Süddeutsche Zeitung

Schauspiel:Für die Beseelung, die Durchgeistigung

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Sophia Barthelmes' Stück "Räterepublik Baiern!" nach Texten von Ernst Toller am ETA-Hoffmann-Theater in Bamberg

Von Florian Welle, Bamberg

Ernst Toller war mit Abstand der Jüngste unter den vier Dichter-Revolutionären, die 1918/19 in Bayern die Macht übernahmen. "Träumer" nannte Volker Weidermann in einem der vielleicht schönsten Publikationen zu den Ereignissen vor 100 Jahren Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und eben den 1893 geborenen Toller. Er war also gerade Mitte 20, als er sich 1918 der USPD anschloss. Als Kurt Eisner den "Freistaat Bayern" ausrief und zum ersten Ministerpräsidenten gewählt wurde. Als dieser im Februar 1919 heimtückisch vom Antisemiten Graf von Arco auf Valley getötet wurde, und Toller mit Landauer und Mühsam die "Räterepublik" ausrief, die dann sehr schnell kommunistisch dominiert wurde und im Kugelhagel der sogenannten Weißen Truppen ihr blutiges Ende fand.

Während man Landauer ebenfalls ermordete, verschwand Toller für fünf Jahre hinter Gittern, wo er einige seiner wichtigsten Werke schrieb. Mit ihrem hämmernden Pathos spiegeln sie immer noch die Empörung wie den Enthusiasmus seiner Jugend wider. "Räterepublik Baiern!" heißt das Ein-Frau-Stück, das die gebürtige Fränkin Sophia Barthelmes, die gerade an der Hamburger Theaterakademie ihren Abschluss gemacht hat, für die Studiobühne des ETA-Hoffmann-Theaters in Bamberg nach Texten von Toller verfasst und auch inszeniert hat. Damit steht sie nun in einer Reihe mit Tankred Dorsts Szenenrevue "Toller" von 1968 und Albert Ostermeiers "Zwischen zwei Feuern. Tollertopographie" von 1995.

Ewa Rataj spielt Toller, und sie spielt ihn hier im bordeauxroten Anzug so, dass die gewaltige Portion Utopie deutlich wird, mit der hier ein Denker, den der Krieg erst zum radikalen Pazifisten und Gesinnungsethiker hat werden lassen, seine Vorstellungen von einem friedlichen, besseren Zusammenleben aller Menschen, also auch von Mann und Frau, ins Werk setzte. Ratajs Stimme ist nur zu Beginn ruhig, um schon bald entflammt zu jubilieren, die Hände wahlweise am Herzen liegend oder in die Höhe gestreckt. Dazu eine Drehung hier, eine Publikumsumarmung dort und der laute Ausruf: "An Stelle der Militarisierung sind wir für den Rhythmus, die Beseelung, die Durchgeistigung, das heißt gestaltende Freudigkeit und Schönheit."

Freudig gestaltet ist auch Anja Zihlmanns Bühne, die ein wenig wie ein Miró-Bild wirkt. Als Rückwand gibt es eine blaue Fläche, davor stehen rote Blumen, ein grasgrünes Podest und ein großer gelber Kreis, der vielleicht die Sonne symbolisiert. Dann hocken da noch zwei Vögel in einem Käfig - eine Anspielung auf Tollers lyrisches "Schwalbenbuch", das er in seiner Niederschönenfelder Zelle geschrieben hatte und das neben der Autobiografie "Eine Jugend in Deutschland" die wichtigste Grundlage für Barthelmes Stück bildet. Eindringlich zitiert Rataj daraus befeuernde Zeilen wie "In seligen Flügen feiern die Schwalben den Sieg der Gemeinschaft".

Man lernt an diesem Abend viel über Toller, dessen Leben man eher nicht ausgegraben hätte, wenn nicht gerade "100 Jahre Freistaat Bayern" anstehen würde. Man muss dies bedauern, denn an Toller und seine Ideen könnte man im Grunde immer erinnern, Jubiläum hin oder her. Dass die Inszenierung das angekündigte Versprechen, nämlich zu schauen, was von 1918/19 geblieben ist und welche vergleichbaren sozialen Utopien es heute gibt, nicht einlöst, ist dann der große Wermutstropfen.

"Räterepublik Baiern!" bleibt vor allem Nacherzählung von Tollers Leben, über die dann auch eine Einlage der Performerin und Musikerin Saskia Kaufmann nicht hinwegtäuschen kann. Die Österreicherin sorgt am Rand sitzend lange nur für die musikalische Untermalung (Elektro!), bis sie sich zur Hälfte des Stückes zu einer platt-kabarettistischen Einlage aufschwingt, die darin gipfelt, die revolutionären Ereignisse von 1918 in Anspielung auf Gaulands abscheulich-blödsinnige Vogelschiss-Rede als "Darmbewegung der Geschichte" zu bezeichnen.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2018
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