Schengenraum:Cappuccino!

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Kaffee, Goethe, Billigflieger? Nein, Europa heißt vor allem Frieden!

Von Mario Fortunato

Zuerst habe ich Herrn Alien darauf hingewiesen, dass es gefährlich ist, ohne Erlaubnis im Garten eines Fremden zu landen, besonders hier, in Collevecchio, Italien. Denn es gibt hier einen Typen, der bewaffnet ist, alle Häfen schließen will und es mit den Ausländern hat: Man stelle sich vor, was erst passiert, wenn er einen Außerirdischen sieht. Gleichwohl, ich habe sofort verstanden, dass der Herr Alien eine kultivierte Person ist. Er hat sich für die Landung entschuldigt und angeboten, meinen Rosen ein wenig Wasser zu geben.

Ich habe ihn ins Wohnzimmer eingeladen und wollte ihm schon einen Tausch anbieten: "Schauen Sie, angesichts der Lage in Italien, die dieser bewaffnete Typ geschaffen hat, bin ich bereit, Ihnen alles über die EU zu erzählen, wenn Sie mich dafür nur von diesem Kerl wegbringen." Aber dann hab ihm erst mal einen Cappuccino angeboten.

Den fand er ausgesprochen lecker. Er hat mich sogar gefragt, wie man ihn zubereitet. Daraufhin habe ich ihm anhand des Kaffees gleich das große Ganze erklärt: "Dank der EU können Sie so einen Cappuccino in Neapel, in München oder sogar in Brüssel trinken." Herr Alien hat seine drei Augenbrauen gehoben und ein enttäuschtes Gesicht gemacht. Ich habe weiter erklärt: "Okay, das war vielleicht kein gutes Beispiel. Was ich meine: Sie können von München nach Neapel reisen, ohne Pass oder Visum, Sie können dasselbe Geld benutzen und sich auf die Zutaten verlassen, wegen der Lebensmittelkontrollen. Erscheint Ihnen das wenig?"

Dieser Herr Alien ist kein einfaches Wesen. Er hat mich verstehen lassen, dass ihm diese Errungenschaften gering erschienen. Ich habe mich gezwungen gesehen, auf mein Handwerkszeug zurückzugreifen: Das ist, in meinem Fall, die Literatur. Ich habe ihm gesagt, dass ich in meiner Jugend zu lesen begonnen habe und es seitdem tue. Ich habe Goethe gelesen, Virginia Woolf und Proust, und Simenon, Strindberg, Kavafis und Cervantes, Pessoa, Bernhard, Márai und Primo Levi. Und immer ist es mir so erschienen, als wenn in ihren Büchern die Wurzel der Kultur und der Menschlichkeit zu erkennen sei, und dass das auch meine Wurzeln sind. Wurzeln, die mindestens so verzweigt sind, wie man auf diesem Kontinent (Inseln eingeschlossen) Sprachen spricht. Lauter Sprachen, die auf ein Gemeinsames zurückgehen: auf eine Vorstellung vom Menschen, die zum ersten Mal in der antiken griechischen Philosophie entwickelt wurde. Eine Vorstellung, die keine Abstraktion ist, weil eine ganze Kultur darauf zurückgeht - die unsrige. Eine Kultur, die den Sozialstaat erfunden hat, die Gesundheitsfürsorge für alle, die Schulpflicht und sogar die Billigflüge.

Nichts. Der Herr Alien wirkte immer noch verwirrt. In seiner Galaxis gibt es keine Literatur. Soviel zu meiner Idee eines Tauschs. Dann habe ich das einfachste Argument hervorgeholt und gerufen: "Ich könnte mir vorstellen, dass auch bei Ihnen das Konzept des Krieges bekannt ist. In Europa haben wir immer Krieg geführt, Jahrhundert nach Jahrhundert, aus Gründen, die so peinlich sind, dass man sie gar nicht nennen möchte. Als die EU erfunden wurde, haben wir den Krieg aufgegeben. Wenn Ihnen das auch noch gering erscheint, dann schicke ich Sie raus in dieses Land - und außerdem schulden Sie mir zehn Euro fürs Parken."

Mario Fortunato , geboren 1958, ist Journalist und Schriftsteller. Auf Deutsch erschien zuletzt die Essaysammlung "Spaziergang mit Ferlinghetti" (Schöffling, 2011 ). Deutsch von Thomas Steinfeld .

© SZ vom 18.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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