Süddeutsche Zeitung

Schauspiel:Lust auf Kommunikation

André Bücker ist der neue Intendant im Theater Augsburg. Mit einer Inszenierung von "Peer Gynt" stellt er sich dem Publikum vor

Von Christiane Lutz, Augsburg

Wenn einer zwölf Jahre lang in Dessau am Theater gearbeitet hat, ist er es gewohnt, auf die Menschen zugehen zu müssen. Die Stadt in Sachsen-Anhalt leidet unter Abwanderung, die Jungen gehen, die Alten bleiben zurück. Sich als Intendant in den Elfenbeinturm der Kunst zurück zu ziehen ist da nicht, das weiß André Bücker. Also: raus auf die Straßen, mit den Menschen reden. Das Theater Dessau hatte gerade mal 400 Abonnenten. In Augsburg sind es knapp 6000. Dort ist Bücker seit dieser Spielzeit Intendant und war doch erstaunt, wie anders Augsburg ist: "Das erste, was mir in Augsburg auffiel, war, wie viele Menschen hier auf der Straße unterwegs sind", sagt er, der vor einem Jahr mit seiner Familie hergezogen ist.

Bester Laune sitzt André Bücker, 48, legerer Pulli, in seinem riesigen Intendantenbüro im Theater Augsburg. Dass das Haus noch ein paar Jahre grundsaniert wird, wusste er natürlich, als er sich auf den Job als Nachfolger von Juliane Votteler bewarb. Es stört ihn nicht, dass ihm praktisch Stein um Stein das Haus unter dem Hintern weggebaut wird. Ganz zu schweigen von der Schwierigkeit eines Interims-Spielbetriebs, wie ihn das Theater nun lebt. "Genau das hat mich ja interessiert", sagt er. Dazu kommt die Ankündigung der Stadt, das Theater neu ausrichten zu wollen. Beim Projekt "Theater der Zukunft" sollen die Bürger einbezogen werden, die Institutionen. Die Stadt möchte, dass sich das Theater öffnet, sich anderen Themen und Inhalten zuwendet, mehr Teilhabe möglich macht. Das sind ganz schön anspruchsvolle Ansagen, Bücker jedoch scheint niemand, der sich aus der Ruhe bringen lässt. Überhaupt ist er eher der Typ entspannter Vater als vergeistigter Bücherstreichler und Werktreuekämpfer. Sein Blick auf das Theater und die Gesellschaft ist der eines Arbeiters, der Leistung bringen und die Menschen in ihrer Sprache ansprechen muss. Verwöhnt von zu vollen Häusern und Kassen war er nie.

Das sieht man auch an seinen Twitter- und Instagram-Accounts, die er als einer der wenigen Intendanten großer Häuser selbst bespielt und wo er sich sehr nahbar gibt. Zwischen Probenfotos zu seiner Premiere "Peer Gynt" taucht da schon mal ein Bild von ihm beim Fußballspielen und von seinem Sohn an seinem ersten Schultag auf. Er ist greifbar. Etwas, das er auch in Dessau gelernt hat, was ihm als Mensch aber auch einfach entspricht. "Den Twitter-Account habe ich mir zugelegt, als in Dessau Kürzungen bei den Geldern angedroht wurden", sagt er. Online wollte er seinem Unmut Luft machen. Er ist dabei geblieben, "Theater ist nun mal ein kommunikativer Akt", sagt er.

1969 wird André Bücker in Osnarbrück geboren, dort wächst er auch auf, studiert in Bochum und arbeitet seit 1995 als Regisseur. Von 2005 bis 2008 war er Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters Halberstadt/Quedlinburg, dann zog er nach Dessau. Bücker inszeniert immer schon Oper und Schauspiel - eine Leidenschaft, die er auch in Augsburg beibehalten will. Pro Spielzeit ein Schauspiel und eine Oper. Im Februar ist die Oper dran, Verdis "Die Macht des Schicksals". Zum Start in die neue Saison hat er sich als Schauspiel einen Klassiker der Theatergeschichte ausgesucht. Warum Peer Gynt? "Unser Spielzeitmotto ist ja Sinnsucht, das fiel mir irgendwann ein, ich fand das ganz hübsch. Außerdem reizen mich die großen Weltdramen. Peer Gynt ist ja, wie Faust, einer der großen Sinnsuchenden und Sinnsüchtigen der Literatur."

Seine berufliche Sinnsucht geht dahin, dass er mit seiner Arbeit Menschen erreichen möchte, die sonst nicht ins Theater gehen, "dafür lohnt es sich doch, zu arbeiten." Natürlich ist ihm klar, dass es das große Dilemma des Theaters ist, jene Menschen eben nicht zu erreichen und sich nurmehr mit Gleichgesinnten zu umgeben. "Aber es ist etwas, für das es sich zu arbeiten lohnt. Man muss ja nicht alle Widersprüche auflösen, die ästhetischen sowieso nicht, aber auch nicht die politischen." In Sachsen-Anhalt lag die AfD bei der Bundestagswahl bei knapp 25 Prozent, Bücker weiß also, wovon er spricht, wenn er von "politischen Widersprüchen" redet.

Mit Frank Vetter, seinem Videokünstler-Kollegen, reiste er vergangenes Jahr kurzerhand nach Norwegen, in eine Hütte ins Nirgendwo. Sie wollten Bilder machen und natürlich, wenn man schon mal da ist, auch versuchen, etwas vom Mythos des Ibsen-Stückes zu spüren. Hat geklappt. "Der Text hat solch eine irre poetische Kraft, das spürt man auch, wenn man dann in diesen Landschaften ist, die teilweise wie auf dem Mond aussehen."

Seine Inszenierung, die im Martini Park stattfindet, wird sich nun auf einigen Videoebenen abspielen, Dreh- und Angelpunkt der Bühne ist Peers Häuschen. Die große Welt im Kleinen, sozusagen. Sechs Schauspieler spielen Peer, die Band Misuk hat eigens für diese Produktion Textpassagen aus dem Stück vertont und spielt diese live. Bücker arbeitete mit verschiedenen Textfassungen, die Grundlage aber bildet die Übersetzung von Christian Morgenstern. Die Proben konnten auf der großen Bühne des Haupthauses stattfinden, ein Luxus, den Bücker der Sanierung zu verdanken hat, denn Zuschauer dürfen schon eine Weile nicht mehr ins Theater. Am Samstagabend dann im Martini Park wird Bücker den Zuschauern zeigen, wer er ist und was für ein Theater er will. Es dürfte spannend werden.

Peer Gynt, Samstag, 7. Oktober, 19.30 Uhr, Theater Augsburg im Martini Park

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Quelle:
SZ vom 07.10.2017
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