Schullektüre:Kinder, lernt lesen!

Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie beklagt, dass bei den Kindern in Deutschland die Lesefähigkeit schwindet. Deshalb hat sie eine Petition verfasst. Darin fordert sie ein verbindliches Schulbibliotheksgesetz.

Von Roswitha Budeus-Budde

Die Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie, 68, hat Figuren wie den kleinen Ritter Trenk oder den Seeräubermoses geschaffen, das Meerschweinchen King Kong oder die "Kinder aus dem Möwenweg". Nun hat Boie, Hamburgerin und jahrelang Lehrerin an einer Brennpunktschule, eine Petition verfasst, eine "Hamburger Erklärung", deren alarmierter Aufruf lautet: "Jedes Kind muss lesen lernen."

Dass das Gegenteil der Fall ist, dass die Lesefähigkeit der Kinder in Deutschland schwindet, ergab die Internationale Grundschuluntersuchung (Iglu) von 2016: Ein Fünftel der Schüler in der vierten Klasse verstehen nicht mehr, was sie lesen.

Bereits seit August sammelt Boie Unterschriften. Zu den Erstunterzeichnern gehören der Dirigent Kent Nagano und die Schriftstellerin Ulla Hahn. Insgesamt 120 000 Unterzeichner haben sich Boies Appell angeschlossen. Darin heißt es: "Lesen ist immer noch die Schlüsselposition für die Teilhabe an der Gesellschaft. Die betroffenen 18 Prozent der Kinder werden einmal unsere Erwachsenen sein."

Boie fordert nicht nur eine Umstrukturierung des Schulwesens, mit mehr Lehrern und einer qualifizierteren pädagogischen Ausbildung, sondern sieht literarische Bildung für alle als gesellschaftlichen Auftrag. Die Beschäftigung mit Büchern, bei Lesungen und in Lektüreprogrammen, seien gerade an solchen Schulen wichtig, deren Schüler aus eher bildungsfernen Familien kommen. "Wer in der Grundschulzeit nicht sinnentnehmend lesen kann, wird es in den weiterführenden Schulen nicht lernen. Denn hier wird Lesen nicht mehr gelehrt, sondern vorausgesetzt", heißt es in Boies Aufruf.

Die Schriftstellerin betont zudem die Bedeutung der Schulbibliotheken, die in Deutschland, im Gegensatz beispielsweise zu den skandinavischen Ländern, von der Politik vernachlässigt werden. So fehlt ein verbindliches Schulbibliotheksgesetz, das die einzelnen Bundesländer verpflichtet, jedem Kind die Möglichkeit zu geben, neben der Schullektüre Bücher als spannende Freizeitbeschäftigung zu begreifen - was sie oft bei ihren Eltern nicht mehr erleben.

Einige Schulen versuchen zwar, mit den Geldern des Elternbeirats und mit Lehrern und Schülern ihre eigenen Bibliotheken aufzubauen. Manchmal geschieht dies zusammen mit öffentlichen Bibliotheken, oft aber sind sie ganz auf die eigenen Erfahrungen angewiesen.

Am Donnerstag wird Boie zusammen mit Regula Venske, der Vorsitzenden des PEN-Zentrums Deutschland, und Alexander Skipis, dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ihre Liste der Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in Berlin überreichen. Ihre Warnung mit Blick auf die Debatte um einen Digital-Pakt, eine milliardenschwere digitale Ausstattung der Schulen mit Ipads und Wlan lautet: "Das Lesen darf nicht den derzeitigen (kosten)intensiven Bemühungen um die Digitalisierung der Schulen zum Opfer fallen."

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