Süddeutsche Zeitung

Schriftsteller Menasse über den Krieg im Nahen Osten:Bitte noch mehr Bomben!

Warum ich als Pazifist für den Krieg Israels gegen die Hisbollah bin.

Robert Menasse

Ich hatte im Lauf meines Lebens alle möglichen Vorstellungen, was einmal aus mir werden könnte - Fußballspieler, der erste nicht lallende Sportreporter, ein Philosoph, der sein Hauptwerk mit einem kommentarlosen Selbstmord beglaubigt, Berufsrevolutionär, dann etwas milder: Gewerkschaftspräsident, Dichter, hilfloser Hedonist und schwermütiger Schwerenöter - die Liste ließe sich lange fortsetzen, egal, irgendwann kommt man in das Alter, wo man kaum noch Möglichkeiten für neue Karrieren hat und letztlich nur noch eines werden will: alt.

Aber nie, niemals in meinem Leben habe ich mir vorstellen können, dass dies aus mir werden könnte: ein Krieger. Ein Kriegsbefürworter. Ein Gewaltunterstützer. Einer, der in einem Krieg und noch im Leiden und im Sterben Anderer einen Rechtszustand erkennt: ,,Es ist Recht, und den anderen geschieht Recht!''

Ich will mich verstecken, weil ich nicht mehr Ich sagen kann; weil ich nicht mehr weiß, wer ich bin. Ich, ein Pazifist, halte den Krieg, den Israel führt, für richtig. Ich merke, wie ich sogar den allergrößten Skandal aller ohnehin skandalösen Kriege, nämlich den skandalös euphemistisch so genannten ,,Kollateralschaden'', achselzuckend abtue. Israel muss diesen Krieg führen, und Israel muss diesen Krieg gewinnen. Dann halte ich plötzlich inne beim Achselzucken, blöderweise just dann, wenn die Schultern hochgezogen sind, und ich sehe aus, wie einer, der ängstlich den Kopf einzieht.

Ich habe Gewalt kennengelernt. Auf eine banale Weise, aber sie reichte aus, um mich diesbezüglich zu traumatisieren. Ich verbrachte Jahre in einem Internat. Zu viele Jahre, die auch gute Jahre hätten sein können, mit Fußball und griechischer Philosophie, Händchenhalten und ersten Küssen. Internate haben es aber an sich, dass sie nicht koedukativ sind. Es gab hinter den Mauern der Anstalt nur junge Männer, die hießen Zöglinge, und etwas ältere Männer, die hießen Erzieher. Nur Männer. Im Grunde Soldaten, Ausbilder und Generäle. Ich weiß, was Gewalt ist, physisch, seelisch und strukturell, und ich bin froh und dankbar, dass ich sie nur so und nicht vollends mörderisch kennengelernt hatte. Wir wurden im Internat katholisch erzogen, aber die Friedensbotschaft von Jesus Christus erschien mir als Wortgeklingel, widerlegt durch 2000 Jahre Weltgeschichte und durch die Jahre im Internat.

Nicht Predigt, sondern Praxis - das war für mich Gandhi, der wahre Menschensohn. Bei jedem Konflikt, bei jedem Ausbruch von Gewalt und Kriegshandlungen, wo auch immer auf der Welt, wollte ich mich um seine Knie klammern, mich geradezu an ihn anketten.

Ich hatte bisher nie ein Identitätsproblem, wenn eisige Philosophen, geschichtsunbedarfte Journalisten, biographisch betroffene Freunde mir bei regelmäßig sich ergebenden Gelegenheiten erklärten, dass Kriege ,,gerecht'' sein können. Ich möge doch nur an den Krieg der Alliierten gegen Hitler denken! Leider - selbst da hatte ich mehr Fragezeichen im Kopf als Dankbarkeit im Herzen.

Bestürzend simpel

Warum sollte ich heute zum Beispiel den USA so bedingungslos dankbar sein, dass ich auch nicken muss, wenn sie Dutzende unnötige Kriege auf der Welt anzetteln, den demokratisch gewählten Präsidenten eines souveränen Staates ermorden lassen, aber in anderen Staaten Diktatoren unterstützen? Warum soll ich England dankbar sein, das dringend Dresden bombardieren musste, aber nicht die Eisenbahnschienen nach Auschwitz? Und immer aufs Neue erschien mir fragwürdig und antwortverweigernd, wenn so besonders martialisch Frieden und Demokratie versprochen wurden: bei den Bomben auf Belgrad, den Bomben auf Bagdad.

Ich habe vor Jahren geschrieben und publiziert, dass ich den Irak-Krieg für ein Verbrechen halte, dass er nicht Freiheit, sondern Leid, nicht Demokratie, sondern Bürgerkrieg, nicht Frieden, sondern Gewalt auf unabsehbare Zeit bringen wird. Und dass kein Attentat auf welches Gebäude der Welt auch immer diesen Krieg rechtfertigen kann. Da war ich noch Pazifist. Es war noch leicht, Pazifist zu sein. Saddam Hussein war ein Diktator nach innen, keine Bedrohung nach außen. Das Argument, dass ein Diktator beseitigt werden müsse, hätte ich als Kriegsgrund nur dann akzeptiert, wenn die Amerikaner auch den Mördern vom Tiananmen-Platz den Krieg erklärt hätten.

Aber nein - es gibt in jeder Administration so viele Hinsicht- und Rücksicht-Nehmer, und, was mir am sympathischsten ist: Feiglinge. Und was mir zum Kotzen ist: Moralisten. Die ihre Moral jetzt entdecken, da Israel seine schiere Existenz verteidigt.

Denn so komplex die Lage im Nahen Osten auch ist, eines ist bestürzend simpel: kein einziger israelischer Soldat wäre heute im Libanon, keine einzige israelische Bombe würde über einem Nachbarstaat Israels abgeworfen werden, wenn Israel in Ruhe leben könnte, ohne Raketeneinschläge auf seinem Territorium, ohne terroristische Attentate in seinen Städten. Das muss, denke ich, die Welt doch begreifen! Shalom Israel mit seiner bunten - nicht zu vergessen: auch arabischen - Bevölkerung, Shalom Israel mit der einzigen Demokratie in dieser Weltregion, Shalom Israel, Kind von sechs Millionen Toten.

Jetzt sitze ich vor dem Fernseher, will Bomben sehen, noch mehr Bomben, so viele Bomben, bis die Hisbollah ausradiert ist und alle Vernichter vernichtet sind. Ich will keine Bomben sehen. Ich hasse mich, weil ich diese Bomben sehen will. Kein Israeli hat je das Existenzrecht eines anderen Staates in Frage gestellt. Wenn aber andere Staaten die Existenz Israels in Frage stellen, dann muss Israel diesen Krieg führen. Einen - verdammt, ich bringe das Wort kaum heraus: - gerechten Krieg. Dieser Krieg will kein Opfer in Israel und im Libanon. Deshalb muss er gewonnen werden. Kann er gewonnen werden? Wahrscheinlich nicht. Darf er aufgegeben werden? Nein, auf keinen Fall.

Ich sitze vor dem Fernseher und weine und bin nicht ich: ein Pazifist, der Daumen drückt bei einem Krieg!

Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse veröffentlichte zuletzt den Roman ,,Die Vertreibung aus der Hölle'' und die Frankfurter Poetikvorlesungen ,,Die Zerstörung der Welt als Wille und Vorstellung'' (beide bei Suhrkamp).

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SZ vom 10.08.2006
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