Süddeutsche Zeitung

Schauspiel:Täter vor Gericht

Das Landestheater Schwaben in Memmingen bringt mit "Nebel im August" ein sehr dunkles Kapitel von Heimatgeschichte auf die Bühne, die Ermordung psychisch Kranker in Kaufbeuren und Irsee

Von Egbert Tholl

Es ist schon mehr als zehn Jahre her, da veröffentlichte Robert Domes seine Romanbiografie "Nebel im August". Der Jugendroman erzählt die Lebensgeschichte von Ernst Lossa, zehn Jahre aus dem Lebens eines Jungen, der am 9. August 1943 in der Zweiganstalt Irsee, die zur Heilanstalt in Kaufbeuren gehörte, mit Morphium-Scopolamin ermordet wurde - da war er 14 Jahre alt. 2016 wurde der Roman mit Erfolg verfilmt. Domes erzählte darin die Geschichte empathisch aus der Sicht des Jungen, John von Düffel kehrte die Perspektive um. Für das Landestheater Schwaben in Memmingen schrieb er eine Dramatisierung des Stoffes, stark basierend auf den Akten des Prozesses, in dem sich 1949 unter anderem Valentin Faltlhauser vor dem Gericht in Augsburg verantworten musste. Faltlhauser war der Leiter der Kaufbeurer Anstalt und als solcher für die Tötungsaktionen zuständig. Die Geschichte der sogenannten Euthanasie in Irsee und Kaufbeuren ist inzwischen vielfältig dokumentiert. Der menschenverachtende Wahnsinn der "Vernichtung lebensunwerten Lebens" insgesamt im NS-Staat wurde erstmals von Ernst Klee in dessen Buch 1983 dargestellt.

Was "Nebel im August" in Memmingen nun besonders macht, ist der Umstand, dass es ein Stück Heimatgeschichte ist. Vom Theater in Memmingen kann man zu den Stätten, wo einst gemordet wurde, hinradeln. Und das machte es für Kathrin Mädler unabdingbar, diese Geschichte in dem Theater zu erzählen, dessen Intendantin sie ist. Sie hat Erfahrung mit dem Thema im weiteren Sinn, hat etwa in Nürnberg auf dem Reichsparteitagsgelände "Die Ermittlung" von Peter Weiss inszeniert. John von Düffel kennt "Die Ermittlung" wohl auch, denn sein Stück erinnert durchaus daran, was aber auch an der Struktur eines Gerichtsprozesses liegen kann. Aber: Weiss hat viel mehr Wucht.

Von Düffel schreibt eine sehr ehrenwerte Idee einer gerichtlichen Untersuchung, extrem informationsreich. Die Kälte der Täter, die Ausreden, doch nur auf Anweisung oder im Sinne einer Pflicht gehandelt zu haben, die Verweise auf die Beschlüsse aus der Tiergartenstraße in Berlin, wo die "T4" genannte "Euthanasie"-Aktion ihre Zentralverwaltung hatte, die genaue Schilderung, wie man jemanden zu Tode spritzt, der Alltag in einer Anstalt, in der schon durch Hungerkost psychisch Kranke zu Tode kommen sollten - all das ist plastisch und anschaulich aufbereitet, das ist notwendig und sehr gut. Aber es bleibt kühl in seiner Unfassbarkeit. Kathrin Mädler nimmt dieses Sprechoratorium als das, was es ist, als künstlerisch strukturierte Dokumentation und lässt sechs Schauspieler in Anstalts- und Häftlingskleidung chorisch oder als dienstbeflissene Solisten berichten. Ernst Lossa wird als Einzelschicksal paradigmatisch, der Junge aus dem Volk der Jenischen, der nicht verrückt, sondern in Naziterminologie "asozial" war. Daran entzündet sich der Prozess, als wäre das Töten psychisch Kranker legitimer gewesen. Das ist natürlich nicht gemeint, aber der Gedanke kommt einem kurz, bevor er gleich wieder verschwindet im gesamten Tun der Täter, die mit lächerlichen Strafen davonkamen.

Nebel im August; So., 25. März, 19 Uhr, Gastspiel in Landsberg am Lech, bis Juni Aufführungen u.a. in Memmingen

Hinweis zum Text: In einer früheren Version hieß es irrtümlich, "Paul Klee" habe 1983 die NS-Euthanasiemorde dargestellt - das Werk "Euthanasie im NS-Staat" stammt aber von Ernst Klee.

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SZ vom 23.03.2018
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