Schauspieler im Größenwahn:Macht mal halblang

Es gibt viele tolle Schauspieler! Leider spielen sich die meisten von ihnen selbst an die Wand. Wie Armin Mueller-Stahl sind sie vom Virus des Großmimentums befallen.

Tobias Kniebe

Hier eine kleine Wette: Wenn jetzt die Berlinale losgeht und alle Welt vom Roten Teppich des Eröffnungsfilms berichtet, wird mittendrin Armin Mueller-Stahl zu sehen sein: Gütige blaue Augen, verschmitztes Lächeln, großväterlich staatstragende Thomas-Mann-Aura. Warum auch nicht?

Schauspieler im Größenwahn: Wenn zwei das gleiche tun, ist es nicht dasselbe: Armin Mueller-Stahl, der britische Schauspieler Clive Owen und Regisseur Tom Tykwer posieren in den Babelsberger Filmstudios in Potsdam zu Beginn des Produktionsstarts des Kinofilms "The International" im September 2007.

Wenn zwei das gleiche tun, ist es nicht dasselbe: Armin Mueller-Stahl, der britische Schauspieler Clive Owen und Regisseur Tom Tykwer posieren in den Babelsberger Filmstudios in Potsdam zu Beginn des Produktionsstarts des Kinofilms "The International" im September 2007.

(Foto: Foto: ddp)

Der Mann spielt im Eröffnungsfilm mit, in Tom Tykwers "The International", neben Clive Owen und Naomi Watts - als ehemaliger Stasi-Mann mit traurigem Bick, der seine Spezialkenntnisse in Sachen Mord und Erpressung gewinnbringend ans internationale Finanzschurkentum verhökert. Solche Aufgaben erledigt Mueller-Stahl, 78, einst DDR-, heute Weltbürger, mit links. Trotzdem: Etwas wird sich in diesem Moment falsch anfühlen.

Die Sache ist die: Die Rolle des Konsuls Jean Buddenbrook in dieser großen, goldumrandeten Lübecker Marzipanpackung namens "Buddenbrooks", die das ZDF und die Bavaria auf den weihnachtlichen Gabentisch gewuchtet haben, sie sollte die letzte große Rolle des großen Armin Mueller-Stahl sein. Danach sei definitiv und unwiderruflich: Schluss. So hat es nicht irgendwer beschlossen, sondern Mueller-Stahl.

Diese Entscheidung hat er vor mehr als zwei Jahren einer Nation, der diese Frage vorher egal war, mit Donnerhall in Bild am Sonntag verkündet. "Es ist genug", raunte er, womöglich mit demselben majestetisch-waidwunden Blick, den er auch in seinen letzten Rollen so luzide eingesetzt hat. "So wie die Schauspielerei heute funktioniert, kann ich sie nicht ernstnehmen." Und: "Es ist absurd, wenn amerikanische Stars dreißig Millionen Dollar pro Film verlangen können. Sind sie außerdem am Verkauf beteiligt, kommen sie auf 300 Millionen. Und es ist vollkommen absurd, dass ein Produzent noch viel mehr verdienen kann."

Er wolle bald nur noch malen, schreiben, vorlesen, junge Künstler fördern, so fügte Mueller-Stahl hinzu. All das interessiere ihn mehr als spielen.

Sprach's, und nahm nur sehr wenig später nicht nur die Rolle in "The International" an, sondern gleich auch noch einen Part in der nächsten bombastischen Hollywood-Dan-Brown-Verfilmung, "Illuminati". Das Bild oben zeigt überaus vortrefflich, was man erwarten darf: Chorknaben, die fromm zu Diensten sind, wenn Hollywood es verlangt - und täuscht unser Verdacht oder versuchen hier zwei Großschauspieler die drohende Lächerlichkeit mit stoischer Miene zu ertragen. Ein Projekt ist das übrigens, bei dem der Star Tom Hanks wieder Gott weiß wie viele Millionen kassieren wird, auch der Produzent wird sich dumm und dämlich verdienen - während Mueller-Stahl für eine Rolle, die er selbstverständlich nicht ernstnehmen kann, einmal mehr mit einem Hungerlohn abgespeist wird.

Darum macht er es ja.

Man könnte sich nun als kulturinteressierter Mensch, der gerade die besseren Schauspieler auch für ihre Glaubwürdigkeit jenseits der Leinwand verehrt, ein wenig verhöhnt vorkommen. Sollte man aber nicht.

Wir sehen hier nur ein Virus am Werk, dessen Wirkung sich in subtilen Symptomen zeigt, das aber doch große Verheerung anrichten kann, wenn es nicht eingedämmt wird. Es ist das Virus des Großmimentums.

Das Virus des Großmimentums befällt Schauspieler, die durch Preise, Lob und meist sogar berechtigte Verehrung über den Status eines bloßen Gesichtsverleihers hinausgewachsen sind. Hin zu einer Aura, einem Geheimnis - und einem Wunsch, sie mögen uns, die wir im Dunklen vor ihrer Kunst sitzen, auch Erkenntnis stiften. Für uns Zuschauer ist das ein schöner Gedanke. Für Schauspieler ist er allerdings, wenn sie ihn zu ernst nehmen, hochgefährlich. Er führt dazu, dass sie sich selbst irgendwann bedeutsamer finden als ihre Arbeit, auch wenn sie bei öffentlichen Auftritten schlau genug sind, sich mit Bescheidenheit zu tarnen. Er zerstört ihre Kunst, und in Interviews reden sie dann, wie benebelt, plötzlich bombastischen Unsinn.

Lauschen wir einmal kurz hinein, wie sich Dominik Graf und Christian Petzold, zwei der klügsten deutschen Regisseure dieser Tage, in einem Online-Blog der Filmzeitschrift Revolver über dieses Problem unterhalten. Er könne das nicht mehr ertragen, sagt Petzold: "Schauspieler, die, wenn sie die Schiene erreichen und das Travelling beginnt, eine Starfresse aufziehen, weil sie wissen, dass sie jetzt nah sind." Will sagen, die Kamera ist relativ dicht am Gesicht, und sie fährt vor dem Schauspieler her, der so tun muss, als ahne er davon nichts, und im Prinzip einfach hinter der Kamera herlaufen soll, wie man als normaler Mensch eben so läuft. Es klappt nur leider fast nie - weil der ganze Aufwand einen besonders pompösen Blick geradezu herausfordert.

Graf aber hat einen Trost parat: "Am besten, man nimmt sowieso nur noch den Zoom, weil dann keiner weiß, wie nah man dran ist." Noch so ein Insider-Trick: Montiert man eine Festbrennweite auf der Kamera, wissen die Schauspieler, diese Egomanen, wie groß ihr Gesicht im Bild sein wird - und spielen plötzlich anders. Bei der Zoomlinse dagegen erkennt man das von außen nicht. Soweit ist es also schon: Mit allen Heimlichkeiten und Finten müssen die Regisseure das Virus des Großmimentums überlisten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Bescheidenheitsfloskeln die Sache noch schlimmer machen.

Macht mal halblang

Doch die "Starfresse", so fährt Graf fort, ist nur das eine Problem: "Oft sehe ich in Gesichtern einen Subtext wie: 'Achtung, ich spiele jetzt eine wertvolle Emotion, denn ich spiele in einem wertvollen Film!' Und kein Regisseur hat diesen Subtext aus dem Gesicht gestrichen."

Als Kinogänger oder Fernsehzuschauer sieht man das natürlich nicht mit derselben Klarheit wie Petzold oder Graf. Aber es bleibt doch oft ein ungutes Gefühl, speziell in Filmen, die schon vorab signalisieren, dass es hier bedeutsam zugeht: weil mal wieder ein bedeutendes Buch verfilmt oder ein bedeutendes Thema verhandelt wird.

Da wütet das Virus des Großmimentums dann beinahe unkontrolliert, und je größer das Budget wird, desto mehr scheint es auch das Immunsystem der Regisseure zu schwächen, die es eigentlich stoppen müssten. Vom "Baader Meinhof Komplex" über "Buddenbrooks" bis hin zu "Geliebte Clara" - in letzter Zeit ist wieder jede Menge Großmimen-Subtext auf den Gesichtern zu sehen, der nicht rechtzeitig gestrichen wurde, bei Martina Gedeck zum Beispiel oder bei August Diehl.

Die Wahrheit ist: Selbst die Besten der Besten sind, wenn sie keine ganz strengen Regisseure haben, anfällig dafür. Kaum ein Schauspieler, wie wach und gnadenlos selbstkritisch und immun gegen Selbstüberhöhung er auch sein mag, übersteht seine Karriere ohne den ein oder anderen Großmimenfilm. Na gut, Cary Grant vielleicht. Humphrey Bogart. Oder der Größte unter den Gegenwärtigen: Clint Eastwood.

Dazu braucht man gute Gene, die im Zweifelsfall einen Großteil des Jobs allein machen, aber auch eine komplett bullshitfreie, unerschütterliche Professionalität, die auch die genuine Gewissheit evoziert, dass es einem wirklich egal ist, was alle anderen über einen denken - möglicherweise ist bullshitfree eine Art Hauptwesenszug des großen Lakonikers Eastwood, der in seinem neuen Film "Gran Torino" (in Deutschland ab 5. März) einen sympathischen alten Rassisten gibt und sich alleine dadurch absichtlich aus der politisch korrekten Riege der Oscar-Anwärter geschossen hat.

Für Schauspieler, die mit derartiger Coolness nicht gesegnet sind - also für nahezu alle -, stellt sich das Problem, dass sie sich immer wieder fangen müssen, wenn Großmimengedanken ihr Hirn vernebeln. Auf zunehmend höherem Niveau, bei zunehmend größerer Versuchung. Marlon Brando ist dabei jahrzehntelang auch mal verlorengegangen. Aktuell stehen selbst Giganten wie Robert De Niro und Al Pacino am Scheideweg.

Was sie in ihrem aktuelle Machwerk "Kurzer Prozess - Righteous Kill" abgeliefert haben, und das auch noch gemeinsam, zeugt von Selbstüberschätzung allerdings nur noch insofern, als sie wohl ernsthaft gehofft haben, mit geschätzten zwanzig Prozent ihres Leistungsvermögens durchzukommen. Dafür stellen sich andere bange Fragen: Kann Al Pacino die Idee "Al Pacino" nicht mehr ertragen? Und wann hat De Niro beschlossen, dass das Einzige, was ihm noch eine Anstrengung wert ist, sein Restaurant- und Hotelimperium ist?

Müdigkeit allein ist dabei übrigens nicht das Problem. Wem würde man, nach einer Karriere vom Kaliber Pacinos oder De Niros oder auch nur Mueller-Stahls, seine wohlverdiente Ruhe nicht gönnen? Das Großmimentum im finalen Stadium ist eine Mischung aus Müdigkeit, gefühlter zunehmender Missachtung, und Gier, die man nicht nur finanziell verstehen darf. Vor mehr als zehn Jahren haben wir mal den großen Anthony Hopkins an diesem Punkt erwischt.

Hopkins hatte gerade Picasso gespielt - im Gespräch ließ er tief in seine Seele blicken. "Ich war gestern nach der Vorstellung auf der Bühne, die Leute klatschten, alles sehr nett", sagte er. "Aber ich fühlte mich wie in diesem Song von Peggy Lee: ,Is this all there is?' Ich hatte das Gefühl, dass ich gehen sollte. Ich musste sehr lange arbeiten, um erfolgreich zu sein, um eine große Leere in meinem Leben auszufüllen. Ich hab' es geschafft. Und jetzt? Wenn ich zurückschaue, was habe ich vorzuweisen? Mal abgesehen von einem gut gefüllten Bankkonto - was habe ich? War ich ein guter Vater, war ich ein guter Ehemann? Die Wahrheit ist, dass ich ein armseliger Vater war. Und ein armseliger Ehemann. Picasso starb allein. Ein einsamer, verängstigter Mann. Das ist der Preis, den man am Ende bezahlen muss."

Als er das sagte, mit seiner raunenden, verführerischen Hannibal-Lecter-Stimme, liefen uns Schauer der Erkenntnis über den Rücken. Ein Großer war dabei, einen Schlussstrich zu ziehen, dem ewigen Lügenspiel, dem er alles verdankte, endgültig den Rücken zu kehren. Ein seltener Moment der Wahrheit in diesem Beruf, so dachten wir, rührend naiv - obwohl wir natürlich wissen mussten, dass Journalisten meist nicht dafür da sind, dass man ihnen die Wahrheit erzählt.

Hopkins nahm weiter ein lukratives Angebot nach dem anderen an - und wir, die wir diesen angeblich so intimen Moment mit ihm teilen durften, fühlten uns mit jedem neuen Film, in dem sein Name auftauchte, verschaukelter. Etwa dreißig sind es nun bald, seit damals. Sir Anthony stand, nur unter anderem, noch für Meister wie Steven Spielberg und Ridley Scott vor der Kamera. Nur: Ein großer Film war nicht mehr dabei.

"Die Freiheit gönne ich mir, Dinge wieder zurückzunehmen, die ich einmal gesagt habe", meinte neulich Armin Mueller-Stahl zum Stern, als er auf seine angeblich letzte Rolle angesprochen wurde. "Manchmal kann ich halt nicht nein sagen. Jetzt habe ich gerade einen Film mit Tom Hanks gemacht. Dass ich das noch gemacht habe, dafür bin ich sehr dankbar. Ich durfte Menschen mit Herz begegnen. Profis. Das will ich nicht missen."

Kein Wort mehr vom Leiden am Hollywood-System, von der Absurdität der Gagen, die ihm den Beruf verleidet und den Schlaf raubt. Stattdessen sind wir jetzt eben alle reiche Profis mit Herz. Man muss das als Spiel sehen - und aus Erfahrung lernen, dass man Schaupieler im Großmimenfieber nur mit Übersetzung wirklich verstehen kann. Wenn sie ihren Hang, sich selbst zu wichtig zu nehmen, möglicherweise erkannt haben, greifen sie auch gern zu ausgefeilten Bescheidenheitsfloskeln. Das macht die Sache noch schlimmer.

Was also Armin Mueller-Stahl im selben Interview auch noch sagte, darf man nicht wörtlich nehmen. "Ich genieße es, dass mich kaum noch jemand auf der Straße erkennt. Ganz anders als früher. Endlich kann ich mich frei bewegen und laufe nicht mehr wie ein Affe im Zoo durch die Welt."

Soll also heißen: Wenn ich demnächst auf der Berlinale auftauche, möchte ich bitteschön im Mittelpunkt stehen.

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