Theater:Kosmopoliten

Theater: Othello (Bongile Mantsai) hat ausgewütet, seine Desdemona (Pauline Kästner) liegt tot am Boden.

Othello (Bongile Mantsai) hat ausgewütet, seine Desdemona (Pauline Kästner) liegt tot am Boden.

(Foto: Sandra Then/D`haus)

Das Düsseldorfer Schauspielhaus, das D'haus, eröffnet die Saison mit zwei gegen den Strich gebürsteten Klassikern, mit William Shakespeares "Othello" und dem "König Ödipus" nach Sophokles.

Von Martin Krumbholz

Schwarzes O auf gelbem Grund, O für Othello: Das Plakat ist überall in der Stadt sichtbar, das Düsseldorfer Schauspielhaus, kurz D'haus, wirft die PR-Maschine an, und ja, es funktioniert, das Haus ist voll, die Stimmung erwartungsfroh. Die weiße Südafrikanerin Lara Foot inszeniert William Shakespeares Eifersuchtstragödie mit einem schwarzen Landsmann in der Titelrolle, der Rest des Ensembles besteht aus Düsseldorfern, die Aufführung ist also mehrsprachig und übertitelt; das gibt ihr ein kosmopolitisches Flair. Und Foot liest das Stück anders, als man es kennt: Es spielt bei ihr nicht in Venedig und auf Zypern, sondern in Südwestafrika, der früheren deutschen Kolonie, die heute Namibia heißt.

Vor drei Jahren ereignete sich am D'haus ein Eklat, ein weißer Regisseur soll einen schwarzen Schauspieler rassistisch beleidigt haben. Da am D'haus wie an allen anderen Theatern lauter gute Menschen arbeiten, war die Betroffenheit groß. Die schwer zu sondierende Melange aus Nonchalance, Verletzlichkeit und einer angespannten Wachsamkeit fördert bei genauerem Hinsehen ein Motiv zutage, das, Zufall oder nicht, auch im Zentrum des Shakespeare-Stücks steht: das Ressentiment. Der gekränkte, da bei der Beförderung übergangene Fähnrich Jago zettelt eine schlimme Intrige an, um seinen General Othello, dessen Frau Desdemona und noch ein paar andere ins Verderben zu stürzen. Das Ressentiment als Wurzel des Bösen, das ist Shakespeares überzeitliches Thema, er umkreist es mit erschreckender Wucht.

Jago ist in dieser Lesart kein böser Clown, kein Joker - nein, er ist schlicht und einfach ein schnell durchschauter Lump

Die Regisseurin versucht, den Fokus zu verschieben: nicht nur von einem Schauplatz auf den anderen, sondern auch von Jago auf Othello. Foots Erfindung: Der afrikanische General soll den europäischen Kolonisatoren helfen, die Eingeborenen auf ihren "Dschungelstatus" zurückzuwerfen. Das ist heikel, aber der Söldner scheint sich zumindest ohne persönliche Grausamkeiten dieser Aufgabe zu entledigen. Bongile Mantsai ist ein beeindruckender, glamouröser Schauspieler, und Foot erfindet ihm zusätzliche Szenen, etwa beim Gebet oder beim meditativen Spiel auf einem Instrument, die den Militär (und Christen) in einer Art glanzvoller Isolation, fast Innigkeit zeigen. Zudem spricht Mantsai nicht nur Englisch, sondern, an emotionalen Stellen, auch seine melodiöse Muttersprache Xhosa.

Jago hingegen, gespielt von Wolfgang Michalek, ist in dieser Lesart kein böser Clown, kein Joker, er ist auch nicht Othellos Psychoanalytiker (wie jemand Schlaues bemerkt hat) - nein, er ist schlicht und einfach ein schnell durchschauter Lump. Darüber hinaus werden ihm, in einer radikalen Korrektur des Originals, sämtliche Morde am Schluss aufgehalst: Nicht der vor Eifersucht wahnsinnige Othello metzelt die schöne Desdemona (Pauline Kästner) dahin, sondern Jago tut es an seiner Stelle; er tötet auch seine Frau Emilia, die seine Intrigen entblößt und sich gegen ihn stellt. Und der reumütige Othello bleibt, anders als im Original, am Leben.

Bereits der in lustigen Gewändern vor den pinkfarbenen Vorhang tretende Chor zündet eine Lunte, die zwei Stunden lang glüht

Dieser (umgekehrte) Schwarz-Weiß-Kontrast ist problematisch. Denn der ehrenwerte Versuch, den Text zu entgiften, indem man ihn in den Dienst einer antirassistischen Erzählung stellt, verharmlost ihn zugleich auch. Othello kann man allenfalls noch seine Naivität und Gutgläubigkeit anlasten; bei Shakespeare hat er Abgründe. Zusammen mit dem doch sehr naturalistischen Gestus der Inszenierung, vor allem in den Gruppenszenen, den hiesige Theatergänger seit Langem nicht mehr gewohnt sind, ist das Ergebnis eine Arbeit, deren Essenz man gerne beipflichtet, die aber auch niemandem wehtut und deren weichgezeichnetem Schrecken man sich mit wohligem Schauder entziehen kann.

Jener Vorfall von 2019 ist nicht "erledigt", er ist in die Annalen des D'hauses eingeschrieben. Aber es gibt im siebten Jahr der Intendanz von Wilfried Schulz eine unübersehbare Menge guter Gesten. So pendelt Bongile Mantsai nicht zwischen Kapstadt und Düsseldorf, sondern erhält eine Künstlerresidenz für ein Jahr, wird also vermutlich eine weitere Premiere feiern. Robert Wilsons "Dorian" nach Oscar Wilde ist ein Megaerfolg, die Bürgerbühne, jetzt "Stadtkollektiv", sowie das Junge Schauspiel florieren.

Theater: Ödipus (Florian Claudius Steffens) hat als Vatermörder und Gatte der Mutter kein leichtes Leben.

Ödipus (Florian Claudius Steffens) hat als Vatermörder und Gatte der Mutter kein leichtes Leben.

(Foto: Thomas Rabsch/D`haus)

Und schließlich erweist sich die zweite Eröffnungspremiere im Kleinen Haus, "Ödipus" nach Sophokles, als ein wahres Juwel. Mit einem begeisternden Kollektiv von sieben Spielern nimmt Felix Krakau, am D'haus ausgebildeter Jungregisseur, sich die Freiheit, die wohlbekannte Geschichte von Ödipus und seinen Missetaten ganz neu zu erzählen: nicht in einer artifiziellen, um Originalität bemühten Textur, wie sie die Theaterverlage so lieben, sondern mittels einer klaren, direkten, humorvollen Ansprache ans Publikum, die dieses sofort animiert und unwiderstehlich ins Geschehen hineinzieht. Bereits der in lustigen, pseudoantiken Gewändern (Jenny Theisen) vor den pinkfarbenen Lackvorhang tretende Drei-Personen-Chor zündet mit charmanter Verlegenheit eine Lunte, die zwei Stunden lang glüht. Dass sich gute Laune mit den niederschmetternden Wahrheiten einer tragischen Erzählung verbinden lässt, ohne je albern und oberflächlich zu werden, ist eine der nicht wenigen überraschenden Erkenntnisse dieses gelungenen Abends.

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