"Schwanengesang" bei Apple TV+:Mein Klon und ich

Lesezeit: 3 Min.

Oscarpreisträger Mahershala Ali in "Schwanengesang". (Foto: Apple TV+)

Im Sci-Fi-Film "Schwanengesang" lässt ein todkranker Mann eine digitale Kopie von sich anfertigen, die sich um seine Familie kümmern soll. Kann das gutgehen?

Von Annett Scheffel

Es gibt Schauspielerinnen und Schauspieler, die jede Geschichte zwangsläufig zum Glänzen bringen. Die den Schauwert eines Films ganz automatisch erhöhen. Die ihn durch ihre bloße Präsenz mindestens zu einem besseren, oft sogar zu einem guten Film machen. Man schaut ihnen einfach so unfassbar gerne zu. Kristen Stewart ist so eine Schauspielerin. Adam Driver auch. Und in Benjamin Clearys Science-Fiction-Drama "Schwanengesang" (beim Streamingdienst Apple TV+) ist es Mahershala Ali.

Zwei Oscars hat der amerikanische Schauspieler bereits gewonnen für "Moonlight" und "Green Book", jeweils als bester Nebendarsteller. In "Schwanengesang" spielt er nun die Hauptrolle. Er spielt Cameron, einen Familienvater, der gezwungen ist, Antworten auf ein paar reichlich komplizierte, persönliche und moralische Fragen zu finden. Wie weit ist man bereit zu gehen, um geliebten Menschen die Trauer über den eigenen Tod zu ersparen?

Für Kommunikation braucht man in der nahen Zukunft keine Handys mehr, es reichen Kontaktlinsen

"Schwanengesang" spielt in der nahen Zukunft. Die Menschen tragen immer noch Wollmützen, versammeln sich um Küchentische und lernen sich beim Flirten in Pendlerzügen kennen - so wie Cameron und Poppy. So weit, so kuschelig und vertraut. Wenn da nicht ein paar raffinierte Gadgets auf die fortschrittlichen Technologien dieser Sci-Fi-Welt hindeuten würden: superleise, fahrerlose Elektroautos etwa, einfühlsame Service-Roboter oder Kommunikations-Tools, für die man gar keine Geräte mehr bedienen muss, sondern nur noch spezielle Kontaktlinsen braucht. Alles ist wundersam geschmeidig in dieser Welt - und nicht selten beleuchtet wie in den Raum-Licht-Installationen James Turrells.

Der Tod allerdings ist immer noch unausweichlich. Vor ein riesiges Problem stellt das den todkranken Cameron, der als Werbegrafiker arbeitet und mit Poppy, mittlerweile seine Ehefrau, und einem kleinen Sohn im komfortablen Vorstadtleben angekommen ist. Wie soll er seine Frau, die sich gerade von einer Depression erholt und zum zweiten Mal schwanger ist, alleine lassen?

Weil ihm nicht viel Zeit bleibt, reist er in eine Einrichtung tief in den Nadelwäldern des Pazifischen Nordwestens. Hier hat sich die Biotech-Firma von Dr. Scott (Glenn Close als wunderbar abgeklärtes Mastermind) darauf spezialisiert, ganze Menschenleben samt Erinnerungen und unbewussten Prozessen downzuloaden und mit künstlich erschaffenen Klonen zu synchronisieren. Und so spielt Mahershala Ali von da an zwei Rollen: die des zunehmend verzweifelten Originals und die seines molekular rundum erneuerten Duplikats. Dieser zweite Cameron aus dem Labor soll seinen Platz einnehmen, ohne dass irgendjemand von dem Tausch weiß.

Mahershala Ali und Naomie Harris in "Schwanengesang". (Foto: Apple TV+)

Eine Prämisse, die komplexe Fragen wie in Spike Jonzes "Her" heraufbeschwört. Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Cleary macht daraus ein Drama, das elegant ist und nachdenklich und auf eine leise Art aufreibend. Dass "Schwanengesang" nach mehreren Kurzfilmen (Oscar für "Stutterer" 2016) sein Spielfilmdebüt ist, merkt man keinen Moment lang. Der Film ist eindrücklich bebildert. Inmitten der feuchtkalten Waldlandschaft ist das Licht so düster und weich abgedimmt, dass man meint, man wäre am Ende der Welt. Und auch die Erzählung ist souverän, eine Balance zwischen Liebesgeschichte und High-Concept-Melodrama. Cleary hält die Geschichte in einer somnambulen Atmosphäre, der Sentimentalität immer ein Stück voraus.

Mahershala Ali tut mit seiner Darstellung ein Übriges. Er spielt gleich zwei sehr einsame Helden: Cameron, der mit niemandem über das schicksalsschwere Experiment sprechen darf, und seinen Doppelgänger, ein unechter Körper, der mit echten Gefühlen ausgestattet ist. Zwei Versionen ein und desselben Mannes - nur dass einer sterben wird und mit der Frage ringt, ob er dem anderen sein Leben überlassen will. In den Händen eines anderen Schauspielers hätte das schnell rührselig werden können. Aber Ali gibt dem Dilemma seiner Figur viele Schattierungen. Das Leid, das ihn innerlich zerfleischt, die Wutausbrüche, das kühle Verhandeln mit sich selbst, die heiße Liebe für seine Familie, das ramponierte Ego - all das sieht man in seinem Gesicht. Und man sieht die großen Fragen: Was bleibt zurück, wenn man stirbt? Wie echt kann eine Kopie sein? Wie gut Technologie emotionale Lücken schließen? Will man das überhaupt?

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Swan Song , USA 2021 - Regie und Buch: Benjamin Cleary. Mit: Mahershala Ali, Naomie Harris, Glenn Close. Apple TV+, 114 Minuten. Streamingstart: 17.12.

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