Süddeutsche Zeitung

Schweden:Übergriffe und schwarze Kassen

Über der feierlichen Übergabe des Literaturnobelpreises lag ein Schatten: Der Missbrauchs- und Korruptionsskandal um die altehrwürdige Schwedische Akademie, die den Preis vergibt, weitet sich aus.

Von Thomas Steinfeld

Als am Sonntagabend die Nobelpreise verliehen wurden, saßen viele Menschen im Stockholmer Konzerthaus, die sorgfältig die Reihen der Honoratioren auf der Bühne durchmusterten: Wer von den traditionell achtzehn Mitgliedern der Schwedischen Akademie war der Zeremonie ferngeblieben? Die Schriftstellerin Kerstin Ekman war selbstverständlich nicht da. Sie hatte die Mitarbeit in der Akademie schon vor fast dreißig Jahren gekündigt. Ihre Kollegin Lotta Lotass war nicht da. Sie hatte die Mitarbeit vor zwei Jahren eingestellt, mit der Begründung, dass sie den sozialen Ansprüchen an ein Mitglied der Akademie nicht genüge. Und es fehlte die Gestalt, die am allermeisten gesucht wurde: die Lyrikerin Katarina Frostenson, bis vor kurzem eine der prominentesten Stimmen der Institution, die jedes Jahr den Literaturnobelpreis vergibt - in diesem Jahr bekam ihn der britische Schriftsteller Kazuo Ishiguro.

Katarina Frostenson ist, wie jetzt auch die seriösen Zeitungen Schwedens bei Nennung des Namens schreiben, die Frau jenes Mannes, der die Akademie in die größte Krise ihrer jahrhundertealten Geschichte stürzte. Bei diesem Skandal geht es unter anderem darum, dass ihr Mann seit drei Jahrzehnten seine Nähe zur Akademie für sexuelle Übergriffe ausnutzte, gegenüber Praktikantinnen und Debütantinnen, gegenüber den Frauen und Töchtern der Akademiemitglieder und schließlich auch gegenüber Sara Danius selbst, der amtierenden Ständigen Sekretärin der Schwedischen Akademie. Katarina Frostenson aber schützte ihren Mann, während die Übergriffe zum internen Gemeinwissen gehörten und die ständische Geschlossenheit der Akademie dafür sorgte, dass allenfalls Gerüchte nach außen drangen.

Das vorzeitige Verraten der Literaturnobelpreisträger gehört noch zu den geringsten Vergehen

Längst aber mischt sich der Skandal um die sexuellen Übergriffe mit Nachrichten über andere Unregelmäßigkeiten in den Kreisen der Akademie . Katarina Frostenson und ihr Mann betrieben gemeinsam einen Kulturverein namens "Galleri Forum", der nicht nur als Basis für die Übergriffe diente, sondern auch mit schwarzen Kassen betrieben worden sein soll - während der Verein von der Akademie, der Stadt und anderen Kulturinstitutionen finanziert wurde. In mindestens drei Fällen (Elfriede Jelinek, Harold Pinter und Patrick Modiano sowie vermutlich auch Jean-Marie Le Clézio) verriet der Mann Tage vor der feierlichen Bekanntgabe, wer den Nobelpreis im jeweiligen Jahr bekommen werde - an seine Praktikantinnen.

Zugleich scheint der Kulturverein als Portal für die Akademie gedient zu haben: Etwa die Hälfte ihrer heutigen Mitglieder fanden zu ihrer Berufung, nachdem sie sich im "Forum" hatten vorstellen können. Der Mann durfte die Pariser Wohnung der Akademie nutzen und wurde dafür als "Pfleger" bezahlt. Etliche Mitglieder, darunter Katarina Frostenson und ihr Mann, erhielten über die Akademie privilegierten Zugang zu Stockholmer Wohnungen - auf einem der teuersten Immobilienmärkte Europas. In schwedischen Medien wird nun der Rücktritt der Mitglieder gefordert, die, wider besseres Wissen, den Mann nicht nur deckten, sondern ihn auch förderten: Neben Katarina Frostenson geht es dabei um Horace Engdahl, Peter Englund und Per Wästberg.

"Wir haben einen Fehler gemacht, einen sehr ernsten Fehler", sagt nun Sara Danius, was umso schwerer wiegt, als die Akademie die zentrale literarische Anstalt eines kleinen Landes ist und einen entscheidende Einfluss auf Künstlerkarrieren ausüben kann. Ein Anwaltsbüro ist nun beauftragt, die Geschäfte der Akademie auf unzulässige Vorteilsnahme hin zu untersuchen. Mit den Ergebnissen wird in etwa zwei Monaten gerechnet.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2017
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