Süddeutsche Zeitung

Schwüle Tage:Ein Alligator ist der Ventilator

Die Luft ist dick, von Unheil schwanger - der Sommer hat zwar noch nicht begonnen, aber uns ist es schon zu warm. Und dann geht auch noch der Ventilator kaputt...

Durs Grünbein

Ventilator

Es sind die Lilien, die so stinken in der Nacht,

Daß einem schwindlig wird von so viel Leben.

Wer hat sie aufgeputscht in ihrer Vase?

Warst du das, Chefin, mit geübter Hand?

Die Luft ist dick, von Unheil schwanger,

Der Ventilator an der Decke lange schon defekt.

Der ganze Raum, Berliner Zimmer, liegt betäubt

Unter den Lilienschauern bis hinauf zum Stuck.

Ein Alligator ist der Ventilator, wenn er ruht,

Ein Krokodil, weit aufgesperrt sein Rachen.

Doch wehe, wenn es in Bewegung kommt,

Das Mobiliar und es erbricht sich das Klavier.

Es sind die Lilien... (Und da hilft kein Aspirin).

Ein Bündel Dolche, die im Wasser faulen.

Bei dieser Hitze wirkt ihr Violett obszön,

Das Schwarz der Blütenstempel unerträglich.

Wie, glaubst du, kommt man jemals wieder raus

Aus diesem Rattenlabyrinth des Sommers?

Wo ist der Helikopter, der uns heimwärts fliegt?

Mit seinen Rotorblättern, Zähnen, Messern,

Aus dem Motorenauge blickt der Ventilator

Auf den Gestank herab, den Nimbus - Leben.

Daß es nicht scheitern kann, das ist sein Fluch.

Es kann und kann nicht scheitern, kann es nicht.

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Quelle:
SZ v. 14.6.2007
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