Schwäbische Häuslebauer:Wir können alles. Außer Baukosten

Königliches Hoftheater in Stuttgart, 1912

Das Königliche Hoftheater in Stuttgart wurde bis 1912 erbaut. Nun soll es saniert werden. Und die Kosten explodieren mal wieder.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Nach Stuttgart 21 ist vor Stuttgart 21: Nun soll auch noch das Opernhaus viel teurer werden als geplant. Die Kostenexplosion scheint inzwischen so etwas wie die schwäbische Version der Naturkatastrophe zu sein.

Von Roman Deininger, Stuttgart

Die Schwaben sind ein Volk, das gleich in mehreren Disziplinen überregionalen Ruhm für sich reklamieren darf. Unter anderem gelten sie als inoffizielle Weltmeister der Reinlichkeit und der Sparsamkeit; hoch geschätzt wird allerorten auch ihre Gabe, Dinge sachverständig und zügig zusammenzusetzen, etwa Autos, Bohrmaschinen oder Gebäude aller Art. In Stuttgart, der Stadt von Daimler, Porsche und Bosch, scheinen oft mehr Kräne aufzuragen als Kirchtürme.

Seit ein paar Jahren allerdings schwächeln die schwäbischen Häuslebauer ausgerechnet in ihrer Lieblingsdisziplin. Die Vergrabung des örtlichen Hauptbahnhofs galt als bundesweit führende Katastrophen-Baustelle, bis der neue Berliner Großflughafen doch noch knapp vorbeizog.

Und im Schatten von Stuttgart 21 reihten sich weitere Probleme aneinander, etwa beim Neubau des Innenministeriums oder bei den Plänen zur Landtagserweiterung. Von der übermütigen Idee, gleich auch noch das Affenhaus des prächtigen Zoos Wilhelma tieferzulegen, rückte man erst wegen der Sorge von Tierschützern ab, die Affen könnten unter Tage trübsinnig werden. Statt 15 Millionen Euro, wie veranschlagt, kostete das Projekt oberirdisch am Ende 22 Millionen. Abgeschlossen wurde es ein Jahr später als vorgesehen - für die neuen lokalen Standards fast schon pünktlich.

Mit ein bisschen bösem Willen könnte man sagen: Fast alles, was so entstehen soll in Stuttgart, wird nie fertig - und dabei immer teurer. Die Kostenexplosion ist inzwischen so etwas wie die schwäbische Version der Naturkatastrophe.

Das alles kam einem natürlich in den Sinn, als nun eine neue Zahl zur angestrebten Sanierung des Opernhauses bekannt wurde. Um die Wucht der neuen Zahl ermessen zu können, muss man die alte kennen: 18 Millionen Euro haben das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart bislang für die Maßnahmen kalkuliert.

Veraltet und zu klein

Am Montag bekam der Verwaltungsrat der Staatstheater dann ein Gutachten der hessischen Fachleute von Kunkel Consulting auf den Tisch, das schonungslos feststellt, was für 18 Millionen Euro maximal zu haben wäre: "eine kurz- bis mittelfristige Sicherung des Betriebs wie bisher". Mit dem Betrieb wie bisher ist an der Oper freilich niemand zufrieden: Die Haustechnik ist veraltet, die Probenräume, Garderoben und Werkstätten sind zu klein.

18 Millionen Euro waren geplant. Jetzt geht es um 300 Millionen

Will man all diesen Nöten abhelfen, wie es in den 15 Jahren Debatte über die Opernsanierung stets in Aussicht gestellt wurde, sind laut Gutachten Anbauten an dem 1912 eröffneten Max-Littmann-Bau im Schlossgarten unabdingbar. Von 11 000 Quadratmetern neuer Fläche ist die Rede. Sieben Jahre Bauzeit würde ein solches Unternehmen dann beanspruchen; zwei bis drei Jahre lang wäre eine Ersatzspielstätte mit mindestens 1400 Plätzen nötig, weniger wäre nicht wirtschaftlich.

Die Kosten würden bei etwa 300 Millionen Euro liegen. 300 Millionen Euro, das ist die neue Zahl, mit der Häuslebauer, Kulturschaffende und Politiker in Stuttgart jetzt umgehen müssen. Und sie versuchen das mit untypischer Gelassenheit.

Aus dem Rathaus des grünen Oberbürgermeisters Fritz Kuhn dringt die Kunde, man sei froh, es nicht länger mit "politischen", also schöngerechneten Zahlen zu tun zu haben. Man habe auch ganz bewusst wissen wollen, was der Preis für einen "großen Wurf" wäre. Mit "Flickschusterei" komme man im Opernhaus nicht mehr weiter.

Landeskunstministerin Theresia Bauer, ebenfalls eine Grüne, sagte nach der Verwaltungsratssitzung: "Das Gutachten hat alle im Raum beeindruckt." Nun müsse man prüfen, welche Maßnahmen wirklich unverzichtbar seien. Kuhn bemüht sich, absehbaren Konflikten wenigstens die Schärfe zu nehmen: "Es gibt keine gegensätzlichen Positionen von Befürwortern und Gegnern einer 300-Millionen-Euro-Lösung."

Im nächsten Frühjahr soll die Entscheidung fallen. Bis dahin stellt sich in Stuttgart, das gerade von einer Studie zur deutschen Kulturhauptstadt erklärt wurde, am ganz konkreten Fall die Frage, was das Aushängeschild Kultur der Kommune wert ist. Ganz besonders, weil die Oper unter Jossie Wieler und das Ballett unter Reid Anderson ja nicht unwesentlich zum kulturellen Glanz der 600 000-Einwohner-Stadt beitragen.

Marc-Oliver Hendriks, der geschäftsführende Intendant der Staatstheater, mahnt schon mal vorsorglich: "Wenn wir auch noch in 25 Jahren in Stuttgart Oper und Ballett in Spitzenqualität erleben wollen, dann müssen wir heute handeln." Zumal Hendriks hat erfahren müssen, dass die ungewohnten handwerklichen Missgeschicke der Schwaben auch vor den Staatstheatern nicht haltmachen: Die Sanierung des Schauspielhauses geriet zum langwierigen Fiasko.

Blick nach Karlsruhe

Zwischendrin wurde es wiedereröffnet, nur um sofort wieder geschlossen zu werden, weil die neuen Sitze bloß Theaterfreunde bis 1,75 Meter Körpergröße aufnehmen konnten.

Auch der Neubau der Cranko-Schule für den Ballettnachwuchs wurde erst durch eine Spende des Autobauers Porsche auf den Weg gebracht. Schwäbische Kulturfreunde empfehlen jetzt den Blick nach Karlsruhe, wo satte 125 Millionen Euro in die Sanierung der Badischen Staatstheater fließen. An den Badenern, heißt es, können man sich ja zumindest in diesem Ausnahmefall ruhig ein Vorbild nehmen.

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