Offene Proben am Schauspiel Köln:Vorhang auf

Oblomow

Theater ist schön, macht aber sehr viel Arbeit. Das "Oblomow"-Team um Luk Perceval (links oben) lässt sich dabei zuschauen.

(Foto: Schauspiel Köln)

Eigentlich tabu: Das Schauspiel Köln öffnet erstmals Proben für ein digitales Publikum. Will man das sehen?

Von Christiane Lutz

"Ich check's nicht", schreibt ein Nutzer, "bin verwirrt". "Die ist doch Schauspielerin!", ein anderer. "Ja und? Schauspieler sind auch nur Menschen." Die Verwirrten schauen live dabei zu, wie Schauspielerin Luana Velis in der Sinnkrise steckt und lieber nicht zu den Proben erscheint. Stattdessen tippt sie melancholische Tagebucheinträge und streamt das im Internet. In der Kommentarspalte ploppen besorgte Nachrichten ihrer Kollegen auf. "Kann es sein, dass wir jetzt in der eigentlichen Inszenierung sind?", fragt ein Nutzer. Wenn man das wüsste.

Wir wissen jedenfalls: Wir sehen die Entstehung von "Oblomow revisited" nach Iwan Gontscharow, inszeniert von Luk Perceval am Schauspiel Köln. Dort hat man beschlossen, die Proben digital zugänglich zu machen. Es gibt ein Blog, einen Instagram-Kanal und Streams auf der Plattform Twitch, in denen man dem Team bei der Arbeit zusehen kann. Stundenlanges Material ist seit September entstanden, vieles davon genauso mühsam anzuschauen, wie man sich das vorstellt.

Die Probenarbeit am Theater ist sakrosankt - eigentlich. Ein geschützter Raum für die Künstler, sich auszuprobieren, zu streiten, zu heulen. Nur in Ausnahmen dürfen Unbefugte zuschauen. Die Inszenierung gilt als das fertige Produkt, der Weg dorthin bleibt unsichtbar. Zu groß die Sorge, dass vorzeitig beurteilt wird, Entzauberung stattfindet, Privates öffentlich wird. Manchmal sind Proben auch schlicht langweilig. Einem Koch will man ja auch nicht unbedingt beim Schnibbeln des Gemüses zuschauen.

"Wir machen Theater für Leute, die eh schon ins Theater gehen"

Doch es gibt gute Gründe, die Probenarbeit zu öffnen, zumindest ab und zu. Proben zu streamen, heißt etwa, sich digitalen Kanälen zu öffnen und zu schauen, welch künstlerisches Potenzial darin schlummert. Während der Pandemie waren die Theater darin jetzt nicht ganz vorn mit dabei, das Schauspiel Köln war da eher die Ausnahme. Außerdem tut mehr Transparenz gut, um zu zeigen, welch großen Wert Theater hat, besonders jetzt, wo allerorts Kulturetats gekürzt werden. Und ganz nebenbei sind öffentliche Proben sicher eine wirksame Compliance-Maßnahme, nach den Debatten um Machtmissbrauch und fragwürdige Umgangsformen von Regisseuren. Wobei Luk Perceval, soweit man das hier sehen kann, der wohl freundlichste und unprätentiöseste Regisseur zumindest mal in Köln ist.

Der wiederum, seit 40 Jahren im Geschäft, gibt als Grund für die öffentlichen Proben an: "Wir sind eine geschlossene Gesellschaft. Wir machen Theater für Leute, die eh schon ins Theater gehen." Im Internet hofft er, Neugier bei zufällig Vorbeigestolperten zu wecken, die sich dann vielleicht auch ins Theater trauen. Bei der ersten Probe schauten zwischendurch 8000 Menschen auf Twitch zu, für einen Theaterstream gigantisch viele. Perceval sagt auch: Die fertige Inszenierung sei gar nicht das Spannendste, die sei oft geprägt von Kompromissen und nur eine Reduzierung dessen, was vorher erarbeitet wurde. "Probieren finde ich schöner als die Vorstellung, weil während der Probe eine Synchronisierung des Lebens mit der Probe stattfindet." Wer die Proben begleitet, sieht, was er meint.

Oblomowa revisited

Ganz allein und doch nicht: Bei den Proben zu "Oblomow" hält immer jemand die Kamera drauf.

(Foto: Schauspiel Köln)

Es beginnt mit der Ankunft von Schauspielerin Luana Velis in Köln. Sie spielt "Oblomowa", die berühmte Nichtstuerin, jeder Gesellschaft überdrüssig. Velis filmt ihre Unterkunft, geht ins Restaurant, sie ist zu sehen beim Textlernen, beim Aquariumkauf, beim U-Bahn-Fahren. So weit, so Gemüseschnibbeln. Meta wird das Ganze, als Velis ihren Kollegen gesteht, dass sie sie seit Tagen schon heimlich filmt. Plötzlich debattieren Schauspieler vor laufender Kamera, wie viel von sich sie in ihrem Beruf preisgeben müssen und ob das "Authentische" überhaupt eine Kategorie im Theater sein muss, einer Kunst, die von der Behauptung lebt. Sie entscheiden, weiter zu streamen.

Dann, als Velis nicht zur Probe kommt und in nächster Eskalationsstufe beschließt, die Wohnung überhaupt nicht mehr zu verlassen, synchronisiert sich scheinbar wirklich das Leben mit der Probe. Ganz im Sinne der "Oblomowa" verweigert sich Velis fortan dem gesellschaftlichen Leistungsdruck. Die Premiere scheint in Gefahr zu sein. Tränen, Herzchen-Emojis. Ein digitaler Zuschauer tröstet: "Krankschreiben lassen. Und einfach mal rumpimmeln."

Da sitzt man dann also vor Twitch und fragt sich, ob das vielleicht tatsächlich die inszenierte Inszenierung der Inszenierung ist. Schließlich sind wir am Theater. Ist/wäre alles inszeniert, fügte das dem Projekt nur eine weitere künstlerische Ebene hinzu, Authentizität in der Kunst braucht eh kein Mensch. Mit den Mitteln des Theaters wird in Köln der Zauber des Theaters dokumentiert. Die Kunst kann davon profitieren, wer sich auf das Spiel einlässt, auch. Und ob es nun echte Tränen sind, die man da sieht, oder professionell herbeigefühlte, ist am Ende egal. Ob Luana Velis zur Premiere am Donnerstag erscheint, ist auch nicht so wichtig. Die Vorstellung hat ja längst begonnen.

Zur SZ-Startseite
Eleos Ensemble

Theaterreport aus Graz
:Wunder der Krise

Das Schauspielhaus Graz begeistert mit der Uraufführung der Stücke "Garland" und "Eleos". Das von Iris Laufenberg geleitete Haus bleibt auch in Zukunft in Frauenhand.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: