Süddeutsche Zeitung

Schauspiel:Nah am Inferno

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Am Residenztheater inszeniert Antonio Latella seine Version der "Göttlichen Komödie" - auch dank der Münchner Dramaturgin Laura Olivi

Von Petra Hallmayer

Allein mochte sie nicht kommen. Zum Gespräch hat Laura Olivi den Regisseur Antonio Latella und dessen Autor Federico Bellini mitgebracht. Sie drängt sich nicht gern in den Vordergrund. Dabei hat sie es verdient, selbst einmal in den Fokus gerückt zu werden. Seit Jahrzehnten ist die Dramaturgin, die in Bologna Germanistik studiert hat, eine unermüdliche Vermittlerin zwischen dem deutschen und dem italienischen Theater.

Olivi hat den Dramatiker Fausto Paravidino in München bekannt gemacht, Koproduktionen und Gastspiele des Teatro Stabile di Torino und von Romeo Castellucci initiert, Pasolinis "Schweinestall" und Stefano Massinis "Lehman Brothers" ins Residenztheater geholt. Laura Olivi ist eine intelligente Textanalytikerin, ungemein belesen und von unaufdringlicher Beharrlichkeit. Unter Dieter Dorn waren ihre Bemühungen von begrenztem Erfolg, bei Martin Kušej stieß sie endlich auf offene Ohren.

Schon seit Längerem hat sie Kušej ans Herz gelegt, Antonio Latella an sein Haus einzuladen, der für sie "derzeit der wichtigste und aufregendste Regisseur Italiens" ist. Im Residenztheater führt er an diesem Abend zwei Ikonen der italienischen Kultur zusammen und schickt in seiner Version der "Göttlichen Komödie" Pasolini auf eine von Dante-Zitaten begleitete Wanderung durch das Inferno und das Fegefeuer ins Paradies. Die Wirkmächtigkeit Dantes in Italien, glaubt Laura Olivi, lässt sich kaum überschätzen. Schon mit 13 konnte sie viele Verse der "Commedia" auswendig. "Italiener saugen Dante fast mit der Muttermilch auf." So gründlich wie Laura Olivi, die bei der "Langen Dante-Nacht" der Ruhrtriennale Regie führte, aber kennen ihn nur wenige. 35 Übersetzungen hat sie gemeinsam mit Katrin Hammerl durchgesehen, um eine Fassung in Versen zu finden, die den Zauber seiner Poesie erhält und zugleich auch für unkundige deutsche Zuschauer klar und verständlich ist.

Kein Autor hat Pasolini stärker beeinflusst als Dante, der sein Konzept als Autor und Figur seines Werkes maßgeblich prägte. Mehrfach versuchte Pasolini, die "Commedia" neu zu schreiben, zunächst in seinem Stück "La Mortaccia", in dem Dante die Prostituierte Teresa durch die Hölle der römischen Vorstädte geleitet, und noch einmal in seiner unvollendeten "Divina Mimesis". Dantes Spuren, erklärt Olivi, durchziehen seine Filme und Bücher bis zum letzten Romanfragment "Petrolio", in dessen Eingangsszene der Protagonist Carlo vom Balkon stürzt und sich ein teuflischer und ein göttlicher Engel um seinen Körper streiten. Daran knüpft Latellas Inszenierung "Eine göttliche Komödie. Dante <> Pasolini" an, die mit dem "Inferno von Pasolinis Tod" beginnt, dessen brutal verstümmelte Leiche 1975 am Lido di Ostia gefunden wurde. Um den bis heute nicht aufgeklärten Mord, für den ein junger Stricher verurteilt wurde, ranken sich zahlreiche Theorien. War es ein Terrorakt der Neofaschisten, war es ein politischer Auftragsmord? Dass der radikale Künstler und unerbittliche Kritiker eines neuen faschistoiden Denkens das Opfer der Bluttat eines Einzelnen im Schwulenmileu wurde, dagegen sprechen zu viele Fakten, daran glauben weder Olivi noch Latella und Bellini.

Im Münchner Residenztheater wird der Mord nun rekonstruiert. Zwischen Tod und Leben schwebend begibt sich Pasolini, der sich in seinen tagebuchartigen "Quaderni Rossi" mit dem gekreuzigten Jesus verglich, auf einen Passionsweg und eine Reise in sein eigenes Inneres, bei der er zentralen Personen seiner Biografie und Figuren aus seinen Filmen begegnet auf der Suche nach Erlösung, nach, so Latella, "der absoluten Liebe", die von allen Zerrrissen- und Versehrtheiten befreit, "die so unfassbar schön, aber auch unerträglich ist, wenn man sie erfährt".

Latellas Auseinandersetzung mit Dante, die für ihn zugleich eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit sich selbst bedeutet, kreist um existenzielle Themen und fächert eine Fülle an Motiven und Fragen auf. Nicht zuletzt auch nach dem Zustand einer Gesellschaft, die ihren größten Dichter ins Exil schickte und einem ihrer wichtigsten Intellektuellen erst nach dessen Tod allgemeine Anerkennung zukommen ließ. "Pasolini", meint Olivi, "war allen unbequem, ein scharfsichtiger Querdenker und politischer Intellektueller, der für die einfachen Leute sprach, ohne populistisch zu sein." Solch einen Kopf suche man heute in Italien vergebens.

Latellas "Göttliche Komödie" führt in die zwei Welten Pier Paolo Pasolinis, die sich auch im Kontrast von Hochsprache und Jargon widerspiegeln: die des Literaten und Künstlers und die der Strichjungen, Gauner und sozialen Verlierer. Bellinis Text war dabei die Basis für eine gemeinsame Stückentwicklung in enger Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Autor, den Resi-Schauspielern und der Dramaturgin. In Italien, erklärt Olivi, sei ihr Beruf "eine Rarität". Nur wenige Theater leisten sich Dramaturgen. Mittlerweile hält sie Dramaturgie-Workshops in ihrer Heimat ab. Die Begeisterung ist groß, doch es fehlt allerorten an Geld. "Verglichen mit der finanziellen Situation des Theaters in Deutschland ist Italien Dritte Welt", meint der Intendant der Biennale Venedig, Antonio Latella, der inzwischen in Berlin lebt.

Laura Olivi will auch künftig in München bleiben, und weiterhin beharrlich versuchen, "kulturelle Brücken zu bauen". Darüber darf man sich freuen, eine klügere und versiertere Vermittlerin kann sich das Theater schließlich kaum wünschen.

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SZ vom 22.03.2019
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