Schauspiel:Die Geschichte dahinter

Lehmann Brothers Bamberg

Bei den "Lehmann Brothers" darf diesmal ausnahmslos die junge Schauspielgarde des Bamberger Theaters ran.

(Foto: Martin Kaufhold)

Intendantin Sibylle Broll-Pape inszeniert die "Lehman Brothers" am Bamberger ETA Hoffmann Theater und erzählt vom Aufstieg und Fall einer amerikanischen Familie und ihres Unternehmens

Von Florian Welle

Wer ein Synonym für die Finanzkrise sucht, kommt an einem Namen nicht vorbei: Lehman Brothers. Der Name der Investmentbank steht seit dem Crash von 2007/8, der in letzter Konsequenz zu ihrer Insolvenz geführt hat, für Geldgier und illegale Zockermentalität. Kaum jemand kennt jedoch die Geschichte hinter der turbokapitalistischen Verluststory. Mit anderen Worten: Die Chronik der Lehman Brothers als Familienunternehmen von ihren zaghaften Anfängen als Tuchhändler in Alabama in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Verkauf des Bankimperiums an American Express im Jahr 1984. Bis in dieses Jahr zumindest führt Stefano Massini die Erzählung der Brüder in seinem Theaterstück von 2013, für das er insgesamt drei Jahre recherchiert hatte. Der Untertitel "Aufstieg und Fall einer Dynastie" erinnert nicht zufällig an Thomas Manns "Buddenbrooks. Verfall einer Familie". Wenn jetzt die Bamberger Intendantin Sibylle Broll-Pape die "Lehman Brothers" auf die große Bühne bringt, dann schließt sich auch ein Kreis.

Am Ende ihrer ersten, durchaus fulminanten Spielzeit vor zwei Jahren, hatte sie John von Düffels Instant-Fassung der "Buddenbrooks" in Szene gesetzt: altbacken und behäbig. Ganz anders nun die "Lehman Brothers". Als hätte sie aus den damaligen Fehlern die Konsequenzen gezogen, jagt Broll-Pape nun den Zuschauer mit einer irrsinnigen erzählerischen Rasanz durch 150 Jahre Familiengeschichte. Im Grunde jedoch wird viel mehr erzählt. Am Aufstieg der Brüder lässt sich nämlich prototypisch so gut wie alles aufzeigen, was das 19. Jahrhundert weltweit, aber speziell das Einwanderungsland Amerika ausmachte: Wachstum, Tempo, Erfindungen, Konsum.

Bestechend an Massinis Stück ist vor allem, dass es die Dynastie-Gründer ebenso wie ihre Nachkommen als ganz normale Menschen zeigt. Durchaus mit Sinn fürs Geschäft, das ja. Die jüdischen Lehmans, die aus Franken nach Amerika einwanderten (was sie mit Levi Strauss verbindet), erkannten zu jeder Zeit die Chancen, die mit neuen Transportmitteln wie der Eisenbahn, neuen Rohstoffen wie dem Erdöl oder einem neuen Industriezweig wie der Unterhaltungsbranche verbunden waren. Aber skrupellose Raubtierkapitalisten, nein, das waren weder Henry, Emanuel und Mayer Lehman noch später ihre Söhne Philip und Herbert oder der Enkel Robert. Die regieren erst ab den 1980er-Jahren, als Wölfe der Wall Street.

Sibylle Broll-Pape hat aus der gut 250 Seiten starken Textvorlage, die keine Rollen kennt, eine Fassung für sechs Schauspieler destilliert. Zurückgegriffen hat sie diesmal ausnahmslos auf die junge Garde des Ensembles: Bertram Maxim Gärtner, Stefan Hartmann, Daniel Seniuk, Anna Döing, Corinna Pohlmann und Paul Maximilian Pira. Von vielen Aufführungen weiß man, dass sie dem Affen Zucker geben können. Hier sind sie in permanentem Wechsel mal Erzähler, mal verkörpern sie einen der Brüder, Hosenrollen inklusive. Der geschmeidige Daniel Seniuk etwa ist Henry Lehman, der 1844 als erster amerikanischen Boden betreten hat und sich gleich einen neuen Namen zulegte: Aus Heyum Lehmann wurde Henry Lehman, das Hirn der Familie. Der knorrige Bertram Maxim Gärtner wiederum spielt den Tatmenschen Emanuel, immer mit dem Kopf durch die Wand. Und die agile Corinna Pohlmann ist der jüngste Bruder, Mayer, geschickter Mittler zwischen "Hirn" und "Arm".

Die Familienstory rattert vor einem Einheitsbühnenbild von Trixy Royeck ab. Ein nach hinten spitz zulaufender Verhau aus Streben, der an den Film "Das Cabinet des Dr. Caligari" erinnert. Ab und zu werden Videos darauf geworfen: Szenen aus dem Bürgerkrieg etwa. Ansonsten wird auf Technik verzichtet, sogar Geräusche stellt das Ensemble selbst her. Nichts lenkt in dieser Inszenierung nach Art einer theatral aufbereiteten Geschichtsstunde vom Gegenstand ab. Das ist fesselnd, weil es hier um den Ursprung des Finanzkapitalismus aus dem Geist des 19. Jahrhunderts geht. Eine Aufführung, wie geschaffen für das Marx-Jubiläum. Der Denker des "Kapitals" wäre am 5. Mai 200 Jahre alt geworden.

Lehmann Brothers. Aufstieg und Fall einer Dynastie; nächste Aufführung Mittwoch, 31. Januar, 20 Uhr, ETA Hoffmann Theater, Bamberg

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