Schauspiel:Mit dem Wal durch die Wand

Schauspiel: Denn sie wissen, was sie tun: Die jungen Regisseure des "Marstallplans" sind Mirjam Loibl, Tom Feichtigner, Hannes Köpke und Alexander Krieger (von links).

Denn sie wissen, was sie tun: Die jungen Regisseure des "Marstallplans" sind Mirjam Loibl, Tom Feichtigner, Hannes Köpke und Alexander Krieger (von links).

(Foto: Thomas Dashuber/Residenztheater)

Im "Marstallplan", dem Mini-Sommer-Festival des Bayerischen Staatsschauspiels, begegnen vier junge Regisseure dem "Eindringling". Der symbolisiert für sie die aktuelle Weltlage, in der das vermeintlich Fremde alle Ordnungen umstürzt

Von Sabine Leucht

Die Welt geht unter - und Rebecca kocht. Ihre Lieblingsnachbarin zieht der drohenden Apokalypse eine individuelle Variante vor, ein Vergewaltiger kommt vorbei und schließlich die Sintflut. Doch all diese Invasoren kommen nicht an gegen die Zuversicht dieser Frau, der es nur darum geht, ihre Familie wieder an einen Tisch zu bringen. Tom Feichtinger inszeniert Noah Haidles "Alles muss glänzen" im Rahmen des "Marstallplan"-Festivals des Bayerischen Staatsschauspiels. Feichtinger ist wie Mirjam Loibl und Alexander Krieger Regieassistent am Resi. Hannes Köpke studiert im dritten Jahr Regie an der Bayerischen Theaterakademie. Und alle vier haben sich fertige Stücke im Dunstkreis eines vorgegebenen Themas ausgesucht. "Der Eindringling" heißt es und meint passend zur Weltlage das Fremde in all seinen Varianten, das Ordnungen umstürzt, Übereinkünfte zerstört, aber auch neue Entwicklungen katalysiert. Gute wie schlechte.

Schnell, frech und schmutzig inszenieren, mit geringem Budget und einer Bühne, die in maximal 30 Minuten auf- und abgebaut ist, aber mit den Hochkarätern des Ensembles und der Unterstützung des Apparats: Das ist die Idee, mit der das Residenztheater nunmehr zum vierten Mal Regie-Youngster in die Arena schickt. Zu einer Zeit zudem, in der im Umland die Seen locken. 2016 nahm sich das Mini-Sommer-Festival passenderweise das Heiner Müller-Zitat "Luxus braucht Sklaverei" zum Motto. Heuer richtet Hannes Köpke mit Valéry Tscheplanowa und anderen gewissermaßen das Titelstück ein: Maurice Maeterlincks "Der Eindringling", eine Meditation über das Warten und das feindliche Draußen, mit der sich der Literaturnobelpreisträger von 1911 als Ahne Becketts präsentiert. Das 126-jährige Drama, das zu Wahrnehmungs-Experimenten einlädt, startet am Samstag (21 Uhr) im Tandem mit Kriegers Arbeit zu Edward Albees "Zuhause im Zoo" (19 Uhr) - einer Erweiterung seines Einakters "Zoogeschichte" um eine Variation der Hölle auf Erden. Zeitgenössisch dagegen geht es tags zuvor los mit Haidles, von Theater heute zum ausländischen Stück des Jahres 2015 ausgerufener Groteske (21 Uhr), und Dawn Kings 2011 uraufgeführter Überwachungsstaatsparabel "Foxfinder" (19 Uhr).

Nur drei Wochen haben die Nachwuchsregisseure geprobt, wobei die Stückauswahl schon Ende 2016 stand, die Bühnenbildidee im Februar, der Kostümentwurf im Mai - noch vor der Zuordnung der Schauspieler zur jeweiligen Produktion. Wie kriegt man es hin, dass einem als Anfänger daraus mehr Luxus als Sklaverei erwächst? Mirjam Loibl: "Die Vorbereitung muss stimmen". Und das Team. Denn: "Wenn etwas nicht stimmt, kann man nichts vertuschen, sondern muss so lange arbeiten, bis es passt." Und Tom Feichtinger sagt: "Es ist erstaunlich, wie weit man kommen kann; wie wenig man braucht für eine Bühne, die eine Atmosphäre hat, viel kann und auf der es den Spielern Spaß macht, sich zu bewegen." Das ist ihm wichtig, denn er hat Schauspiel studiert - am Max Reinhardt Seminar in Wien - und selbst an mehreren Häusern gespielt. Das ehemalige Mitglied im österreichischen Team für Olympisches Windsurfen ist also gewissermaßen selbst ein "Eindringling" ins Regiefach durch die Praxistür. Wie im Übrigen auch der Ex-Leistungsschwimmer Alexander Krieger, der nach einem Design-Studium als Filmregisseur debütierte. Der lange auf der Liste aussterbender Arten stehende Quereinsteiger scheint zumindest im Resi sein Comeback zu feiern. Auch Mirjam Loibl - garantiert nicht verwandt mit dem Schauspieler Thomas Loibl - kommt von Draußen: Loibl hat Sozialanthropologie und Politik in Bern studiert - und "Foxfinder" ist nach Fingerübungen im Rahmen der Resi-Assistentenreihe "Nachts und Nebenbei" ihre erste Regiearbeit. Manchmal, sagt sie, beneide sie andere um ihre Theatersozialisation und -Erfahrung. Aber: "Die Hauptmethode der Sozialanthropologie ist die teilnehmende Beobachtung. Und ist es nicht genau das, was Regisseure machen?"

Für den Marstallplan beobachtet Loibl Nils Strunk, Pauline Fusban, Thomas Grässle und Valerie Pachner. Die beiden Letztgenannten spielen die Kleinbauern Samuel und Judith, die nach dem Verlust ihres Sohnes auch noch an wirtschaftlicher Not zu knabbern haben. Bis die Regierung ihnen einen "Foxfinder" schickt, der sie auf Fuchsbefall untersucht. Denn Füchse wurden in diesem namenlosen krisengeschüttelten Land zur Quelle allen Unglücks erklärt: Wild, unberechenbar, anders. Der eigentliche "Eindringling" aber ist der "Foxfinder" als staatlicherseits installierter Unruhestifter im Gewand eines Sicherheitsgaranten.

"Mich hat an dem Stück interessiert", sagt Loibl, "dass man Sündenböcke außerhalb der Gesellschaft benennt, um das eigene System zu stärken", und "dass Sicherheit und Freiheit keine Tatsachen, sondern Gefühle sind und deshalb manipulierbar." So setzt der Foxfinder William Samuel den Floh ins Ohr, dass die Füchse auch am Tod seines Sohnes schuld seien, was der nur allzu gerne annimmt. "Es ist Wahnsinn", sagt Loibl, "was der Mensch bereit ist zu glauben, um die eigene Realität erklärbar zu machen." Dann bringt sie das Beispiel mit dem Haushaltsunfall, dem Terroranschlag und der Wahrscheinlichkeit und spricht von Angst und Macht und wie wir zu beider Opfer werden.

Noah Haidles Heldin hat keine Angst. Oder andere Ängste. Ihr Erfinder, geboren 1978, ist der kommende Hausautor des Nationaltheaters Mannheim, das im Januar seine Komödie "Götterspeise" uraufgeführt hat. Sein Meister Proper-Stück "Alles muss glänzen" wurde unter anderem im Berliner Theater am Kurfürstendamm gezeigt - mit Maria Furtwängler in der Hausfrauenrolle. "So wird es nicht werden", sagt Feichtinger schnell, der in dieser Groteske mit boulevardesken Dialogen eine große Liebe zum Menschen ausmacht: "Es ist für mich ein Stück über Tod und Wiedergeburt und den Glauben an das Wunder der Liebe". Denn die Flut schwappt letztlich auch die Familie wieder zurück in den heimischen Bau. Dafür leiht sich Haidle Bilder aus der Mythologie und lässt den verlorenen Sohn im Bauch eines Wales durch die Wand brechen. Flut? Wal? Wie geht das mit Minibudget? Naja, lacht Feichtinger: "Wir hatten den Marstall schon mal ein bisschen unter Wasser!"

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