Italiens die Regierung zur Überprüfung der Vorgänge in der Girolamini auf. Doch das Kulturministerium zögerte eine Inspektion hinaus. Als schließlich die Diebstähle nicht mehr verheimlicht werden konnten, zeigte De Caro selbst den Verlust einiger Werke an, konnte aber nicht verhindern, dass die Polizei die gesamte Einrichtung beschlagnahmte.

Doch der Direktor blieb weiter auf seinem Posten. Kulturminister Ornaghi erklärte Mitte April im Parlament, er wollte "gelassen" die gerichtlichen Ermittlungen abwarten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Hochstapeleien von De Caro bereits aufgeflogen und auch Vorgänge aus seiner Vergangenheit laut geworden. Unter anderem hatte er in den USA versucht, gefälschte Schriften von Galilei als Originale zu verkaufen. Erst zwei Tage vor seiner Verhaftung, Ende Mai, wurde De Caro vom Minister entlassen.

Inzwischen hat er den Verkauf einiger Bücher aus dem Bestand der Bibliothek für rund 35.000 Euro gestanden - aber nur, weil er angeblich das Geld wieder in die Einrichtung stecken wollte und außerdem durch Auslegen beträchtlicher Summen für Arbeiten in der Bibliothek in Vorleistung getreten sei.

Jetzt liegt sommerliches Schweigen über der Angelegenheit. Im Ministerium herrscht Urlaubsruhe wie bei der Staatsanwaltschaft in Neapel. Die wird vermutlich im September die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen Marino Massimo De Caro beantragen. Über ein Rechtshilfeverfahren hat sie vier Titel der Einlieferungen bei Zisska & Schauer in München beschlagnahmen lassen, die aus den Beständen der Girolamini stammen könnten (aber nicht von De Carlo selbst eingeliefert wurden), wie der Auktionator Herbert Schauer der SZ bestätigte.

Er wolle jetzt das Verfahren abwarten und dann die Biblioteca dei Girolamini bitten, die fraglichen Einlieferungen zu prüfen - und im Einzelfall Beweise vorzubringen, wenn sich darunter noch Titel aus ihren Beständen befinden sollten. Erst nach Klärung dieser Fragen könne er die Titel bei einer der kommenden Aktionen anbieten.

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SZ vom 17.08.2012/feko
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