Theater:Too Much

Passion I+II

Pressefoto

Tausend Einfälle und doch fehlt eine zwingende Idee: Die "Passion I und II" am Schauspielhaus Bochum.

(Foto: Armin Smailovic)

Ist das sein Ernst? Robert Borgmann inszeniert "Passion I und II" nach Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" am Schauspielhaus Bochum.

Von Martin Krumbholz

Es war der Schriftsteller Peter Weiss, der 1964 die brillante Idee hatte, die Französische Revolution in einer Irrenanstalt abzuhandeln. "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade": Das Stück war so gut wie sein Titel, was nicht zuletzt an der Klarheit der Versuchsanordnung lag. Hier der Revolutionär Marat in seiner berühmten Badewanne, verkörpert von einem Geistesgestörten, dort als Spielleiter der leibhaftige Marquis de Sade. Ihre leidenschaftlichen Diskurse, von einem aufgebrachten Klinikchef immer wieder unterbrochen, sind in die Theatergeschichte eingegangen.

Robert Borgmann, der seinen auf Michail Bulgakows Roman "Der Meister und Margarita" beruhenden Theaterabend "Passion I und II" nennt, hat wohl ein ähnliches Spektakel vorgeschwebt, deshalb macht er den Fehler, Weiss' Titel anfangs zu zitieren. Hier ist es die Passionsgeschichte Jesu, die von Geisteskranken nachgespielt wird, freilich in der verfremdenden Lesart Bulgakows. Dessen Version, zugespitzt auf den Konflikt zwischen Jeschua (Jesus) und dem römischen Statthalter Pontius Pilatus, überkreuzt sich im Roman mit Szenen aus dem Moskau der Zwanzigerjahre und autobiografischen Einsprengseln - der "Meister" ist Bulgakow selbst. Sein Roman hatte unter der stalinistischen Zensur natürlich keine Chance, er wurde erst 1966/67 postum veröffentlicht und prompt zur literarischen Sensation.

Bei den gesungenen Bach-Versen hält man sich am besten die Ohren zu

Auch die Psychiatrie spielt bei Bulgakow eine Rolle: Der Meister zieht sich in eine Klinik zurück, und es ist seine Geliebte Margarita, die ihn dort aufspüren wird. Dass eine der Hauptfiguren in seinem work in progress der Teufel ist, nicht in der verspielten Variante eines Mephisto, sondern als Satan höchstselbst, ist wohl einer der Gründe dafür, dass man den Meister für ein bisschen schräg hält. An diesem hochambitionierten Bochumer Robert-Borgmann-Theaterabend wird gesungen, doch dabei handelt es sich nicht wie bei Peter Weiss um Bänkellieder, sondern um nichts Geringeres als Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion. Seitlich am Bühnenportal steht eine kleine Orgel, und wenn die klinisch weiß gewandeten Spieler salbungsvoll einige Bach-Verse singen, was sie anscheinend lustig finden, hält man sich am besten die Ohren zu.

Ist das Borgmanns blanker Ernst? Oder ist es sein Verständnis von Meister Bulgakows parodistischen Techniken, die er nun einigermaßen bedenkenlos auf die Bühne überträgt? Nach dem Motto: Was dem Meister recht ist, ist dem Regie-Genie billig? Es gibt durchaus packende Szenen an diesem vollgepackten Theaterabend (Regie, Bühne, Musik: Robert Borgmann). Etwa wenn Steven Scharf als Pontius Pilatus und Pierre Bokma als Teufel beziehungsweise als Geheimdienstchef aufeinandertreffen, zwei wunderbare Schauspieler also. Scharf, der seine starke Physis gelegentlich durch ein lässiges Understatement ausbalanciert, haut hier ab und an auch auf die Pauke, aber sozusagen sanft und wohldosiert. Da weiß einer, was er tut. Pilatus sympathisiert mit Jesus, dem "törichten Philosophen", nur kann er es nicht so direkt zeigen. Für diese Ambivalenz findet Scharf die richtigen (gewundenen) Töne, und Bokma, der den Sarkasmus des Teufels mit seinem schönen französischen Akzent souverän präsentiert, ist ein gradliniger Gegenpart.

Kunst um der Kunst willen - die Idee dahinter wird nicht sichtbar

Nach der Pause räumt Borgmann die Bühne auf. Anstelle der Psychiatrieszene mit einer Souffleuse in der Doppelrolle der schlüsselschwingenden Klinikschwester sehen wir nun ein leeres Zimmer auf einem Podest: Gina Haller, wieder so eine vortreffliche Spielerin dieses mit trefflichen Spielern gesegneten Ensembles, muss es ächzend an Tauen im Kreis herumziehen. Haller ist Margarita, und die Meister-Margarita-Geschichte wird nun in einer gefühlt anderen Temperatur abgehandelt, ohne dass man präzise benennen könnte, was den Unterschied ausmacht und was er bezweckt. Gesungen wird nicht mehr, stattdessen hat Haller einen längeren Monolog, der solcherart mit Musik zugeklatscht ist, dass man fast nur noch einzelne Reizwörter wie "rassistisch", "sexistisch" und Ähnliches versteht. Bestimmt hätte man dieses Statement ohne Weiteres unterschrieben.

Das Programmheft zitiert Bulgakows Schwägerin mit der Bemerkung, sie könne die Hauptlinie in dem Roman noch nicht sehen. Mag sein, dass sie sich erst bei genauem Lesen des 500-Seiten-Werks erschließt. Der Theatermacher Robert Borgmann hat sehr viel Ehrgeiz und tausend Einfälle, aber die Idee dahinter wird nicht sichtbar. Da spielt das Schauspiel Bochum den L'art-pour-l'art-Blues.

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