Schauplatz Zürich:Gute alte 90er

Die Raver reisen aus Ländern an, in denen es keine Techno-Umzüge mehr gibt: Seit fast 30 Jahren zieht die Street Parade durch Zürich - und die Stadt diskutiert, ob das noch gut ist.

Von Charlotte Theile

Ein strahlender Sommertag in Zürich, irgendwann in der Neuzeit. 28 Love-Mobiles bahnen sich ihren Weg durch Hunderttausende Raver, angereist aus Ländern, in denen es längst keine Paraden mehr gibt. Eine Leuchtanzeige illuminiert die Zahlen 2, 0, 1 und 8, es könnte aber genauso gut 1995 sein. Seit fast 30 Jahren feiern die Zürcher jeden Sommer eine Technoparty, statt verstrahlten Bunny-Kostümen sieht man heute Abiturienten in kurzen Jeans und Levis-Shirts, dazu Sicherheitsmänner, Polizisten, mobile Tattoo-Studios. Eine Ananas auf das Schlüsselbein, das Leben ist schließlich verdammt kurz.

Außerdem ist alles irgendwie Rekord an diesem Wochenende, keine Ahnung, wann es zuletzt so lange so warm gewesen ist, 1995 vermutlich. Der See liegt ruhig und türkisblau da, die Limmat führt deutlich weniger Wasser als sonst. Eine der größten Gefahren bei dieser Parade ist somit der Kopfsprung.

Der Energy-Rave ist vorbei. Das Lethargy-Party geht trotzdem weiter

Weiter den Fluss hinunter warnt man Badegäste, auf keinen Fall Wasser in den Mund zu nehmen. Der Kokaingehalt sei erheblich.

Abends ist die Stadt dann ausgesprochen unzürichmäßig, vor den Dixi-Klos liegen Paare auf dem Asphalt und genießen den Sternenhimmel. Beziehungsweise die Leuchtstrahler einer größeren Bühne. Etwas weiter den See hinunter feiern die, die schon vor zehn Jahren Abitur gemacht haben. In der Roten Fabrik, einem linken Kulturzentrum, findet eine der vielen Alternativpartys statt, weniger Bumbum und Hände zum Himmel. Lethargy, laut Homepage "ironisches Gegenstück zur Energy". Der Bezug allerdings läuft seit Jahren ins Leere, die Energy-Party gibt es nicht mehr. Zurück bleibt ein Festival mit seltsamem Namen - und guter Musik.

Nachtleben-Experten, von denen es in Zürich einige gibt, diskutieren noch ein paar Tage, warum es Samstagnacht, nach der Street Parade, keine "Mega-Raves" mehr gibt. Einige finden, dass das alles "früher irgendwie lustiger war", die Menschenmassen, der Alkohol, die Montagskolumne erst am Mittwoch schreiben können. Dann allerdings gibt es eine Zahl, die diesen Diskussionen ein Ende macht: Die Street-Parade, dieses seltsame Überbleibsel aus den 90er-Jahren, hat mehr als eine Million Menschen nach Zürich gebracht, Rekord also. Und es fühlt sich jetzt doch irgendwie an wie damals.

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