Schauspieler aus Syrien:Raus aus der Schublade

Schauspieler aus Syrien: Kinan Hmeidan will einfach nur Schauspieler sein.

Kinan Hmeidan will einfach nur Schauspieler sein.

(Foto: Julian Baumann)

Der Syrer Kinan Hmeidan ist an den Münchner Kammerspielen engagiert, jetzt spielt er den Königssohn Donalbainin in "Macbeth". Shakespeare ist nur der Anfang.

Von Christiane Lutz

Als Kinan Hmeidan im Sommer 2014 mit seiner Familie zusammensaß und über die Zukunft sprach, beschloss er, zu bleiben. Mutter, Schwester und sein jüngerer Bruder verließen Damaskus kurz darauf, flohen nach Deutschland, sein Vater blieb ebenfalls. Zu viele Menschen hatte er mit Koffern in Busse steigen und verschwinden sehen. Hmeidan sagt: "Ich wollte bleiben, weil so viele andere gegangen sind."

Vier Jahre später steht Kinan Hmeidan, hochgewachsen, Spitzbubengrinsen, bei einer Probe auf der Bühne der Kammerspiele und tut so, als ob er in ein Urinal pinkelt. Er spielt den Königssohn Donalbain in Macbeth, einer Inszenierung von Amir Reza Koohestani. Das ist möglich, weil Hmeidan Teil des "Open Border Ensembles" ist, das Intendant Matthias Lilienthal zusammen gebracht hat.

Das Theater sucht seit ein paar Jahren nach Formen, mit dem Thema Flucht und Migration umzugehen. In mehr oder minder geglückten Produktionen landauf, landab standen Geflüchtete auf der Bühne und erzählten ihre Geschichten. Oft dienten sie als Projektionsflächen deutscher Mitleidskultur und künstlerischen Übereifers. Das Gorki-Theater in Berlin versucht, dem entgegenzuwirken und gründet ein "Exil-Ensemble", das zum Teil aus geflüchteten Schauspielern besteht. Für seine Idee eines "Open Border Ensembles" entschied Lilienthal, syrische Schauspieler ans Haus zu holen. In einem komplizierten Casting in Beirut wählte er drei Schauspieler aus: Majd Feddah, Kamel Najma und Kinan Hmeidan. Im Februar 2018 kamen die drei nach monatelanger Wartezeit an, mit einem einjährigen Visum, finanziert von der Kulturstiftung des Bundes. Die Tatsache, dass sie eben keine Geflüchteten seien, schaffe Augenhöhe mit Publikum und Kollegen, sagt Lilienthal.

Das mit der Augenhöhe war dann allerdings nicht so einfach. "Anfangs schauten mich alle an als wäre ich ein Flüchtling", sagt Hmeidan im Sommer im Englischen Garten, die Spielzeit ist gerade um. Das macht ihn nervös. "Ich musste mir selbst immer wieder sagen: Entspann dich. Du hast ein Arbeitsvisum. Du hast ein Recht, hier zu sein." Auf keinen Fall will er den Eindruck erwecken, jemandem etwas wegzunehmen. Fast wäre er aus Sorge davor gar nicht gekommen. Doch dann war die Lust zu groß, das zu tun, was andere Schauspieler auch tun: reisen, spielen, lernen.

Hmeidan wurde 1991 in Damaskus geboren, studierte dort Schauspiel am Institut für darstellende Künste, spielte Theater, spielte in Fernsehserien und Filmen, legt als DJ auf. Schauspieler in Syrien zu sein ist möglich, wenn man sich nicht zu politischen Themen äußert. Für Hmeidan, der von sich sagt, nicht an Grenzen, Nationalitäten oder Präsidenten zu glauben, ist das Teil des Deals. Interviews gab er nie.

Lilienthal findet es gut, dass sich sein Ensemble nicht einfach in die Schublade "Flüchtlingsschicksal" stecken lässt, auch wenn das manche Zuschauer irritiert. "Dass wir Syrer bei uns nur akzeptieren, wenn sie Geflüchtete sind, das ist doch deutscher Kitsch", sagt er. Flucht beschreibe ohnehin meist nur einen Zustand von Wochen, keine lebenslanges Schicksal.

Aber muss es dann das Ziel sein, die syrischen Schauspieler möglichst unauffällig ins Ensemble zu integrieren? Oder sollten sie eine Sonderstellung und ihre eigenen Themen haben? Lilienthal wusste das selbst nicht genau und entschied sich zunächst für zweiteres. "Miunikh-Damaskus" (Regie: Jessica Glause) erzählte im Mai vom Alltag in Damaskus, "What they want to hear" (Regie: Lola Arias) dokumentierte im Juni die Geschichte eines geflüchteten Syrers, der nach Bulgarien abgeschoben werden soll.

Hmeidan wird ungeduldig. Er wollte nicht nach München kommen, um Flüchtlingsgeschichten zu erzählen. Er sehnt sich danach, einer von vielen zu sein. Dann arrangiert er sich: "Wie reden wir über den Krieg, ohne davon zu reden, dass ständig eine Bombe explodiert? Es explodiert nämlich nicht ständig eine Bombe. Wir sitzen auch bei Freunden, gehen auf Partys, verlieben uns. Das ist genauso wahr." Eine Wahrheit, die es ihm wert ist, mit anderen zu teilen.

Mit Beginn der neuen Spielzeit dann verändert sich vieles. Hmeidans anfängliche Sorge verblasst, er findet sich zurecht in den verschlungenen Theatergängen und weiß etwas besser, wie München tickt. Sein Kollege Majd Feddah spielt nun eine Rolle in der Riesenproduktion "Dionysos Stadt" - und Hmeidan eben in "Macbeth", (Premiere 7. Dezember). Eine stinknormale Rolle, endlich. Regisseur Koohestani lässt ihn auf sein Drängen hin ein paar Sätze Deutsch auf der Bühne sprechen. Hmeidan ist stolz, aber noch lange nicht satt.

"Open Border", das klingt hübsch nach Toleranz, nach der Überwindung von Grenzen. Es heißt aber auch, dass alle - Schauspieler, Intendant und Publikum - offen sein müssen für alles, was dieses Ensemble sein oder eben nicht sein kann. Gerade haben die Kammerspiele die Förderung einer Stiftung erhalten, die Visa können bis Ende 2019 verlängert werden, vielleicht sogar bis zum Ende von Lilienthals Intendanz 2020. "Wir Schauspieler und das Publikum lernen uns kennen und machen gemeinsame Schritte", sagt Hmeidan. Im Februar abzureisen hätte sich für ihn sehr falsch angefühlt.

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