Schlingensief und die Biennale:Gutgemeintes Pathos

Wie eine Gebetsstätte in einem Edelbunker des Zweiten Weltkriegs: Der deutsche Biennale-Beitrag in Venedig karikiert unfreiwillig das Lebenswerk von Christoph Schlingensief. Nicht einmal das Narrentum haben sie ihm gelassen.

Kia Vahland

Der hochverehrte Michelangelo, stichelte der Satiriker Francesco Berni 1534, sei für seine Zeitgenossen ein Kultbild, vor dem man als fromme Tat Weihrauch und Kerzen anzünden müsse. Oh nein, erwiderte der Meister, so wolle er nicht enden. Berni möge ihm, dem zum Bild erstarrten Mann, doch mit Spottversen wieder Leben einhauchen.

Die 54. Kunstbiennale  in Venedig

Biennale 2011: Man betritt den Pavillon durch einen roten Samtvorhang und steht in der Kirchenkulisse, die auf der Ruhrtriennale 2008 zu sehen war.

(Foto: dpa)

Christoph Schlingensief kann sich gegen rotgefasste Kerzen nicht mehr wehren, er starb am 21. August 2010. Am kommenden Samstag eröffnet seine postume, nicht mehr selbst konzipierte Schau im Deutschen Pavillon der Venedig-Biennale. In ihrem gut gemeinten Pathos karikiert diese Ehrung unfreiwillig sein Lebenswerk und macht aus dem Naziumbau von 1938 eine Weihestätte.

Man betritt den Pavillon durch einen roten Samtvorhang und steht in der Kirchenkulisse, die auf der Ruhrtriennale 2008 zu sehen war. Dort hatte der Regisseur ein sehr persönliches Stück über seine Krebserkrankung inszeniert, über Leben und Sterben und die Hoffnung, in der Kunst über den Tod hinausgehen zu können.

Vor den Betonwänden im Industriegebiet mag das auch als Kommentar zum Strukturwandel der Region gewirkt haben. Jetzt aber steht die Kirche samt Altar, Holzbänken und neogotischer Fensterkulisse im Deutschen Pavillon. Um die Illusion nicht zu stören, wurden die realen hohen Fenster vernagelt. Schlingensiefs frühere Techniker haben zudem das Oberlicht mit Mosaikfolien verklebt und in außen angebrachten Schächten abgefangen. Der helle Raum versinkt in theatralischer Finsternis.

Nur ist Dunkel nicht gleich Dunkel, Bühne nicht gleich Bühne. So perfekt fügen sich die marmorierten Stufen des eingebauten Altarraums in den echten Marmorprunk des Pavillons, dass das Ganze schon beim Eintreten so beklemmend wirkt wie eine Gebetsstätte in einem Edelbunker des Zweiten Weltkriegs. Dazu die Klänge von Parsifal und in der Ecke zwei Kindersärge.

Natürlich kann man den Pavillon auch so nutzen: als Kommentar auf eine unheilvolle, immer noch klebrige Tradition des deutschen Pathos. Nur geht es darum der Kuratorin Susanne Gaensheimer, der Witwe Aino Laberenz und dem ehemaligen Schlingensief-Team nicht. Sie wollen ihren Lieblingskünstler würdigen, mit allen Mitteln. Wollen seinen Schmerz wiederaufleben lassen, noch einmal zuschauen, wie er im Film Beuys' Hasen in die Fettecke feuert, wie er als Bub, aufgenommen von seinem Vater, über die Düne tobt. Sie wollen die blutige Lunge aus Salzteig sehen, die er in den Schrein legte und die Monstranz mit dem Röntgenbild. Und noch einmal die auf eine Leinwand projizierten Worte mitsprechen: "Ja, diesen Tod wir jetzt verkünden / er traf Dich einst für unsere Sünden / die ewig Du getilget hast."

Nun ist nichts daran auszusetzen, dass Schlingensief auf der Bühne sein Leiden mit dem von Jesus verglich. Der Künstler als selbsternannter Märtyrer und Heiland hat eine lange Tradition, schon Dürer malte sich als Christus. Vielleicht wäre es Schlingensief tatsächlich gelungen, so diesen Pavillon zu sprengen: Indem er seine individuelle Verletzbarkeit herausgeschrien hätte, gegen die Mauern einer Zeit, die den Heldentod verlangte.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was der Künstler selbst geplant hatte.

Ab zum Gebet!

Nur: Wenn nicht er selbst dies tut, sondern jemand anderes in seinem Namen, dann kommt das Ergebnis eben jener alten Helden- und Leidensbeschwörung verdammt nah. Auch Käthe Kollwitz war eine gute Künstlerin, die anrührende Figuren erfand. Doch als Helmut Kohl ihre Pietà monumentalisierte und in Schinkels Alte Wache in Berlin stellte, war davon nicht mehr viel übrig. Ein Schmerz, der entpersonalisiert wird, verliert sich und wird zur Pathosformel.

Schlingensief und die Biennale: Schlingensiefs frühere Techniker haben zudem das Oberlicht mit Mosaikfolien verklebt und in außen angebrachten Schächten abgefangen. Der helle Raum versinkt in theatralischer Finsternis.

Schlingensiefs frühere Techniker haben zudem das Oberlicht mit Mosaikfolien verklebt und in außen angebrachten Schächten abgefangen. Der helle Raum versinkt in theatralischer Finsternis.

(Foto: AP)

Schlingensief mag ein egomanischer Provokateur gewesen sein, dem nichts peinlich war. Doch er war sensibel genug, den Deutschen Pavillon nicht allein seinem privaten Schicksal zu widmen. Als die Zusage kam, hatte der Schwerkranke schon als Priester vor der Altarkulisse der Ruhrtriennale mit Hostien um sich geworfen, hatte dort Fluxus und Beuys beschworen als Garanten für eine Verwandlung von Leben in Kunst, für ein Nachleben wenn nicht im Himmel, dann auf Erden.

Dass es aber im historisch kontaminierten Deutschen Pavillon auch angesichts des eigenen Todes um Politik gehen musste, verstand sich für ihn von selbst. Er plante drinnen ein afrikanisches Wellnesszentrum, das jeden schwärzen sollte, der ins dunkle Wasser steigt. Man wäre zum Gentest gebeten worden, hätte also auf verschiedenen Ebenen koloniales Denken aus umgekehrter Perspektive am eigenen Leib erfahren. Draußen sollten Afrikaner in Käfigen Computer reparieren, in Anlehnung an die Menschenzoos des frühen 20. Jahrhunderts.

Darüber hätte man streiten können. Es hätte wie immer bei ihm wehgetan, hätte an Monströsitäten gerührt, die man längst unter Kontrolle glaubte.

Geschmacklos waren viele seiner Werke, etwa sein Einheits-Film "Deutsches Kettensägenmassaker", in dem eine Metzgersfamilie im Westen Trabbifahrer zu Wurst verarbeitet, eine Groteske auf die Rede vom Einverleiben der DDR.

Immer musste dieser Regisseur, Künstler, Selbstdarsteller sich und sein Publikum in den Dreck treiben. Die Grenze zwischen Gut und Böse war bei ihm so fließend wie die zwischen Kunst und Leben. Schlingensief mochte sich mit Christus vergleichen und gab doch immer wieder den allzu menschlichen Teufel. Er machte sich zum Medium der Selbstreflexion für sein Publikum, das ihn lieber als Hofnarr der Demokratie belächelt hätte.

Nun haben sie ihm nicht einmal das Narrentum gelassen. Komisch oder unordentlich ist nichts in diesem Gebetsraum für einen großen Guten. Eine Kordel hält das Publikum vom Altarraum fern, auf dass niemand am leeren Krankenbett ruckele. So endet Aktionskunst in ihrem Gegenteil: der verordneten Regungslosigkeit.

Die sorgsam präsentierten Schlingensief-Filme in dem einen Seitenflügel, die sachlichen Erläuterungen zum Operndorf von Burkina Faso im anderen retten die Sache nicht: Dem verordneten Gedenken, nicht dem freien Denken gibt sich der diesjährige deutsche Biennalebeitrag hin.

Eine schlichte museale Präsentation ohne Überwältigungsfieber hätte Christoph Schlingensief als Künstler und Deutschland als Kunstland weniger geschadet. Nur der ausgestopfte Hase auf dem Altar schaut klug in die Runde. Er hat Beuys und Schlingensief überlebt, hat den Platz der Plüschkatze eingenommen, die vor zwei Jahren aus Liam Gillicks hier errichteter Ikeabude auf das Publikum herunterglotzte. Das Viech ist nicht kleinzukriegen, so wenig wie die Kunst.

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