"Schlachthofbronx":"Es ist die Energie, die wir transportieren wollen"

Das Münchner Elektronik-Duo setzt seit zehn Jahren Maßstäbe in Sachen hybrider Clubmusik und Bass-Massage.

Interview von Martin Pfnür

"Blurred Vision" ("verschwommene Sicht") heißt das Live-Projekt, mit dem das Münchner Duo Schlachthofbronx derzeit auf Tour ist, das stets an den Rändern der elektronischen Musik forscht und experimentiert. Im Gepäck: Eine tonnenschwere Soundanlage, mit der die beiden hartnäckig nachnamenlosen Produzenten Benedikt und Jakob ihre Live-Auftritte in physisch erfahrbaren Klangerlebnisse verwandeln. Ein Gespräch mit Benedikt.

SZ: Sie touren mit einer Soundanlage mit einer Leistung von bis zu 60 000 Watt. Warum braucht Ihre Musik eine solche Schubkraft?

Benedikt: Umso mehr Power wir zur Verfügung haben, desto toller können wir unsere Musik klanglich abbilden. Zudem ist es eine Darreichungsform, die man hierzulande immer noch nicht so gut kennt. Ein nicht unbedingt audiophiles, dafür jedoch sehr körperliches Erlebnis.

Und das funktioniert nur so?

Ja. Wenn man basslastige Genres wie Dub zu Hause auf seiner Anlage hört, ist das ganz nett, aber doch sehr weit weg davon, wie diese Musik gemeint ist. Unsere Produktionen waren im Grunde schon immer als Soundsystem-Musik angelegt.

Beschreiben Sie mal, was da körperlich beim Hörer passiert.

Die Musik ist nicht unbedingt schneidend laut, allerdings ist der Bass sehr heftig. Dementsprechend spürt man jedes Haar am Körper. Es ist wie eine Welle, die man auf sich zukommen sieht. Der Name "Blurred Vision" ist da schon zutreffend: Wenn man während des Konzerts auf sein Handy guckt, merkt man schnell, dass man nicht mehr scharf sieht.

Klingt intensiv. Aber körperlich?

Man verspürt schon auch einen recht heftigen Druck auf der Brust und im Bauch. Das ist dann erst mal gewöhnungsbedürftig, weil die Atmung anfangs etwas anders funktioniert. Am besten lässt man den Mund offen, dann drückt es nicht so.

Was wollen Sie damit erreichen?

Es geht uns vor allem darum, die Leute alles um sie herum vergessen zu lassen. Alle anderen Sinne außer dem Hören sind da erst mal sekundär. Deshalb haben wir auch keine Lichtshow. Man hat als Hörer sowieso keine Möglichkeit mehr, die Gedanken schweifen zu lassen, weil die Musik einfach so einnehmend wirkt.

Anders als im Techno oder House, wo die DJs die Intensität eher langsam und stetig hochfahren, arbeiten Sie mit schnellen Track-Wechseln. Überfordern Sie damit ihr Publikum nicht?

Im Bereich der für uns prägenden Soundsystem- und Straßenparty-Kultur, wie man sie aus Jamaika oder Mexiko kennt, sind diese schnellen Wechsel und das kurze Anspielen von Tracks normal. In den letzten Jahren haben wir aber versucht, eine gesunde Mischung zwischen einer länger aufgebauten Dramaturgie und diesen schnellen Wechseln hinzubekommen.

Schlachthofbronx Pressebilder

"Schlachthofbronx": Bei einem Schalldruck mit 60 000 Watt ist es besser, man lässt erst mal den Mund offen, damit sich die Atmung angleichen kann.

(Foto: Kevin Riedl)

Was fasziniert Sie an der angesprochenen Straßenparty-Kultur?

Wir mögen vor allem den fairen und spontanen Aspekt dieser Partys. Wenn der DJ eben nicht erhöht in einer Kanzel über dem Publikum thront und alle in eine Richtung blicken. Wenn die Musik eben nicht bis ins Letzte ausproduziert ist. Wenn sich interessante Sounds aus Fehlern ergeben. Alles, was etwas ungeschliffen und unfertig ist, dafür jedoch einen heftigen Effekt auf die Leute hat, interessiert uns.

Warum gibt es in Europa eigentlich keine Straßenparty-Kultur in diesem Sinne?

Wegen den Lärmbeschwerden der Nachbarn (lacht).

Beschweren sich die Nachbarn in Mittelamerika denn nicht?

Wenn in Mexiko City oder in Kapstadt eine Straßenparty stattfindet, beschwert sich da keiner, da geht einfach jeder hin.

Ihre Produktionen speisen sich aus einer Vielzahl an internationalen, meist elektronischen, vor allem aber eher unbekannten musikalischen Spielarten: Baile-Funk, Ghetto-Tech, Dancehall, Tribal, New Orleans Bounce. Warum sind es besonders die weißen Flecken auf der Pop-Landkarte, die Sie interessieren?

Mich hat es immer schon zu der Musik gezogen, die sonst kaum jemand kennt. Vielleicht ist das auch eine Art pubertierende Anti-Haltung, die sich da bei uns durchzieht. Dass man etwas exklusiv für sich haben will. Ich wollte schon in der Schule nie das hören, was alle hören, sondern etwas, das einfach anders ist.

Was hören Sie denn so?

Wir haben erst kürzlich wieder von Freunden aus Uganda einige Musikdateien bekommen, die selbst für mich erst mal schwer tanzbar erscheinen. Das ist wahnsinnig schnelle, extrem hochgepitchte, wahrscheinlich mit irgendeinem Virtual-DJ-Programm kreierte Musik - irre, wie die Leute da mit einfachsten Mitteln die tollsten Sachen machen! Wenn Musik unter gewissen Beschränkungen entsteht, und so einen ungeschliffenen und harschen Charakter hat, finden wir das immer spannender, als kommerziell geprägte Produktionen, in die haufenweise Geld gepumpt wurde.

Da könnte man Ihnen aber auch musikalischen Kolonialismus vorwerfen.

Dadurch, dass wir weltweit mit Künstlern aus diesen Genres vernetzt sind und musikalisch etwas Eigenes aus unseren Einflüssen kreieren, ohne uns dabei auf ein schmales Genre-Korsett zu beschränken, erübrigt sich die Frage in unserem Fall, denke ich. Wenn es um das reine Imitieren von schwarzen Genres wie dem Dancehall durch weiße Musiker geht, ist das natürlich noch mal etwas anderes.

Geht es Ihnen bei Ihren eigenen Stücken mehr um bestimmte Klangästhetiken, die Sie aufgreifen wollen? Oder sind es eher Rhythmen, die Sie interessieren?

Für uns ist es vor allem die jeweilige Energie, die wir transportieren wollen. Wenn es nur um Sounds und Rhythmen ginge, wären wir schon wieder beim Kulturimperialismus. Nein, es geht um einen gewissen Vibe und eine Form der Tanzbarkeit, die für uns sehr inspirierend sind.

Wie gehen Sie bei der Recherche vor?

Die Initialzündung kommt meistens über persönliche Kontakte, dann stöbert man im Netz weiter. Viel passiert aber auch auf Reisen oder auf Festivals, bei denen wir selbst auftreten. Wenn wir etwa in Afrika unterwegs sind, laufen da beim Aufwachen im Radio drei Nummern, im Mini-Bus, in den man später einsteigt, drei Nummern, in der Bar und im Club, den man am Abend besucht, drei Nummern - und es sind immer die gleichen. Natürlich hört man sich das dann auch genauer an.

Und wie entsteht dann ein Schlachthofbronx-Stück?

Meistens geht alles von Sounds aus, die man kreiert und sammelt. Ich habe terrabyteweise Ideen und angefangene Sachen rumliegen. Oft verhält es sich so, dass wir irgendwo live spielen und ich das Set vorher schon in Gedanken auf bestimmte Momente, in bestimmte Richtungen durchgehe. Dabei entstehen Ideen von Sounds und Melodien, die man in diesen Momenten umsetzen will, am Ende über einen Fehler beim Arbeitsprozess damit aber oft ganz woanders landet. Das macht es dann aber auch besonders.

Auf Ihrem Debüt von 2008 finden sich Stücke, auf denen Sie bayerische Blasmusik oder Balkan-Klänge mit elektronischen Beats verwursten. Danach haben Sie davon Abstand genommen. Dabei hätten Sie mit so etwas ja durchaus auch kommerzielle Erfolge erzielen können.

Wir wollten damals etwas Eklektisches schaffen, das man sonst nicht im Club hört. Als der Hype um diesen Sound losging, war das für uns schnell wieder passé. Diese Balkan-Beats-Sache kommt ja so oft wieder zurück, dass ich mich mittlerweile frage, wie oft man diese Sau denn noch durchs Dorf treiben kann. Und auch beim derzeit so gehypten Trap haben wir spätestens 2012 gemerkt, dass wir damit durch sind. Ein absoluter Garant dafür, dass etwas irgendwann kommerziell durch die Decke gehen wird, ist der Moment, in dem wir es nicht mehr hören können.

Schlachthofbronx live: 30. März Gretchen, Berlin; 20. April Muffathalle, München

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