Süddeutsche Zeitung

Schauspiel Frankfurt:Das letzte Hemd hat keine Taschen

Jan Bosse inszeniert die deutsche Erstaufführung von Ferdinand Schmalz' Hofmannsthal-Paraphrase "Jedermann (stirbt)" mit Wolfram Koch und Mechthild Großmann. Frankfurt ist dafür genau der richtige Ort.

Von Egbert Tholl

Am Ende sitzen zwei wundervolle Menschen nebeneinander ganz vorne am Bühnenrand des Frankfurter Schauspiels, Wolfram Koch und Mechthild Großmann. Er trägt einen Hut, eine Brille, Unterhosen und weiße Kniestrümpfe, sie einen langen schwarzen Mantel und eine künstliche Glatze. Wie sie da so sitzen, verkörpern sie in größter Gelassenheit viele Jahrzehnte Schauspielerei, dazu sind sie Fernsehberühmtheiten, sie ist die Staatsanwältin im Münsteraner "Tatort", er der Kommissar im Frankfurter, aber das spielt in diesem Moment nicht die geringste Rolle. Großmann spricht mit Zartheit vom Tod, und Koch hört verträumt zu.

Vor zwei Jahren schrieb der als Matthias Schweiger 1985 in Graz geborene Ferdinand Schmalz fürs Wiener Burgtheater einen neuen "Jedermann". Er war nicht der Erste, der sich Hugo von Hofmannsthals aus hartem Holz herausgehauener Verse annahm, dennoch war damals die Verwunderung groß, die Begeisterung danach auch. Seit 100 Jahren stirbt der Jedermann jedes Jahr bei den Salzburger Festspielen, und es gibt eigentlich gute Gründe, es bei diesem archaischen Ritual auf dem Domplatz dort zu belassen. Das "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" wirkt in Salzburg auch immer wie ein moderner Ablasshandel: Wer sich die Karten der Festspiele leisten kann, sitzt auf harten Sitzen die Passion des Reichtums ab.

Aber Schmalz ist ja nicht Hofmannsthal. Auch wenn in seinem Text das Original stets durchschimmert, ist "Jedermann (stirbt)" doch eine durchaus eigenständige Modernisierung. Bei Schmalz ist die Buhlschaft, gespielt von Mechthild Großmann, auch der Tod und als solcher alt und weise, Jedermann, gespielt von Wolfram Koch, ist ein verheirateter Investmentbanker mit Hang zu dubiosen Geschäften.

Das Stück ist hier also genau am richtigen Ort. Gegenüber vom Schauspiel Frankfurt stehen die Bankentürme, die ins schöne Glasfoyer hineinglitzern. Nebenan ist das Bahnhofsviertel, in dem viele Menschen wohnen, denen es egal sein kann, dass das letzte Hemd keine Taschen hat, da sie ohnehin nicht viel haben, was sie hineintun könnten. An der Schnittstelle zwischen diesen verschiedenen Lebenswelten angesiedelt zu sein, machte den Standort des Theaters hier schon immer spannend.

Auch hier bittet Jedermann um Aufschub seines Sterbens, aber die Buhlschaft ist sein Tod

Schmalz behält Hofmannsthals Motive hübsch bei, auch sein Jedermann bettelt um Aufschub des eigenen Sterbens, niemand will ihn auf dem letzten Weg begleiten, auch seine Gattin nicht, die Schmalz als Figur ohnehin sehr flüchtig zeichnet und die auch Manja Kuhl nicht interessanter macht. Wie überhaupt Regisseur Jan Bosse zwar sehr sorgfältig mit dem Text umgeht, aber ihm dort, wo dieser seifig wird oder zu banal heutige Lebensrealität abzubilden versucht, auch nicht groß beispringt. Mit einer Ausnahme: Die textlich nicht übermäßig geistreichen Auftritte von Mammon und den Guten Werken verwandelt Katharina Bach in furiose Zirkusnummern, erst als goldene Freiheitsstatue, dann als hoch in der Luft herumturnendes Charity-Girl, das sich auch noch über das eigene Tun, das Theater, die Techniker und überhaupt alles lustig macht.

Die Bühne von Stéphane Laimé ist eine riesige Gitterschale, angefüllt mit blassblauen Gummibällen. In diesem Dekor-Ambiente steht eine weiße Skulptur wie aus einem japanischen Steingarten, ein Teichlein glitzert, alles wirkt erlesen und aseptisch, dazu säuselt ganz leise von irgendwoher Musik. In diesem Refugium schottet sich Jedermann von der Außenwelt ab und gibt sich völlig ungezwungen. Wolfram Koch spielt mit den Bällen, zwitschert die Internationale auf einem Vogelpfeifchen, macht viel Ulk - er hat die Freiheit eines Menschen, der sich alles leisten kann. Er lädt zu einer Gartenparty, die nie so recht in Gang kommt, auch weil die Besucher nicht interessant genug sind, weder der fahrige arme Nachbar Gott noch die beiden albernen Vettern.

Aber toll sind die, die fast immer da sind, die "(teuflisch) gute Gesellschaft", verkörpert von Heiko Raulin, und eben die Buhlschaft, also der Tod. Raulin triezt mit eisiger Sprachgenauigkeit den Jedermann wegen dessen zynischer Geschäfte und macht sich über dessen Angst vor der Welt da draußen lustig. Die Buhlschaft, bei Hofmannsthal mit nicht viel mehr als drei, vier Sätzen ausgestattet, ist hier die Einzige, die sich um Jedermann wirklich kümmert. Mechthild Großmann und Wolfram Koch werden zunehmend ein altes Ehepaar, sie spendet den Trost, den ihm auch ein vorbeihuschender Chor, der eher schwammig Kirchenlieder singt, nicht geben kann. Und sie malt ihm das Bild eines allerletzten Festes aus, einen Totentanz. Das ist jene Schlussszene, die einfach in Stille verhallt, in der Großmann sanft von allen spricht, die innerlich schon tot sind, fäulniszerfressen, für die der Tod eine Erlösung ist. Diese Szene bleibt lange haften, man trägt sie mit hinaus, in die Bankenwelt Frankfurts.

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SZ vom 06.02.2020
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