Süddeutsche Zeitung

Schwarze Liste in Weißrussland:Kultur unerwünscht

"Negative Beeinflussung der Jugend": In Weißrussland kursiert eine schwarze Liste kritischer Theater, Literaten und Bands. Darunter finden sich auch Jude Law und Kevin Spacey - beide demonstrierten nun in Belarus.

Ingo Petz

Das Papier wirkt unwirklich, wie eine Reminiszenz an die alte Zeit der Parteiendiktatur. Es ist dünn, ähnlich dem Papier, das man in der Sowjetunion gebrauchte. Es fehlen Stempel, Unterschriften, all die Insignien, die das Papier als ein offizielles Dokument der weißrussischen Bürokratie ausweisen würden. "Spisok", Liste, steht auf Russisch über den Namen der 57 Musiker, Autoren und Schauspieler.

Bekannte weißrussische Bands wie N.R.M., Krambambulja, Lyapis Trubeckoi oder das Theaterprojekt "Belarus Free Theatre" stehen auf dieser Liste. Auch der Song-Schreiber Zmicier Wajzjukjewytsch, ein enger Freund des Dichters Uladzimier Njakljaeu, der bei den Präsidentschaftswahlen 2010 antrat, dann am finalen Wahlabend von Sicherheitskräften zusammengeschlagen und ins KGB-Gefängnis verschleppt wurde.

Aus Russland ist die Dissidenten-Rockband DDT genannt, auch der Schriftsteller Wiktor Jerofejew. Im letzten Abschnitt liest man - etwas überraschend vielleicht - die Namen von Neil Tennant, dem Sänger der britischen Pet Shop Boys, sowie die der Hollywood-Schauspieler Jude Law und Kevin Spacey. Denn die hatten sich im Rahmen eines Videoprojektes für künstlerische Freiheiten in Weißrussland eingesetzt.

Man könnte dieses amateurhaft zusammen geschusterte Papier für einen schlechten Scherz halten. Allerdings häufen sich die Anzeichen dafür, dass dieses Papier tatsächlich eine schwarze Liste der Künstler darstellt, die das Regime des Präsidenten Alexander Lukaschenko als oppositionell und damit als "verboten" einstuft. Anfang März hatten viele offizielle Medien die Liste erhalten. Mit dem Hinweis, dass die auf der Liste stehenden Künstler "unerwünscht" seien.

Das Informationsministerium wiegelte umgehend ab und erklärte, dass diese Liste nicht aus dem Ministerium stamme und eine offizielle schwarze Liste auch gar nicht existieren würde. Allerdings dementierten Staatsmedien nicht, dass solch eine Liste in Gebrauch sei. Offensichtlich hat das Regime Lukaschenko der Kultur wieder einmal den Kampf angesagt.

Die Band Krambambulja veröffentlichte auf ihrer Facebook-Seite die Information eines Jugendradiosenders aus der Kleinstadt Baranawytschi. In der heißt es, dass der Sender angehalten wurde, "die Kompositionen der Bands Lyapis Trubeckoi, Krambambulja, Tarakany und so weiter nicht in Jugendprogrammen zu verwenden". Denn, so heißt es: "Das Werk dieser Gruppen und Künstler beeinflusst negativ die normale Entwicklung und die Sozialisierung der Jugend."

In kürzester Zeit wurden bereits vier Konzerte abgesagt: eines von Lyapis Trubeckoi in der Stadt Gomel, eines von Wajzjukewytsch in Brest und Konzerte von Krambambulja und der Rock-Band Nejro Djubel in Minsk. "Es ist traurig, dass wir wieder zu den Verboten zurückkehren", urteilte Wajzjukewytsch. Krambambulja bedankten sich ironisch auf Facebook beim Kulturministerium für die "großartige PR-Aktion", die der Band das Konzertverbot beschert hat.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Unterstützung der Kulturszene vom Westen vernachlässigt wird.

Viele der gelisteten weißrussischen Musiker und Bands standen bis 2007 bereits unter einem inoffiziellen Verbot. Seit Ende der Neunziger Jahre war insbesondere die Musik- und Literaturszene seitens des Regimes bekämpft worden. Seit dem letzten Tag der Präsidentschaftswahlen, dem 19. Dezember 2010, und den darauffolgenden Massenprotesten führt das Regime eine breit angelegte Kampagne gegen alle, die für unabhängiges und demokratisches Denken und Handeln stehen.

Viele Experten glauben, dass das Regime Lukaschenko die Strukturen der Opposition vollends zerstören will. Dass auch die Kultur, die eine höchst lebendige Drehscheibe für Lukaschenko-Kritiker ist, irgendwann zur Zielscheibe des Regimes werden würde, war nur eine Frage der Zeit. "Es ist zu befürchten", sagt Jörg Forbrig, der beim German Marshall Fund für Weißrussland zuständig ist, "dass der Kreis ,unerwünschter' Künstler ausgeweitet wird und möglicherweise die gesamte unabhängige Kulturszene in den Untergrund oder die Emigration getrieben wird."

Bereits im Januar hatten die Autoritäten das unabhängige Minsker Radioprogramm "Avtaradio" geschlossen, ein Programm, das vor allem für seine alternativen Musiksendungen bekannt war. Der mutmaßliche Grund für die Schließung? Der Sender hatte es sich erlaubt, Werbespots der oppositionellen Präsidentschaftskandidaten auszustrahlen.

Angesichts dieser ernsten Situation stellt sich die Frage, wie ausländische Kräfte der weißrussischen Kulturszene helfen können. Demokratisierungs- und Menschenrechtsprojekte werden traditionell über EU-Mittel, nationale Stiftungen und Regierungsgelder gefördert. Die Unterstützung der weißrussischen Kultur beruht allerdings bis auf wenige Ausnahmen auf Privatinitiativen und kleinen Vereinen.

"Vor allem müssen westliche Partner anerkennen", sagt Forbrig, "dass eine freie Kulturszene ebenso Teil der demokratischen Bewegung von Belarus ist wie die klassischen Menschen- und Bürgerrechtler, die unabhängigen Medien und Oppositionsparteien. Wir müssen der Kultur das Überleben ermöglichen. Dies bedeutet einerseits finanzielle und ideelle Förderung der Kultur im Lande, um Auftrittsmöglichkeiten, die Verbreitung von CDs, Büchern und Filmen sowie eine starke Präsenz in Internet und freien Medien zu ermöglichen. Andererseits ist es notwendig, belarussischen Künstlern mehr Zugang zur westlichen Kulturszene und Öffentlichkeit zu verschaffen, über Veranstaltungen, Stipendien und Arbeitsaufenthalte."

Die alternative Kulturszene schwankt derzeit, so scheint es, zwischen Orientierungslosigkeit und Lähmung. Künstler wie der Fotograf Andrej Ljankewytsch haben beschlossen, in keiner Weise mehr mit den staatlichen Behörden und Institutionen kooperieren zu wollen. Andere versuchen, die Illusion einer Normalität aufrechtzuerhalten. In einem offenen Brief erklärte der Nejro Djubel-Sänger Aleksandr Kulinkowytsch, dass sich seine Band lediglich mit Musik beschäftige. "Und diese Beschäftigung ist sehr weit weg von der Politik." Das klang so, als wolle Kulinkowytsch die Behörden davon überzeugen, das Verbot gegen seine Band aufzuheben.

Der Sänger Ljawon Wolski sagte unlängst bei einer Veranstaltung in Berlin im Februar, dass er längst keine Angst mehr habe. "Ich werde weiterhin meine Kunst machen. Koste, was es wolle." Wolskis kabarettistische Chansons, die er für den Radiosender "Svaboda" (zu Deutsch Freiheit) schreibt, werden immer scharfzüngiger.

In Anspielung auf Weißrusslands furchtbar schmierigen Eurovision-Beitrag "Born in Belorussia" und die arabischen Revolutionen schrieb Wolski einen ironischen Song, der zum Renner im weißrussischen Internet wurde. Im Refrain heißt es: "Byelorussia Crazy and so fine. Byelorussia. Vodka and cheap wine. Red and green and constitution - We don't need a revolution!"

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SZ vom 29.03.2011/tolu
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