Schauspieler Michael Degen:Der Gentleman

Ein Mann ohne Großschauspieler-Gehabe: Michael Degen hat alles gespielt, sogar Kreuzfahrtgalane und Kurschatten - und sich dennoch seine Kunst bewahrt.

Barbara Gärtner

Ein Tisch genügt. Selbst einer von der diskreten Büromöbelsorte, irgendwie oval, irgendwie lackiert, wie man ihn beim ZDF in den kleinen Besprechungsraum der Hauptstadtresidenz hineingestellt hat. Auf dieser Tischplattenbühne trommeln und tanzen nun die Hände von Michael Degen; dazu flüstert, raunt, kichert oder poltert er, macht groß "Achach" und kleiner "och" - und manchmal, wenn er voll Erregung auf den Tisch haut, dann hüpft der Kaffeelöffel mit Klimbim von der Untertasse auf: Tusch.

Schauspieler Michael Degen: Die meisten kennen den Schauspieler als Donna Leons blasiert ermittelnden Vice-Questore.

Die meisten kennen den Schauspieler als Donna Leons blasiert ermittelnden Vice-Questore.

(Foto: Foto: dpa)

Michael Degen ist Schauspieler - und was für einer. Brecht, Bergman, Zadek, Tabori, die ganz große Bühne. Weil die Zuschauer im Theater aber diskret mit Applaus und Respekt bezahlen und im Fernsehen mit Einschalttreue und Rummelruhm, und weil Michael Degen eben bei ziemlich vielen um 20.15 Uhr im Wohnzimmer vorbeischaute, kennen ihn die meisten als Kreuzfahrtgalan, als Kurschatten, als Donna Leons blasiert ermittelnden Vice-Questore oder als distinguierten Eroberer der stets beleidigt dreinschauenden "Diese Drombuschs"-Dame Witta Pohl.

Mittlerweile gibt es auch noch einen dritten öffentlichen Degen, den Autor und Essayisten, ein politisch und vor allem kritisch denkender Mensch ist der. Einer, der seine Erfahrung mit den alten und neuen Nazis aufschreibt und ausspricht. Nicht alle waren Mörder nannte er vor Jahren sein Erinnerungsbuch über jene finstren Jahre, in denen er, der jüdische Junge, in Verstecken den Holocaust überlebte. Das hat viele geschockt, denn auf dem Traumschiff haben die Darsteller zwar Falten, aber keine Vergangenheit.

Ein Kommissar auf Mördersuche

Nebenan im großen Konferenzzimmer sitzen also heute die Journalisten Schlange, eingeladen vom ZDF, damit ihnen Michael Degen etwas über seinen neuen Fernsehfilm "Die Seele eines Mörders" erzählt. Aber von Degen erwartet man nicht die üblichen Lobhudeleien (Tolles Team! Tolles Buch! Toller Film!), von ihm will man etwas zur Lage der Nation notieren, zu Politik, Theater, Fernsehen - oder zumindest, wie er das findet, was das ZDF da in Israel trieb und drehte.

Denn für die Verfilmung, Verdichtung und Verkürzung des Kriminalromans der 2005 verstorbenen Autorin Batya Gur wird ein Kommissar (Heiner Lauterbach) auf Mördersuche von Jerusalem nach Tel Aviv getrieben - und dabei auch tief hinein in die ethnische Spaltung des Landes zwischen den europäischstämmigen und den orientalischen Juden.

Es ist nicht schlimm, diesen Film zu verpassen. Heiner Lauterbach schaut mal wieder bemüht gelassen drein, Maria Schrader ist sehr nervös und Michael Degen, offenbar ein wenig unterfordert, gibt den arroganten Anwalt, den schneidend kalten Zyniker. Es geht um Rassismus, Intoleranz und um Kinder, die den einen genommen und den anderen gegeben werden. Eine Vorlage für jene, die dann gern sagen: Die Israelis sind auch nicht besser.

Finden Sie das nicht gefährlich? Er schweigt, sagt dann leise: "Die Sorge hatte ich tatsächlich. Obwohl das natürlich etwas anderes ist. Die Israelis haben keine Araber vergast, haben keine Vernichtungslager eingerichtet. Aber mit so einer Sorge muss man leben, da muss man drüber weg." Jüdisches Leben in Deutschland - das ist noch lange nicht das, was man Normalität nennt, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Immer ist man als Jude auch Repräsentant, muss zu Israels Innen- und Außenpolitik genauso eine Meinung parat haben wie zur Kopftuchproblematik in Neukölln. Manche agieren mit Häme oder Aggression, Maxim Biller etwa oder Henryk M. Broder. Michael Degen wird auch gern deutlich, ist dabei aber deutlich sanfter, besorgter, selbst wenn er zürnt.

Lesen Sie auf Seite 2, warum er mit seiner großen Liebe selbst Schluss gemacht hat.

Der Großmime vertraumschifft

Nach dem Krieg, nach den Jahren in Verstecken, ist der 1932 in Chemnitz geborene Degen erst einmal nach Israel gegangen und dort, bei den Kammerspielen in Tel Aviv, hat er mit der Schauspielerei begonnen. Zwei Jahre blieb er, dann kam er wieder nach Deutschland zurück. "Ich habe meine Muttersprache vermisst", sagt Degen. Seinem Sprechen hört man diese Liebe zur Sprache an, mit Worten geht er sorgsam um, aber nicht geizig. Gerne wiederholt er Halbsätze, betont, phrasiert, dramatisiert.

Ihm beim Erzählen und Gestikulieren zuzuschauen, ist unterhaltsam. Wenn er etwa von einem Streich erzählt, den er Brecht bei den Proben zu "Der Held der westlichen Welt" spielte oder wenn er ein Telefonat mit Marcel Reich-Ranicki nach Erscheinen seines Romans "Blondi" in unterschiedlichen Tonlagen nachspielt ("Herr Degen, ich finde Ihr Buch fa-bel-haft! Aber sind Sie wahnsinnig geworden? Wie können Sie ein jüdisches Mädchen zum deutschen Schäferhund machen?"). Das ist unterhaltsamer als viele Fernsehfilme, bei denen der 77-Jährige mitwirkte.

Der Großmime vertraumschifft im TV

Zur verbalen Eleganz trägt er einen eisblauen Kaschmirpulli, das Haar in schwungvoller Silberwürde, darunter rahmen die dunklen Augenbrauen einen Blick voll jener Melancholie, die wohl auf Erfahrung und Nachdenken beruht. Kein Wunder, dass ihn Fernsehregisseure gerne besetzen, wenn es darum geht, einen Gescheiterten mit Fallhöhe darzustellen. Solch eine Fallhöhe unterstellt man auch ihm selbst, weil man den Schauspieler immer wieder einspannen will, wenn es darum geht, gegen das Fernsehen und für die Hochkultur zu zetern.

Der Großmime vertraumschifft im TV, heißt es dann. Immerhin hat ihn der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier einmal als legitimen Erben Gustaf Gründgens hochleben lassen, und in Degens seitenlanger Filmografie finden sich einige Außergewöhnlichkeiten, "Claude Chabrols Wahlverwandschaften" etwa, die Romuald-Karmakar-Filme (Frankfurter Kreuz, Manila), Dieter Wedels Mittags auf dem roten Platz, Michael Kehlmanns Geheime Reichssache oder auch der Zweiteiler "Die Geschwister Oppermann". Aber auch vieles, was sich geräuschlos versendet hat. Spricht man ihn an auf all die mittelguten Filme seines Lebens, redet er nicht drumrum: "Ich hatte vier Kinder zu ernähren, irgendwo muss das Geld ja herkommen, und da hab ich dann auch mal Schrott gedreht. Es gibt ja auch immer weniger Nicht-Schrott."

Mit seiner großen Liebe hat er selbst Schluss gemacht, sich vom Theater weitestgehend zurückgezogen, auch wenn er gerade wieder auf der Bühne von Dieter Hallervordens Schlossparktheater steht. All die "Schrotttexte", dazu diese Tedenz zur "Vergewaltigung des Textes", das ging ihm einfach zu weit, und als Daniel Kehlmann neulich zu seiner Suada gegen das Regietheater ansetzte, fand er das wunderbar. "Dass der Junge diesen Mut gehabt hat"; anerkennend pocht er auf die Tischplatte. Die Bühnen- und Fernsehausflüge sind mittlerweile zu kleinen Fluchten geworden, Degens Verlag drängt ihn zum Bücherschreiben, und die Geschichte seines Lebens, die er spät veröffentlicht hat, ist heute wohl seine wichtigste Rolle. Was er noch gerne spielen würde? "Nichts. Ich habe alle Rollen gehabt."

Michael Degen sagt das schnell, aber ohne Großschauspieler-Gehabe. Nur als der Fotograf später verlangt, er solle für das Foto doch bitte mal "cheffig" die Arme vor der Brust verschränken, will er lieber nicht. Die Geste ist ihm zu herrisch. Auf Bitten probiert er sie aber trotzdem. Er ist Gentleman. Einer, der sich offenbar gerne überreden lässt.

Die Seele eines Mörders, ZDF, Montag, 16. November, 20.15 Uhr.

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