Süddeutsche Zeitung

Schauspiel:Auf der Baustelle

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Intendant André Bücker inszeniert am Staatstheater Augsburg Shakespeares "Sturm" als Probenbesuch und Ausflug ins Innere des Theaters, wo es durchaus rau und ruppig zugehen kann

Von Egbert Tholl

Der Vorhang ist kaputt, die Schauspieler kommen zu spät, einer mault über seine zu kleine Rolle, ein anderer hat Diarrhöe, seit zwei Jahren gibt es keine Kantine, der Regieassistent hat keine Lust mehr, Kaffe zu kochen, und der Bierautomat ist abgeschafft. Die Zeiten sind hart am Staatstheater Augsburg, das muss man dann auch mal sagen dürfen. In der Ausweichspielstätte im Martinipark, wo Intendant André Bücker jetzt Shakespeares "Sturm" inszeniert, oder besser: eine Probe davon, oder noch genauer: die erste Ama, was bedeutet "Alle mit allem" oder auch "Alles mit allen", also einen Durchlauf mit ungeheuer viel Aufwand.

Klassikeraufführungen als deren Probe zu inszenieren, ist nicht unbedingt die allerneueste Regieidee, hat aber unbestreitbar Vorteile: Man kann die Handlung als mehr oder weniger bekannt voraussetzen, also kann man sich um anderes kümmern, und man muss keine intellektuell tiefe Neudeutung vorlegen, schließlich probiert man ja noch. Und lässt das Publikum daran quasi teilhaben. Darüber wurden schon ganze Stücke geschrieben, die heißen dann "Der nackte Wahnsinn" oder so.

Nur: Der Wahnsinn fehlt hier erst einmal. Ein flattriger Regieassistent (Andrej Kaminsky), der später den Ariel spielen wird, geht mit den Schauspielern den Text durch, fordert politisches Bewusstsein, weil Sturm, das heißt doch Mittelmeer, also Flüchtlinge, und Klimakatastrophe in einem. Dann rauscht der Regisseur herein, nimmt neben der Assistentin im Parkett Platz und hat schlechte Laune. Und, klar: Dieser Regisseur, gespielt vom dampfenden Klaus Müller, spielt dann auch den Prospero, weil der ja über eine kleine Insel herrscht und zaubern kann - Herrschen und Zaubern sind alte Regieträume -, die Assistentin wird zu Miranda, ist aber vielleicht auch des Regisseurs echte Tochter, jedenfalls nennt er sie Schnubbel.

Es ist nämlich so: Nachdem der Hausmeister mit Spielverpflichtung und spätere Caliban mit großen Füßen, Gerald Fiedler, den Vorhang repariert hat, geht es auf die Bühne rauf und wieder runter, spielen die Schauspieler immer mehr schauspielernde Schauspieler. Regisseur und Prospero werden eins, bleiben aber leicht zu trennen, weil hier sehr viel Shakespeare gesprochen wird und dazwischen halt ganz was anderes. So abgestandener Patriarchenkram halt. Der Regisseur will Angebote - "zieh dich aus" -, hat aber keine Lust auf "talentlose Titten", diskutiert lieber über verschiedene Übersetzungen, verachtet die von Frank-Patrick Steckel: "Die wird nicht mehr gespielt außer von seiner bescheuerten Tochter, die Provinz auf die Bühne bringt." Daran dürfte die - mehrfach ausgezeichnete - Regisseurin Jette Steckel große Freude haben.

Subtil ist nichts, plump vieles. Und doch folgt man über die Stunden hinweg immer lieber dem Shakespeare-Stück, von dem es ja viel zu hören gibt, erfreut sich am freilaufenden Irrsinn der besoffenen Trottel oder an der Liebestolpatschigkeit von Miranda (Katja Sieder) und Ferdinand (Sebastian Baumgart). Dazu spielt die Augsburger Band On The Offshore, die aussieht wie eine Vaudeville-Piratentruppe und mal Trip-Hop, mal das eher eintönige Gesäusel der Insel spielt.

Herumfuhrwerkt wird hier außerordentlich viel, nicht unbedingt immer mit großem Ertrag, doch oft mit Verve. Schulklassen, die Shakespeares Stück ohnehin für beknackt halten, dürften daran eine große Freude haben. Allerdings könnte man das auch in der Hälfte der Zeit bewältigen. Gerade die vielen, vielen Theaterscherze sind auf Dauer, weil meist zotig, ermüdend. Man fragt sich auch, worauf sie zielen. Sind sie ein Kommentar auf die Diskussion der notwendigen Patriarchendämmerung im Theater, auf Me Too? Aber dazu sind sie doch zu ungelenk wie etwa die Aufforderung des Regisseurs an einen Schauspieler, etwas zu saufen, weil: "Als du noch gesoffen hast, hab' ich was gesehen von dir." Vielleicht hat André Bücker auch einfach das Leben auf der Baustelle satt.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2019
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