Vielleicht sollte man damit beginnen, was diese Inszenierung alles nicht ist: Sie ist keine Hommage an längst vergangene Goldgräberzeiten, kein erhobener "Schaut her, wohin uns die Gier geführt hat"-Zeigefinger. Sie ist, und das ist wohl das bemerkenswerteste, auch keine Klimakrisen-Inszenierung.
Wie leicht wäre es gewesen für Regisseur Jan-Christoph Gockel, aus dem Roman "Öl!" des amerikanischen Autors Upton Sinclair, erschienen 1927, am Schauspiel Frankfurt ein Stück Vorwurf zu inszenieren, es läge ja alles so schön auf der Hand: Erdölgewinnung war schon immer eine Ausbeutung der Gegenwart auf Kosten der Zukunft. Mit dem Öl begann nicht nur endgültig die Industrialisierung, sondern auch die Misere, in der wir heute stecken. Auch wenn wir das schmierige schwarze Zeug eigentlich nie sehen, steckt es überall in Kunststoffen, Kleidung, Kosmetika. Den Verbrennungsmotor werden wir auf keinen Fall vor 2030 los. Bis es soweit ist, wird fröhlich SUV gefahren. Endlos Stoff für Häme, Wut, Trotz und Tadel.
Jan-Christoph Gockel weiß all das natürlich, doch er lässt sich nicht verführen, einen moralisierenden Kommentar zur Klimakrise abzugeben. Was erst mal ziemlich lässig ist. Schließlich ist das Thema zu Recht omnipräsent und steht zu Recht auf vielen Spielplänen der gerade beginnenden Theatersaison. Es gibt ja keine zweite Meinung zur Klimakrise, scheint Gockel sagen zu wollen, indem er einfach darlegt, was ist. Er zeigt die Öl-Ära von Anfang an als eine marode, eine vergangene, der höchstens noch der Glamour alter Zeiten anhaftet. Etwa, indem er der Inszenierung den Anstrich einer alten Filmpremiere verpasst. Schon vor der Tür des Schauspiels Frankfurt ist ein roter Teppich ausgerollt. Das ist doppelt angemessen, schließlich startet man an dem Abend auch hoffnungsfroh in eine neue Spielzeit, und das in vollbesetztem Haus.
Wo Öl ist, ist auch Geld, Macht, Widerstand und der Versuch, diesen zu überwinden
Der gezeigte Film heißt dann auch "Öl!" und ist eine Produktion von J. Arnold Ross, selbst ernannter "Ölmann", später Ölmagnat und einer der Protagonisten des Romans, beziehungsweise Films, so genau trennt Gockel da nicht. Ihn und seinen zittrigen Sohn Bunny (Torsten Flassig) begleitet die Geschichte in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch die USA auf der Suche nach Öl. Der armen Familie Watkins kaufen sie Land ab, weil sie unter deren Ranch im Boden Öl vermuten, zu Recht. Es folgen Bohrungen, Unfälle bei Bohrungen, Streitereien mit den sozialistisch gewerkschaftlich bewegten Watkins-Kindern Ruth (Lotte Schubert) und Paul (André Meyer), denn wo Öl ist, ist auch Geld, ist auch Macht, ist auch Widerstand und der Versuch, diesen zu überwinden. Die Figur des dritten Watkins-Kind, Eli (Andreas Vögler), ein religiöser Fanatiker, versuchen Autor und Regisseur, die Ausbeutung der Erde irgendwie als göttlichen Willen zu legitimieren: "Wenn nach Gottes weisem Ratschluss diese Bohrstelle Reichtümer hervorbringt, so mögen diese im Dienste des Allerhöchsten genutzt werden." Bunny ist hin und her gerissen zwischen der Gier seines Vaters Ross (zum Schießen komisch gespielt von Wolfram Koch als ledermantelschwingender Cowboy) und aufkeimenden Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und Fehlern im Prinzip Kapitalismus. Er steigt zwar ein, als der Vater auch noch Filmproduzent in Hollywood wird, und lässt sich von einer Schauspielerin (Caroline Dietrich) einwickeln. Doch steht er für eine Generation, die die Methoden der Alten nicht mehr unreflektiert übernehmen wollen. Allein, er wird sich am Ende nicht gegen den Vater behaupten können.
Für Charaktere interessiert sich Regisseur Gockel nicht besonders, dazu sind seine Figuren viel zu holzschnittartig angelegt, dafür umso mehr für vermeintlich kausale Zusammenhänge und dafür, wie der Mensch es schafft, diese herzustellen und, siehe oben, zu legitimieren. Gockel zeigt die scheinbar unauflösbare Verstrickung der Menschen mit dem Rohstoff Öl und das ewige Spannungsverhältnis mit der Natur, über die der Mensch sich in seiner Hybris stellt: "Die Natur war schön und gut, aber sie soll links und rechts dieser Linie bleiben", sagt Bunny, als er mit dem Auto durch die Lande fährt. Hollywood, wo spätere Teile der Geschichte spielen, ist nur kurz Metapher für Glanz und Gloria, etwa wenn Fritz Langs "Metropolis" heraufbeschworen wird, dann nur als Sinnbild für nicht zukunftsfähige Konzepte.
Der Regisseur und seine Bühnenbildnerin sparen nicht am Effekt. Gespielt wird um eine große Ölpfütze herum, in die immer mal wer fällt
Gockels Inszenierungen ist immer eine große Freude am Theaterzauber anzumerken, wie zuletzt in "Eine Jugend in Deutschland", eine überbordend fantasievolle Adaption des Romans von Ernst Toller, mit dem er die vergangene Spielzeit an den Münchner Kammerspielen eröffnete. Wahrscheinlich fährt er aus dieser Begeisterung heraus stets eher zu viel auf, als zu wenig. Auch diesmal sparen er und Bühnenbildnerin Julia Kurzweg nicht an Effekten. Man schiebt einen Oldtimer sowie einige Buchstaben des Hollywood-Zeichens auf die Bühne, jagt die Spieler mit der Kamera durchs Haus und beinahe in eine vor dem Theater vorbeifahrende Straßenbahn, selbstverständlich wird um eine große schwarze Ölpfütze herum gespielt, in die immer mal wer fällt.
Was nun real ist und was der Film im Spiel, ist nicht immer klar, Gockel stapelt munter Bild- und Referenzebenen. Das stört nicht wirklich, es gibt genug, worauf man sich einlassen kann. "Wir sind die Zuschauer dessen, was wir gerade in diesem Moment anrichten", sagt Bunny. "Wir sind beim Filmdreh, im Schnitt und in der Premiere gleichzeitig." Das trifft die Idee der Inszenierung und vielleicht auch den Zustand der Welt ganz gut, nur dass man noch "den Morgen nach der Premierenparty" als Erlebnisebene dazu nehmen könnte. Am Ende werden per Videoeinspieler Hochhaustürme in Frankfurt gesprengt (Zitat Ross: "Muss alles weg"), der Boden vor dem Theater aufgebrochen, und siehe da, auch dort sprudelt Öl hervor. Wenn sich Gockel also einen Kommentar erlaubt, dann diesen: "Wir sind mittendrin, wir kennen das Ende und machen trotzdem weiter."