Schauspielerbegegnung:Wo sind die echten Männer hin?

Kurt Russell

"Tarantino ist keiner dieser Verkehrspolizisten-Regisseure, die nur Anweisungen geben. Er will, dass du dich richtig amüsierst".

(Foto: Chris Pizzello/Invision/AP)

Tarantino-Star Kurt Russell rät: Bei Problemen lieber einen Western drehen - statt in Therapie zu gehen.

Porträt von Anne Philippi

Der Schauspieler Kurt Russell ist der Typ Mann, mit dem man im Baumarkt über Themen wie Wandfarbe oder Schrauben in ein sehr langes Gespräch kommen könnte. Kurt Russell ist außerdem der Typ Mann, der keinen Espresso trinkt wie die ganzen Business-Weicheier, sondern lieber labbrigen Filterkaffee. In dem rührt er dann beim Treffen im legendären Shutters on the Beach Hotel am sonnigen Strand von Santa Monica, Kalifornien, stoisch mit dem Messer herum. Dabei verschüttet er mindestens die Hälfte der Tasse auf der sehr weißen Luxushoteltischdecke - was er aber gar nicht richtig bemerkt.

Russell trägt eine Gleitsichtbrille vorn auf der Nase, dazu eine Antiglamour-Uniform, die bestens zum Filterkaffee passt: graues Sweatshirt, graue Jeans, graue Turnschuhe. Ein Outfit für den Hobbykeller oder eben den Baumarkt. Kurt Russell ist kein überdrehter Wichtigtuer im teuren Anzug. Keiner jener neurotischen Hollywoodstars, die auch für Interviews mit Printmedien gemeinsam mit ihrem Lieblingsdesigner ein Outfit auswählen. Er ist das Gegenteil eines Kontrollsüchtigen: ein angenehmer Enthusiast.

Zum Beispiel, wenn es um das Thema Bärenfellmantel geht, den er als John "Der Henker" Ruth, in "The Hateful Eight", dem neuen Film von Quentin Tarantino über Wochen getragen hat. Russell sagt, im Kaffee rührend: "Ich spiele in diesem Mantel einen Elefanten im Porzellanladen. John hat keine Manieren, und er hört nur auf seinen Instinkt."

Die Gentleman-Version eines Kopfgeldjägers

Mit dieser kreatürlichen Hauptrolle reißt Russell neben exzellenten Kollegen wie Samuel L. Jackson, Tim Roth und Jennifer Jason Leigh den ganzen Film an sich. Der eisige Schneewestern handelt von einer Gruppe finsterer Gestalten, die in einer Hütte im tiefsten Wyoming aufeinandertreffen - und sich dort nach Tarantino-Manier gegenseitig die Hölle heißmachen. Seine Figur ist ein Kopfgeldjäger, der eine kostbare menschliche Beute im benachbarten Städtchen abliefern will, um die Prämie zu kassieren - aber er ist die Gentleman-Version eines Kopfgeldjägers. Auf dem Fahndungsplakat steht tot oder lebendig? Er liefert seine Opfer immer lebend beim Henker ab, Ehrensache.

Selten hatte man größere Lust den Bewegungen eines langen, ungepflegten Backenbarts mit Fusseln, wie ihn heute nur Baristas aus San Francisco und Russell in diesem Film tragen, beim auf- und abwippen zuzusehen. "John ist ein Halloween-Charakter", sagt Russell und liefert damit eine sehr schöne Umschreibung für den verwahrlosesten Kerl im Tarantino-Western, der sich um größtmögliche äußerliche Runtergerocktheit bemüht.

Russell ist die perfekte Besetzung für einen charmanten Gesetzlosen. Aufgewachsen ist der heute 64-Jährige unter lauter Republikanern. Später entschied er sich, zwischen Republikanern und Demokraten keinen Unterschied zu machen und stattdessen Mitglied der Libertarian Party zu werden. Dort geht man vom Prinzip des Selbsteigentums aus und tritt für eine teilweise bis vollständige Abschaffung oder zumindest radikale Beschränkung des Staates ein.

Damit machte Russell sich selbst unter den liberalen Hollywoodianern eher suspekt, weil er sich als "hardcore libertarian" bezeichnet. Dass in den USA gerne eine Verbindung zwischen Waffenkontrollen und Terrorismus hergestellt wird, findet er "absolut krank".

Bemerkungen wie diese sorgen nicht gerade dafür, dass er als regelmäßiger Gast auf den üblichen Charity-Veranstaltungen der Industrie anzutreffen ist - und sich geografisch von Hollywood lieber fern- hält. Stattdessen jagt er lieber Elche auf seiner Ranch in Aspen.

Gegenmodell zum komplizierten Mann

Diese Aussagen könnten alle wahnsinnig unsympathisch rüberkommen. In Kurt Russells Fall aber wirken diese Haltung und dieser Lebensstil eher wie die lebenslange Sinnsuche eines Outsiders, der irgendwann das System Hollywood verlassen hat, um Energie zu sparen und in andere Dinge zu investieren - was ihn über die Jahre sehr frisch gehalten hat.

Falls man bisher keine Western mochte, könnte sich das mit John Ruth, also Kurt Russell ab sofort ändern. Denn derzeit bringt er eine moderne, angenehm unausgelutschte Form der Western-Energie auf die Leinwand zurück. Neben "The Hateful Eight" ist er in der Western-Travestie "Bone Tomahawk" zu sehen, in der er als Sheriff auf Menschenfresserjagd geht. Während sich für die männlichen Protagonisten in TV-Serien wie "Breaking Bad" oder "Mad Men" in Hollywood der Begriff des "difficult man" durchgesetzt hat, des komplizierten Mannes, verkörpert Russell das Gegenmodell des direkten Kerls. Schon als Wyatt Earp hat er 1993 in "Tombstone" einfach geschossen und nicht lange gejammert. Das ist ein Image, das er gerne auch privat pflegt. Russell ist nicht kompliziert und braucht auch keine Lebensberatung.

Als Kinderstar sollte er dem King Elvis Presley kräftig gegen das Schienbein treten

Kurt Russell ist angenehm unkitschig, gefühlt über 100 Jahre mit Goldie Hawn liiert, aber nicht verheiratet, und in seinem Gesicht sind keine Spuren von Schönheits-OPs zu sehen. Auch zerknittert hat er beste Laune und Spaß an seinem Job, was ihm schon als begeistertes Schauspielkind im Elvis-Presley-Klassiker "It Happened at the World's Fair" so ging, damals, 1963. Darin musste er den großen Elvis fest gegen das Schienbein treten - "ich glaube, es war zu fest", erinnert er sich grinsend.

Er wurde zum Kinderstar und trat zum Beispiel in der gefeierten skurrilen Disney-Produktion "Superhirn in Tennisschuhen" aus dem Jahr 1969 auf. Die Legende besagt, der große Träumer Walt Disney persönlich habe zu ihm eine Art Musenverhältnis entwickelt und noch an seinem Totenbett zwei Wörter aufgeschrieben: "Kurt Russell". Das mag ein bisschen übertrieben sein, aber immerhin hatte Disney noch kurz vor seinem Tod mit Russell einen Zehnjahresvertrag abgeschlossen, der seine Sympathien für den Jungen belegt. In den Filmen, die er für ihn machte, nahm er schon den lässigen Cowboy, den er heute so gern spielt, vorweg: Man besetzte ihn am liebsten als etwas herrischen, penetranten und juvenil-aggressiven Bandenführer - ein richtiges Rebellenkind. Das stand ihm und das lag ihm.

In den Siebzigerjahren machte er dann zunächst als pausbäckiger California-Boy Karriere. Doch es war vor allem die Rolle des Snake Plissken in John Carpenters Science-Fiction-Wahnsinn "Die Klapperschlange", die ihn 1981 wirklich weltberühmt machte. "Das war ein Mann", sagt er, "der einfach allein sein wollte. So wie Greta Garbo. Er sieht aus wie ein Psychopath und er ist Psychopath!"

Der große John Wayne trug im Kino eine Augenklappe - also wollte er auch eine haben

Russell war begeistert von John Carpenters radikaler Arbeitsweise. "Normalerweise verstehen wir immer, warum ein Mann im Film durchdreht, mordet und sich rächt. Oft hat er eine Berechtigung, einen Grund. Bei der 'Klapperschlange' hat John Carpenter die Szene, die uns Snakes Motivation zeigt, tatsächlich auch gedreht - und dann hinterher einfach wieder rausgeschnitten! Deshalb wirkt Plissken wie ein totaler Psychopath. Er hat keinen Grund zu töten."

Am Look dieses Wahnsinnigen war Russell selbst beteiligt. "Ich riet zum schwarz-weißen Camouflagemuster und zur Augenklappe, weil John Wayne so eine in 'True Grit' trug." Diese Augenklappe ist natürlich das große Bindeglied zwischen der Klapperschlange und Russells Westernbegeisterung damals und heute, die er vor allem mit seiner großen Verehrung für John Wayne begründet. Dass dann ausgerechnet ein Regiemeister wie Tarantino ihn für einen Western haben wollte - unglaublich. "Du fühlst dich gut, stolz und geliebt, wenn Tarantino dich auswählt. Er ist keiner dieser Verkehrspolizisten-Regisseure, die einfach nur Anweisungen geben. Er will, dass du dich richtig amüsierst, genauso, wie er sich selbst beim Drehen amüsieren will. Und so lernst du überhaupt erst, was dich amüsiert."

Für Kurt Russell ist die Beschäftigung mit Western zusätzlich ein persönliches Männerforschungsprojekt. "Wo sind diese Männer von früher? Wo sind die Männer, die in diesen Filme zu sehen sind? Die Mentalität des amerikanischen Mannes, oder sagen wir mal die Art, wie sie in den amerikanischen Medien besprochen wird, verändert sich signifikant. Ich finde das interessant. Und ich finde es interessant, das im Verhalten der Leute zu beobachten." Weshalb er bei Männer-Problemen eher zu einer Rolle in einem anständigen Western denn zur Therapie rät.

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